Handskizze eines Rostpustels.

Handskizze eines Rostpustels. (Bild: Hochschule Mannheim)

Verrostete Schellen vor und nach dem biologischen Entrostungsbad. Bild: Hochschule Mannheim

Verrostete Schellen vor und nach dem biologischen Entrostungsbad. Bild: Hochschule Mannheim

Es folgten mehrjähriger Entwicklungsarbeiten, an deren Ende ein biologischer Rostentferner stand. Die an der Hochschule entwickelte Lösung ist nicht nur „biologisch“, sondern entspricht auch allen Nachhaltigkeitskriterien: Der Rostentferner ist aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt worden und vollständig biologisch abbaubar; er ist aber auch recyclebar und kann als Pflanzensubstrat verkauft werden, weil es Regionen gibt, in denen Pflanzen an Eisenmangel leiden.

Entwicklung eines biologischen Entrosters

Ausgang für jede bionische Entwicklung ist es, das Problemthema auf den Kern zu bringen, um beispielsweise aus der meist komplexen Realität ein vereinfachtes abstrahierendes Modell zu erstellen. Im Fall des Rostentferners lautete die Frage: Wie sieht eigentlich eine Rostpustel aus? Antwort: Aus ganz diversen mehrwertigen Eisenverbindungen, vorwiegend aus rot und braun schimmernden dreiwertigen Eisenoxid-Hydroxiden. In der Natur kommt Eisen unter anderem in Blut vor: Die roten Blutkörperchen enthalten Eisen und transportieren Sauerstoff aus der Lunge beispielsweise ins Gehirn und zu den Muskeln. Da die Atmung für Menschen überlebenswichtig ist, muss es in der Natur also Speichersysteme für Eisen geben (eines heißt Ferritin und kann mehrere 1.000 Eisenatome speichern). Logischerweise muss es in der Natur dann aber auch noch Transporter geben, die einerseits Eisen aus dem Speicher holen und dort hinbringen, wo eisenhaltige Proteine entstehen, andererseits aber auch aus der Umgebung in den Körper / in die Zellen bringen.

Ausnahmsweise Vorbild: der Mensch

Beim Recherchieren wird der Suchende beispielsweise im „Schlegel“, Ausgabe 1987, fündig, wenn er den Abschnitt „Transport von Eisen“ aufschlägt: Dort steht sinngemäß: Siderophore sind natürliche Komplexbildner, von denen über 200 mit Komplexbildungskonstanten zwischen 1023 und 1052 für dreiwertiges Eisen bekannt sind. Siderophore werden von Mikroorganismen und Pflanzen eisenfrei in die Umgebung quasi als Space Shuttle ausgeschieden, um Eisen(III)-Ionen zu binden / komplexieren. Es entsteht ein Eisen-Siderophor-Komplex, der in den Organismus über spezifische Rezeptor- und Transportsysteme wieder hineintransportiert wird. Auf diversen Wegen wird das Eisen aus dem Komplex herausgelöst und der Zelle dann als Eisen(II)-Ion zur Verfügung gestellt. Ohne die erwähnten Siderophore würde keine aerobe biologische Abwasserreinigung funktionieren, denn es gäbe kein Wachstum der für die Reinigung wichtigen Mikroorganismen (an der Entstehung von Klärschlamm kann man also erkennen, dass die Abwasserreinigungsorganismen über Siderophore verfügen müssen). Wenn man beim Menschen in Richtung einer Problem-Analogie fündig geworden ist, kommt automatisch die Medizin ins Spiel.

Was macht die Natur bei Eisenmangel?

Wenn der menschliche Körper Eisen „braucht“, leert er seinen Speicher. Bei erkanntem Mangel kann ein Arzt eisenhaltige Präparate verschreiben oder Nahrungsmittel empfehlen, die viel Eisen enthalten (Blutwurst, rotes Fleisch). Akute Eisen-Vergiftungen sind dabei selten; chronische, meistens aufgrund eines vererbten Gendefekts werden als Hämochromatose oder -siderose diagnostiziert und beispielsweise mit einem siderophorhaltigen Präparat (Desferrioxamin) behandelt, das Prof. Hans Zähner an der Universität Tübingen zunächst als Antibiotikum erforscht und fermentiert hatte. Heute kommt es vielfach als Suffix vor der Dialyse (Nierenspülung) zum Einsatz, um Eisen-Ausfällungen vor der Dialysemembran zu verhindern. Damit war – auch wenn es sehr teuer war – ein Molekül gefunden, mit dem es möglich ist, die Flugrost-Pusteln von den Metalloberflächen biologisch entfernen zu können.

Von der Entwicklung zum Produkt

Seit 1992 arbeiteten am Institut für Biologische Verfahrenstechnik der (Fach-)Hochschule Mannheim mehr als zwei Dutzend Biologen, Mineralogen, Biotechnologie-, Chemie- und Verfahrens-Ingenieure an den Grundlagen der biologischen Rostentfernung und deren Umsetzung – angefangen beim Entrosten von Stahloberflächen bis hin zum Entfernen von Anlauffarben an hochlegierten Stählen. Seit 2000 forschen Dr. Arno Cordes, Geschäftsführer der ASA-Spezialenzyme Wolfenbüttel, und seine Mitarbeiter auf dem Thema mit und etablierten ein zum Medizinprodukt alternatives, fermentiertes Siderophor mit dem Ergebnis, dass heute ASA-Spezialenzyme biologische Entroster-Produkte anbieten kann, die – noch – bezahlbar sind. Beim Schraubenhersteller Würth heißt das Produkt schlicht „Rost-Ex-Gel“. Die Entrostungsprodukte sind auf den von der Haut her bekannten pH-Wert 5,5 eingestellt, sind biologisch abbaubar (und können in biologischen Abwasseranlagen den Eisenstoffwechsel begünstigen) beziehungsweise sind für Pflanzen, die an Eisenmangelkrankheiten leiden, als Substrat geeignet.

Das Hochschul-Produkt im Test

Der auf Basis „Medizinprodukt“ entwickelte biologische Entroster ist eine effiziente und umweltschonende Alternative zu den herkömmlichen Entrostungsverfahren auf Mineralsäurebasis. Mit ihm können Anwender beispielsweise eisenbasierte Werkstücke innerhalb von nur 3 min nach dem thermischen Entgraten bei einem pH-Wert von 5,5 vollständig reinigen. Untersuchungen des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung, Stuttgart, im Jahr 2000 hatten ergeben, dass das Produkt im Vergleich zu vier konventionellen Reinigern die Oberflächen schneller, sauberer und ohne Materialangriff reinigte. Die Siderophore sind aus nachwachsenden Rohstoffen fermentiert, sowohl recyclebar als auch vollständig biologisch abbaubar. Allergien oder andere Krankheiten sind selbst bei Menschen, die geschädigt sind, bei der Dialyse nirgends zu beobachten. Und last but not least: Zum Derouging ist das Produkt ebenfalls geeignet.

Zur Veranstaltung: Entwickeln im Sinne der Natur

Wer mehr über Bionik und ihre Anwendungsfelder lernen möchte, der kann dies am 8./9. Mai 2017 auf dem 3. Bionik-Kongress Baden-Württemberg tun, eine Veranstaltung der Hochschule Mannheim und des Landesmuseums für Technik und Arbeit in Mannheim.
Ort: Technoseum, Museumsstraße 1,
68165 Mannheim
Termin: 08. / 09. Mai 2017
Teilnahme: 200 bzw. 100 Euro für Vertreter von Hochschulen und gemeinnützigen Einrichtungen
Homepage: www.ibv.hs-mannheim.de

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Unternehmen

Hochschule Mannheim, Institut für biologische Verfahrenstechnik

Paul-Wittsack-Straße 10
68163 Mannheim
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