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(Bild: chaiyapruek / Thomas Sereda – Fotolia)

  • Chemieanlagenbau hat Konjunktur: die globalen Chemieunternehmen investieren derzeit große Summen in den Ausbau ihrer Produktionskapazitäten.
  • Allerdings vollzieht sich im Chemieanlagenbau derzeit ein Strukturwandel. Immer größere Projekte zwingen die Anbieter dazu, immer größere Risiken zu übernehmen.
  • Neben Services hat der Anlagenbau die Digitalisierung inzwischen als mögliches Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb erkannt.

Wachstum zwingt zur Größe: Das im Herbst 2017 im saudischen Jubail fertiggestellte Megaprojekt Sadara markiert einen weiteren Meilenstein des globalen Chemie-Booms: Mit der 20 Mrd. US-Dollar teuren Investition stellen sich die Projektpartner Saudi Aramco und Dow Chemicals auf die weiter wachsende Nachfrage nach Chemikalien ein. Marktforscher schätzen, dass der Bedarf an Chemieprodukten in den kommenden zwei Jahrzehnten jährlich um 4,0 bis 4,5 % wachsen wird.

Die Chemiekonzerne begegnen dem mit immer weiteren und zum Teil auch immer größeren Investitionen: So will der Ölkonzern Saudi Aramco gemeinsam mit dem Kunststoffhersteller Sabic in den kommenden Jahren einen Oil-to-Chemical-Komplex bauen – Kostenpunkt 20 Mrd. Dollar. Zusammen mit dem französischen Energie­konzern Total plant der saudische Branchenprimus eine Ethylen-Propylen-Anlage für 5 Mrd. Dollar. Adnoc – der staatliche Ölkonzern von Abu Dhabi – hat angekündigt, seine Produktionskapazität für Petrochemie bis 2025 auf 11,4 Mio. Tonnen pro Jahr verdreifachen zu wollen.

Aber nicht nur im Mittleren Osten werden spektakuläre Projekte angeschoben. In den USA hat der Schiefergas-Boom dazu geführt, dass neue Petrochemieprojekte realisiert werden: Allein 2017 wurden vier neue Ethan-Cracker fertiggestellt, vier weitere sind im Bau und sollen bis 2019 in Betrieb gehen. Doch eine zweite Investitionswelle rollt bereits an: Für fünf weitere Cracker wird die wirtschaftliche Machbarkeit geprüft. Der amerikanische Chemieverband ACC schätzt, dass die jährlichen Investitionsausgaben der amerikanischen Chemieunternehmen von 40,8 Mrd. Dollar in 2016 auf 58,6 Mrd. Dollar in 2021 steigen werden. 294 aktuelle Vorhaben mit einem Gesamtwert von 179 Mrd. Dollar zählte der Verband im Frühjahr.

Auch die europäische Chemie hat ihre Ausgaben für Produktionserweiterungen und neue Anlagen in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert: Der europäische Chemieverband Cefic schätzt, dass sich die Investitionen der globalen Chemie zwischen 2005 und 2015 mehr als verdreifacht haben – ohne den Mittleren Osten, für den keine Zahlen vorliegen, stieg 2015 das Investitionsvolumen der Chemienationen auf über 170 Mrd. Euro an. Zum Vergleich: Die Investitionen deutscher Chemiehersteller erreichten 2017 rund 16 Mrd. Euro.

Der Rohstoffbedarf der bestehenden und neuen Produktionskapazitäten hat Folgen: Er wird weitere Investitionen im Öl- und Gassektor nach sich ziehen. Die Internationale Energieagentur IEA schätzt, dass die Petrochemie bis 2040 den Kraftstoffsektor als Wachstumstreiber für die globale Nachfrage nach Rohöl ablösen wird. Die Chemie wird dann täglich 15,7 Mio. Barrel Öl benötigen – 47 % mehr als noch im Jahr 2015.

Strukturwandel im Chemieanlagenbau

Für den Chemieanlagenbau sind das erst einmal gute Nachrichten. Allerdings vollzieht sich hier seit einigen Jahren ein deutlicher Strukturwandel: Immer größere Projekte erfordern die Bereitschaft, große Risiken zu übernehmen. Außerdem wünschen sich die Investoren und Anlagenbetreiber globale Partner, die von der Machbarkeitsstudie bis zur Inbetriebnahme Gesamtverantwortung und häufig auch die Finanzierung übernehmen. Europäische und vor allem deutsche Anlagenbauer sind dafür inzwischen meist zu klein.

Letztere klagen bereits seit Jahren über einen hohen Wettbewerbsdruck und rechnen – so eine aktuelle Studie des Maschinen- und Anlagenbauverbands VDMA – mit weiter wachsender Konkurrenz auf den Weltmärkten. Vor allem Anlagenbauer aus China, Westeuropa und den USA werden als Wettbewerber im Rennen um Großprojekte wahrgenommen. Und je nach Technologie und spezieller Ausrichtung hat den Unternehmen in den vergangenen Jahren auch der niedrige Ölpreis zugesetzt, wenn Kunden geplante Investitionen gestoppt oder hinausgezögert hatten.
Immer wieder sind restriktive Rahmenbedingungen für Finanzierungen und die fehlende Bereitschaft, alternative Finanzierungsleistungen anzubieten, die Gründe dafür, wenn deutsche Anbieter in EPC-Projekten nicht zum Zuge kommen. Wie wichtig dieser Faktor ist, hat das Beratungsunternehmen PWC in einer aktuellen Studie festgestellt: Demnach werden in jeder vierten Projektanfrage durch den Auftraggeber auch Finanzierungslösungen angefragt.

Und obwohl die globale Chemie immer mehr investiert, fehlen dem Anlagenbau mit dem Trend zu immer größeren Anlagen zunehmend Projekte mittlerer Größenordnung. So sucht beispielsweise der EPC-Anlagenbau deutscher Prägung deshalb nicht nur nach Differenzierungsmerkmalen, sondern auch nach neuen Geschäftsmodellen. Die Engineeringunternehmen wollen beispielsweise ihr Geschäft mit betriebsnahen Services ausbauen und mit Technologie punkten. Und der Markt dafür wächst: Der Industriedienstleister Bilfinger schätzt, dass es bis 2020 in Europa, Nordamerika und dem Mittleren Osten über 11.000 Chemie- und Pharmaanlagen geben wird, die älter als zehn Jahre sind, und für die Modernisierungsmaßnahmen erforderlich werden. Für die Unternehmen des Anlagenbaus ist das Servicegeschäft auch deshalb attraktiv, weil sie ihren Umsatz dadurch verstetigen können.

Digitalisierung: Differenziator und Treiber für neue Geschäftsmodelle

Neben Services hat der Anlagenbau die Digitalisierung inzwischen als mögliches Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb erkannt. In der aktuellen Studie „Potenziale von Industrie 4.0 im Großanlagenbau“ des Verbands VDMA rechnen zudem 72 % der befragten Anlagenbauer damit, dass sich mit neuen, digitalen Produkten und Dienstleistungen höhere Umsätze erzielen lassen. Durchgängige und standardisierte Schnittstellen in den verschiedenen Gewerken des Planungsprozesses werden außerdem als Effizienztreiber gesehen.

Bislang hapert es im Engineering von Chemieanlagen allerdings an der mangelnden Daten-Durchgängigkeit: Die IT-Landschaft ist stark diversifiziert, der Aufwand für das Managen von Schnittstellen ist riesig. Dazu kommen von Unternehmen zu Unternehmen stark individualisierte Prozesse und Abläufe, die nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen erschweren, sondern auch das Etablieren von Standards, wie sie für eine erfolgreiche Digitalisierung notwendig sind.

Bei Chemieanlagenbauern wie Thyssenkrupp Industrial Solutions weiß man, dass Ingenieure heute bis zu 40 % ihrer Zeit damit verbringen, auf Baustellen Material und Dokumente zu suchen. Inkonsistente Daten und Änderungen sind für 20 % der Kostenüberschreitungen und Verspätungen verantwortlich. Dieses Potenzial wollen die Anbieter heben und darüber hinaus durch Digitalisierung neue Geschäftsmodelle etablieren. Dazu sollen auch bereits bestehende Datenbanken ausgewertet werden.

Der Technologiekonzern Linde hat dazu eigens ein Digitalsierungsteam aufgestellt, das gemeinsam mit Experten aus den Geschäftsbereichen digitale Produkte entwickeln soll. Zu den ersten Projekten gehört ein neues Service-Portal für Anlagenbetreiber, das die Ersatzteilbeschaffung deutlich vereinfachen soll. Ausgehend vom R&I-Schema, dessen Details in den Linde-Datenbanken vorhanden sind, entsteht dabei zunächst ein elektronischer Marktplatz für Ersatzteile. Künftig sollen anhand von Datenströmen auch Störungen vorhergesagt und die Wartungsplanung über das Service-Portal abgewickelt werden.

Neue Formen des Projektmanagements

Doch die Geschwindigkeit, mit der solche Entwicklungen in der digitalen Welt vorangetrieben werden, erfordert eine neue Art des Projektmanagements: Während bei der klassischen Anlagenplanung zunächst alle Projektziele im Detail definiert und beschrieben werden, starten Digitalisierungsprojekte bereits, bevor alle Funktionen des späteren Produkts festgelegt sind. Dazu ist agiles Projektmanagement gefragt – die dafür etablierten Projektmanagement-Methoden wie zum Beispiel „Scrum“ könnten künftig auch die im Engineering genutzten Werkzeuge zur Projektführung ergänzen.

Dass es sich lohnt, etablierte Methoden für die Abwicklung von Projekten zu überdenken, zeigt das Beispiel des Spezialchemiekonzerns Evonik: Diesem ist es durch eine neue Vorgehensweise in der Projektabwicklung gelungen, in Anlagenprojekten 15 % der Investitionskosten einzusparen. Der Trick: Während klassisch der Fokus der Projektsteuerung auf der Durchführungsphase liegt, werden beim neuen Ansatz die Projekte früher detailliert definiert und Projektrisiken intensiver bewertet. Zudem richtet sich der Projektumfang nun nach den minimalen Erfordernissen des Geschäfts und nicht mehr nach Ausbauoptionen. Da Chemieprozesse in Deutschland und Europa überwiegend auf eigenen Technologien der Chemieunternehmen basieren, sollen künftig Prozessentwicklung und Engineering als ein zusammenhängender Prozess durchgeführt werden. Die Prozessentwicklung soll durch moderne Konzepte künftig deutlich verkürzt werden. Modularisierung und Digitalisierung sind hier die Schlüsselworte. Kernprozesse könnten so künftig auf modularen Plattformen basieren, an die Stelle des heutigen Engineering tritt das deutlich einfachere Konfigurieren von Modulen. Die technischen Grundlagen dafür werden derzeit geschaffen und auch in Pilotanlagen untersucht.

Fazit: Die Rahmenbedingungen im Chemieanlagenbau verändern sich. Dem steigenden Wettbewerbsdruck begegnen die Unternehmen des Anlagenbaus mit einer Neujustierung ihres Geschäftsmodells, bei dem Services über den Lebenszyklus einer Anlage eine größere Rolle spielen. Dazu kommen neue Methoden für die Projektabwicklung und die Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Letztere soll zudem die Grundlage für neue künftige Geschäftsmodelle liefern. 1803ct901

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