April 2016

Es gibt nicht eine Claim-Management- Strategie, die immer für jedes Unternehmen und für jedes Projekt richtig ist. (Bild: Alexey Ivanov − I-Stock)

  • Claim- & Contract-Management beinhaltet ein breites Spektrum an Aspekten, die es gilt im Unternehmen umzusetzen und in der Organisation zu verankern.
  • Diese jeweiligen Aspekte sind keine Raketenwissenschaft, machen es aber aufgrund ihrer Wechselwirkungen untereinander notwendig, sie im Unternehmensalltag der Mitarbeiter zu verankern.
  • Solch eine Verankerung geschieht am besten, indem Führungskräfte aktiv Claim- & Contract-Management vorleben und die  Mitarbeiter für dessen Belange sensibilisieren.

Oftmals ist in Unternehmen des industriellen Projektgeschäfts zu hören, Claim- & Contract-Management seien Aufgaben von Einzelnen. Überwiegend wird genannt, die Rechtsabteilung sei hier federführend. Kann dieses Vorgehen zum Ziel führen? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, muss zunächst betrachtet werden, wann es im Projektgeschäft beginnen sollte. Antwort: So früh wie möglich. Warum? Der beste Claim ist der, der gar nicht erst auftritt. Also heißt es, bereits während der Auftragsvorbereitung (Sales-Phase) die vertraglichen Weichen richtig zu stellen. Dann sind während der Projektabwicklung die richtigen Instrumente für ein erfolgreiches Projekt vorhanden.

Claim- & Contract-Management benötigt einen Handlungsrahmen
Sinn und Zweck eines Leitbilds vom Claim- & Contract-Management ist es, allen an der Projektvorbereitung und -abwicklung beteiligten Mitarbeitern einen Handlungsrahmen für ihr Vorgehen im Tagesgeschäft zu geben. Gleichermaßen stellt das Leitbild sicher, dass firmenintern stets identisch vorgegangen wird (Organisations- und Methodenkonsequenz) und firmenextern die Vertragspartner Verlässlichkeit erfahren (Respekt- und Vertrauensstabilität).
Ein Unternehmen kommt zu diesem Leitbild, indem es drei Fragen beantwortet:
Welche Ziele verfolgen wir mit unserem Claim- & Contract-Management?
Welchen Anspruch haben wir an unser Claim- & Contract-Management?
Wie möchten wir, dass unser Claim- & Contract-Management von unseren Vertragspartnern (Kunden, Lieferanten, Kontraktoren) wahrgenommen wird?
Die Aggregation der Antworten auf diese Fragen kann beispielsweise „Erfolg durch Dialog“ lauten. Ein Leitbild muss stets durch die Unternehmensführung vorgegeben, vorgelebt und schließlich von den Mitarbeitern mitgetragen werden.
Leistungsfähiges Claim- & Contract-Management baut auf verschiedenen Aspekten auf, die in ihrem Zusammenspiel ausgewogen und reibungslos sein sollten, um erfolgreich zu sein. Es genügt zum Beispiel nicht, top ausgebildete Claim-Manager zu haben, wenn die Dokumentation claim-management-relevanter Aspekte während der Engineering-Phase oder auf der Baustelle aus Zeitmangel nicht stattfindet.

Voraussetzung: von Anfang an gut organisiert
Claim- & Contract-Management muss sowohl im Aufbau als auch im Ablauf organisiert werden. Für die Aufbauorganisation heißt dies unter anderem: Abwicklungsexpertise muss in die Vertragsgestaltung mit einfließen. Vorgenanntes kann geschehen, indem die Aufbauorganisation des Claim- & Contract-Managements in der Phase der Projektvorbereitung den beteiligten Rollen die geeigneten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen vorgibt.
Eine Vorbedingung für die Aufbauorganisation während der Projekt­abwicklung ist es, Rollenkonflikten aus dem Weg zu gehen. So sind Projektleiter, Bauleiter und Einkäufer besonders auf partnerschaftliche Beziehungen zu ihren Vertragspartnern angewiesen. Ein Claim ist ein Konflikt, dessen Behandlung auf den ersten  Blick partnerschaftliche Beziehungen stört. Diesen Konflikt gilt es, auf andere Rollen als die vorgenannten zu verlagern.
Für die Ablauforganisation ist relevant, dass das Kräfteverhältnis zwischen Auftraggeber und -nehmer sich im Projektverlauf kontinuierlich zu Gunsten des Auftraggebers verschiebt. Dies gilt es in der Ablauforganisation des Claim- & Contract-Managements zu berücksichtigen, zum Beispiel durch regelmäßige, vertraglich vereinbarte „Clarification Meetings“ zwischen den Vertragsparteien. Diese tragen zu einem „zeitnahen Claim-Redaktionsschluss“ bei, der Mehrforderungen übersichtlich und Abwicklungsstrategien flexibel hält und auch die Vertragsparteien nicht plötzlich mit großen Summen überfordert.

Geschäftsprozesse definieren
Die Ablauforganisation beschreibt auf einer Meta-Ebene die Geschäftsprozesse. Für das Claim- & Contract-Management heißt dies, dass damit zusammenhängende Arbeitsaufgaben in einem Unternehmen in ihrem Verlauf beschrieben und den Mitarbeitern bekannt gemacht werden müssen. Definieren Sie Geschäftsprozesse für:
Behandlung von Ablaufstörungen bzw. Abweichungen und deren Konsequenzen;
Identifikation, Definition und Kontrolle von Strategien;
Identifikation und Fortschreibung von Projekt-Risiken und entsprechender Abwehrmaßnahmen.
Das Wissen um diese Prozesse bei den Mitarbeitern und deren Einhaltung macht die Behandlung von Ablaufstörungen bzw. Abweichungen und deren Konsequenzen effizient und gibt allen Vertragsparteien Sicherheit in der Projekt­abwicklung.

Alles steht und fällt mit der Dokumentation
Projekte im Plant-Engineering sind überwiegend geprägt durch einen sehr hohen Anteil von technisch ausgebildeten Personen, die es gewohnt sind, in Diagrammen, Tabellen und Kennzahlen zu denken. Von diesem Personenkreis verfasste Claims sind daher oft eine bloße Darstellung von Zahlen in Tabellen und Schaubildern. Die Story und die Beweise dahinter fehlen meist. Es ist wichtig, in der Anmeldung bzw. Abwehr von Claims eine prüfbare Story – jenseits der Zahlen und Tabellen – zu erzählen. Dies sollte geschehen, indem im ersten Schritt die Anspruchsgrundlage (vertraglich bzw. gesetzlich) für einen Claim geprüft wird. Im zweiten Schritt wird die notwendige Dokumentation erstellt, zum Beispiel Behinderungsanzeige, Aufschreiben von Mehrstunden dem Grunde und der Höhe nach, Fotos etc. Nachdem die Ablaufstörung beseitigt wurde, wird die Claim-Anmeldung geschrieben: Darstellen des Sachverhalts; Darstellen der geltenden Anspruchsgrundlage; Beifügen der  relevanten Beweise.
Schon das Wort „Behinderungsanzeige“ klingt sperrig. Deshalb wird sie auch meist nicht gerne geschrieben. Sie klingt irgendwie nach Ärger. Wenn so gehandelt wird, wird vergessen, dass dieser Behinderungsanzeige drei Funktionen  zukommen:
Informationsfunktion: Sie setzt die andere Vertragspartei zeitnah darüber in Kenntnis, dass da ein Umstand ist, der Abweichungen vom Plan notwendig macht.
Warnfunktion: Sie warnt die andere Vertragspartei davor, dass für diese Konsequenzen drohen, die zeitlich und monetär nachteilig sein können.
Schutzfunktion: Sie schützt beide Vertragsparteien, indem sie den Rahmen für die behindernde Partei schafft, diese Ablaufstörung zu beseitigen und indem sie die anzeigende Partei ihrer Mitwirkungspflicht im Projekt nachkommen lässt. Gleichermaßen kann die Behinderungsanzeige anspruchswahrend für die anzeigende Partei wirken.
Die Behinderungsanzeige ist zwar nur einer der wichtigen Dokumentationstypen im Claim-Management, aber dafür ein unerlässlicher.

Kommunikation ist das A & O
Projektabwicklung geschieht jenseits des Papiers. Sie geschieht zwischen Menschen, die kommunizieren. Schriftlich, verbal oder „nicht-schriftlich“, „nicht-verbal“. Ganz im Sinne Paul Watzlawicks, der sagte: „Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist Verhalten, und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren“. Aus diesem Grund ist es wichtig, „kritische“ Belange, die menschlich als Affront – zum Beispioel eine Behinderungsanzeige – wahrgenommen werden könnten, „auf der Tonspur“ dem Empfänger vorab mitzuteilen. Ebenso sind klare Kommunikationswege für jede Rolle im Claim- & Contract-Management eines Unternehmens zu definieren. Hierzu zählen auch Wege von Dokumenten innerhalb des eigenen Unternehmens und zwischen Vertragsparteien.

Rechtliche Aspekte verständlich ausdrücken
Während der Phase der Projektvorbereitung geht es darum, das zwischen den Vertragsparteien wechselseitig geschuldete Leistungssoll zu schärfen;
Instrumente im Vertrag zu etablieren, die es erlauben, Konsequenzen aus Änderungen, Abweichungen und Ablaufstörungen sachgerecht und frühzeitig zu behandeln; Regelungen zwischen den Vertragsparteien zu vereinbaren, die es ermöglichen, im Streitfall schnell und kosteneffizient eine Einigung herbeizuführen.
Ist der Vertrag erst einmal in Kraft getreten, geht es letztendlich darum, alle Beteiligten für dessen Spezifika zu sensibilisieren. Hierfür bietet sich eine Vertrags-Checkliste in nicht-juristischer Sprache an, die Details zu Vertragsgegenstand, Fristen, Formerfordernissen, Kommunikationswegen, Mitwirkung, Strafen, Schadenersatz und Haftung verständlich aufzeigt.

Finanzen: Cashflow-Kurve sorgfältig planen
„Bargeld lacht“ meint der Volksmund. Dagegen halten lässt sich die Frage: „Aber zu welchem Preis?“. Stehen erbrachte Wertschöpfung durch die eine Vertragspartei und Höhe der gezahlten Vergütung durch die andere Vertragspartei in einem ungesunden Verhältnis, so ist dies für keinen von Vorteil. Ein frühzeitig „überzahltes“ Projekt kann dazu führen, dass zum einen der Auftragnehmer Bankgebühren in unnötiger Höhe und für einen unnötig langen Zeitraum entrichten muss. Zum anderen schwächt der Auftraggeber seine Liquidität und muss sich Kapital kostenintensiv beschaffen. Die Cash-Flow-Kurve in einem Projekt ist daher sorgsam zu planen.
Vertragsstrafe und pauschalierter Schadenersatz sind wichtige Instrumente. Ihre Ausgestaltung sollte jedoch nicht als Aufmunitionierung missverstanden werden. „Verträge sollten beiden Parteien Spaß machen“ ist eine Grundregel, die nur auf den ersten Blick flapsig erscheint.

Strategie muss maßgeschneidert sein
Es gibt nicht eine Claim-Management-Strategie, die immer für jedes Unternehmen und für jedes Projekt richtig ist. Vielmehr sollte es jeweils eine Strategie pro wesentlicher vertraglicher Schnittstelle geben. Diese sollte in regelmäßigen Abständen auf Gültigkeit überprüft und einer neuen Abwicklungssituation angepasst werden. Die Claim-Management-Strategie leitet sich aus dem für das Unternehmen gültigen Leitbild des Claim- & Contract-Managements ab. Das Finden und Überprüfen dieser Strategie sollte die Aufgabe des das Projekt abwickelnden Teams sein, damit die spezifischen Sichtweisen der Fachdisziplinen genügend Berücksichtigung finden. Aus der jeweiligen Strategie leitet das Team dann Einzelmaßnahmen ab, die beispielsweise „Kein Eigen-claim-Aufbau gegenüber dem Kunden bei Beträgen unter 5.000 Euro“ – auf Basis einer moderat aktiven Strategie – heißen.
Bedacht werden muss, dass Strategie auch bedeutet, Vorgehensweisen und Rollenverteilung in Verhandlungen von Verträgen und Claims vorzubereiten. Faustregel hierbei ist, eine Stunde Verhandlung benötigt zehn Stunden Vorbereitung.
Fazit: Man sieht, Claim- & Contract-Management beinhaltet ein breites Spektrum an Aspekten, die es gilt im Unternehmen umzusetzen und in der Organisation zu verankern. Diese jeweiligen Aspekte sind keine Raketenwissenschaft, machen es aber aufgrund ihrer Wechselwirkungen untereinander notwendig, sie im Unternehmens­alltag der Mitarbeiter zu verankern. Solch eine Verankerung geschieht am besten, indem Führungskräfte aktiv Claim- & Contract-Management vorleben, die  Mitarbeiter für dessen Belange sensibilisieren und die Einhaltung des Leitbildes sowie der in einer Arbeitsanweisung dokumentierten Regularien einfordern.
Eine Maxime sollte jedoch stets gelten: „Claim- & Contract-Management sind Instrumente der Vertragserfüllung und keine Werkzeuge des Streits“.

Mehr über Claim & Contract Management erfahren Sie hier

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