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Forschungs- und Entwicklungscampus der Münzing Chemie in Abstatt. (Bild: Münzing Chemie)

  • Die Münzing Chemie setzt gemeinsam mit dem Dienstleister Bilfinger ein Digitalisierungs-Projekt um, mit dem Anlagen über ihren kompletten Lebenszyklus erfasst werden sollen.
  • Als Basis für das Projekt hat Bilfinger eine neue MMO-Plattform entwickelt, über die Daten aus dem Engineering, der Leittechnik und der Sensoren mit Informationen zur Instandhaltung kombiniert und über Cloud-Services ausgewertet werden.
  • Münzing verspricht sich davon einen optimierten Anlagenbetrieb.

Mit 320 Mitarbeitern und 140 Mio. Euro Umsatz ist die in Abstatt bei Heilbronn beheimatete Münzing Chemie eines der knapp 2.000 mittelständischen Chemieunternehmen in Deutschland. Das 1830 gegründete Familienunternehmen produziert in Heilbronn und an weiteren Standorten in Deutschland, USA und China Additive – Entschäumer, Dispergiermittel, Wachse und andere. Neben der Formulierung entwickelt und synthetisiert der Hersteller seine Produkte in eigenen Reaktoren. Die Instandhaltung hat der Hersteller bereits 2009 an den Industriedienstleister Bilfinger ausgelagert und dabei gute Erfahrungen gemacht: „Es ging uns nie darum, nur Kosten zu sparen, sondern die Effizienz der Instandhaltung und unserer Anlagen zu steigern“, erläutert Dr. Michael Münzing, Geschäftsführer der Münzing Chemie, die Gründe für das Outsourcing und ergänzt: „Seit Bilfinger unseren Maintenance-Bereich übernommen hat, ist die Effizienz unserer Anlagen deutlich gestiegen.“

Digitalisierung von Engineering und Betriebsphase

Gemeinsam mit dem Dienstleister setzt der Additiv-Hersteller nun ein Digitalisierungs-Projekt um, mit dem die Anlage über ihren kompletten Lebenszyklus – vom Engineering bis zur Außerbetriebnahme – erfasst werden soll. Der Hersteller verspricht sich dadurch nicht nur weitere Verbesserungen in der Instandhaltung, sondern auch zusätzliche Potenziale, um die Anlageneffizienz und -verfügbarkeit zu steigern und gleichzeitig die gesetzlichen und betrieblichen Dokumentationspflichten zu erfüllen. Denn „Optimierung fängt schon beim Engineering an“, ist Produktionsleiter Dr. Andreas Heidbreder überzeugt.

Als Basis für das Projekt hat Bilfinger eine neue MMO-Plattform entwickelt, über die Daten aus dem Engineering, der Leittechnik und der Sensoren mit Informationen zur Instandhaltung kombiniert und über Cloud-Services ausgewertet werden. „MMO“ steht dabei für „Maintenance, Modifications & Operations“ und bezeichnet gleichzeitig eines der beiden Geschäftsfelder, die der Mannheimer Industriedienstleister mit seiner im März vorgestellten strategischen Neuausrichtung verfolgt. Um die Grundlagen für das Digitalisierungsprojekt zu legen, hat Bilfinger im zweiten Geschäftsfeld „Engineering & Technologies“ die Position des Chief Digital Officers geschaffen, die im März mit Franz Braun besetzt wurde. Braun, der zuvor Vorsitzender der Geschäftsführung von Bilfinger Maintenance war, ist überzeugt, dass die Digitalisierung die Rolle des Industrieservices deutlich verändern wird: „Viele Kunden erwarten eine interaktive Vernetzung und Einbindung der Serviceanbieter in ihre Kernprozesse.“

Dazu kommt, dass sich der Engineering- und Industriedienstleister zahlreiche Effekte davon verspricht, wenn künftig Informationen aus dem Anlagenbetrieb in den Engineeringprozess zurückfließen: „Wir wollen hin zur vorausschauenden Wartung. Und der logische nächste Schritt ist zu überlegen, wie man das Wissen aus der vorausschauenden Wartung bereits im Engineering nutzen kann“, erläutert Bilfinger-CEO Tom Blades. Konkret will der Dienstleister auf diesem Weg die Gesamtkosten von prozesstechnischen Anlagen reduzieren: „Wir wollen zukünftig Engineering und Maintenance stärker zusammenbringen“, so Blades, mit dem Ziel, ein neues Geschäftsmodell basierend auf den aggregierten Daten aus Instandhaltung und Engineering zu generieren.

Dokumentationspflichten und Optimierungspotenziale auf einen Streich

Mittelständische Betreiber wie der Additivhersteller aus Abstatt stehen dabei im Fokus. Am Münzing-Standort Heibronn übernimmt Bilfinger im Rahmen des Projektes die digitale Erfassung einer bestehenden Pulveranlage sowie zweier neu zu errichtender Chemiereaktoren. Die Lösung beinhaltet ein 3D-Modell, der digitale „Zwilling“ der Anlage. Der erste konkrete Nutzen für Münzing entsteht dabei dadurch, dass Details zur Anlage mit wenigen Klicks über die neu integrierte MMO-Plattform abrufbar sind und so gesetzliche und betriebliche Dokumentationspflichten erfüllt werden können. Zusätzlich werden alle Engineering-, Maintenance-, Produktions-, Umwelt- und Energiedaten während des gesamten Lebenszyklus der Anlage in der Plattform systematisch zusammengeführt und ausgewertet. Das Ziel: Aus dem entstehenden Datenportfolio sollen Potenziale für die Steigerung der Anlageneffizienz und -verfügbarkeit abgeleitet werden. Braun: „Wir führen alle Daten, die in dem Betrieb der Prozessindustrie anfallen, zusammen – auch das Erfahrungswissen der Mitarbeiter. Die dann digital vorhandenen Informationen können für Vergleiche genutzt werden.“

„Ziel des Projektes ist es, dass wir die im Betrieb vorhandenen Erfahrungen zusammenbringen, auf eine gemeinsame Plattform stellen und für die Mitarbeiter leicht zugänglich machen“, ergänzt Produktionsleiter Heidbreder: „Das soll so geschehen, dass man keine Experten braucht, weil die intelligente Software die großen Datenmengen auswertet und Vorschläge generiert.“

Plattform für die Verknüpfung von Engineering-, Betriebs- und Wartungsinformationen

Die MMO-Plattform erfasst dazu Informationen aus den Sektoren Engineering, Business Intelligence und Internet of Things. Die Engineering-Komponente umfasst detaillierte digitale Zwillinge der Chemiereaktoren, die derzeit gebaut werden. Die bei der Anlagenplanung anfallenden Datensätze werden nahtlos in die Betriebsphase übernommen. Die intelligente Verknüpfung von Informationen mit Anlagenobjekten in einer dreidimensionalen Visualisierung, z. B. einer Pumpe, kommt dabei sowohl der Dokumentation des Anlagenzustands als auch der Planung späterer Umbauten zugute. Zudem werden sämtliche Anlageninformationen zu der bestehenden Pulveranlage in die Plattform integriert. Künftig sollen außerdem alle technischen Änderungen in die digitalen Zwillinge eingepflegt und diese so auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Quasi als „Abfallprodukt“ können diese auch für virtuelle Trainings des Anlagenpersonals genutzt werden.
Den größten Nutzen erwarten die Projektbeteiligten allerdings aus der Dokumentation des Erfahrungswissens: Die MMO-Plattform soll künftig mit aktuellen Daten aus dem Betrieb und der Instandhaltung gespeist werden. Das Wartungspersonal dokumentiert hierzu via Smartphone Beobachtungen zum Anlagenzustand. Hinzu kommen vergangenheitsbezogene Produktionsdaten, beispielsweise wie hoch der Energieeinsatz bei der Produktion einer Chemikalie war und welche Qualität erreicht wurde. Weiterhin werden Echtzeitdaten ergänzt, die über die Internet-of-Things-Infrastruktur (IoT) gesammelt werden. Dazu gehören Sensorinformationen aus dem Prozess sowie Informationen über den Zustand einzelner Maschinenkomponenten.

In der MMO-Plattform werden alle diese Informationen zueinander in Beziehung gesetzt. So sollen Ursache- und Wirkungsketten sichtbar werden und Fehler frühzeitig identifiziert werden können. Konkret will man bei Münzing auf diese Weise erkennen, wenn Betriebszustände einer Anlage zu einer besonders starken Verschmutzung und in der Folge zu einem Schaden führen. Außerdem sollen die Sensoren und IoT-fähige Bauteile eine vorausschauende Wartung ermöglichen: Steht der Ausfall einer Komponente bevor, wird dies erkannt und die Komponente kann ausgetauscht werden, bevor es zu einem Anlagenstillstand kommt.

Für den Datenschutz und die Sicherheit vor Hackerangriffen soll der Einsatz sicherer Kommunikationstechnologien sorgen: Sensoren und Maschinen kommunizieren über den OPC-UA-Standard, die Daten werden in der SAP-Cloud in Deutschland gespeichert. Münzing kann zudem flexibel entscheiden, welche Daten mit der MMO-Plattform geteilt werden. Sensible Betriebsdaten werden nicht vom Instandhaltungspartner direkt erhoben, sondern müssen vom Betreiber explizit übertragen werden. „Alle Komponenten der Plattform basieren auf Standards, die am Markt verfügbar sind“, erläutert Franz Braun.

Für Tom Blades ist das Pilotprojekt wegweisend: „Über die Digitalisierung schaffen wir echten Mehrwert: Da wir viele Mittelständler bedienen, können wir Erfahrungswissen aggregieren und auf eine ganz andere Ebene bringen. Daraus entsteht für uns ein neues Geschäftsmodell.“

CT-Artikel: Bilfinger setzt auf Engineering und Maintenance.

Homepage Münzing Chemie.

 

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