September 2014
  • Für den Spezialchemikalienhersteller Sigma-Aldrich wurde zur Abluftreinigung eine zukunftssichere Gesamtlösung realisiert.
  • Sie überzeugt durch geringe Energiekosten sowie konstant niedrige Reingaswerte trotz stark schwankender Rohgaskonzentrationen.
  • Hinzu kommen eine kostengünstige Materialwahl beim Korrosionsschutz, eine Montage ohne Produktionsunterbrechung sowie ein 24/7-Service.

In der Produktionsstätte im schwäbischen Steinheim wird eine Vielzahl unterschiedlicher organischer Chemikalien hergestellt bzw. veredelt – einige Spezialitäten für den gesamten Konzernbedarf werden nur in diesem Werk produziert.
Aufgrund des breiten Produktionsprogramms sind in der Abluft nicht nur viele unterschiedliche Schadstoffe wie etwa HCl, HBr, NH3, Br2, Cl2, H2S, Amine und eine Vielzahl von gängigen Lösemitteln, wie beispielsweise Toluol, Xylol, Methanol, Dichlormethan oder TBM, enthalten. Es ist auch nicht planbar, wann und in welcher Menge und Zusammensetzung diese anfallen. Alles in allem eine besondere Herausforderung für eine leistungsfähigere Abluftreinigung, die laut Kundenvorgabe auch neue Maßstäbe hinsichtlich Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit setzen sollte.

Ausschreibung im Dialog optimiert
Die Grobplanung sowie die Spezifikation des neuen Abluftreinigungssystems erstellte ein externes Ingenieur­unternehmen im Auftrag von Sigma-Aldrich. Dessen Ausschreibung für die Anlagentechnik sah zwischen Vor- und Nachwäschern eine Thermische Nachverbrennung mit rekuperativer Wärmerückgewinnung vor – eine Lösung, für die Dr. Bernd Schricker, Leiter Verfahrenstechnik/F&E der LTB, jedoch bessere Alternativen sah. Besonders intensiv diskutiert wurde der Einsatz einer Regenerativen Thermischen Oxidation (RTO) anstelle der Thermischen Nachverbrennung (TNV). Wesentlicher Vorteil einer RTO ist der sehr hohe thermische Wirkungsgrad, denn über 90 % der thermischen Energie im Rauchgas werden wieder zur Vorwärmung der Abluft genutzt. Diesen Wert erreicht keine TNV mit klassischem Wärmeübertrager. Allerdings hat eine RTO gewisse Kompromisse im Produktspektrum zur Folge, beispielsweise den Ausschluss siliziumorganischer Verbindungen in der Abluft.
Um die Wirtschaftlichkeit der Abluftreinigung zu optimieren, diskutierte man mit Sigma-Aldrich auch, ob und wie Produktionsprozesse angepasst werden können, um den Aufwand für die Anlagentechnik der Abluftreinigung zu begrenzen. Ziel war es, eine konstante Zusammensetzung des Abluftstroms zu erreichen und bestimmte Schadstoffe zu vermeiden. „Extreme Peaks im Volumenstrom konnten wir beispielsweise bereits durch einfache organisatorische Maßnahmen verhindern. Den Wegfall problematischer siliziumorganischer Verbindungen, deren Oxidationsprodukt SiO2 (Sand) enge Kanäle von Wärmetauschern verstopft, erreichten wir mit der Anpassung unserer Produktionsprozesse“, erklärt Dr. Mark Rucker, Betriebsleiter im Steinheimer Sigma-Aldrich-Werk. Dies war Voraussetzung für den Einsatz einer kostengünstigeren RTO-Anlage der Marke Roxitherm anstelle einer klassischen TNV.
Im Vorfeld wurde schließlich in einem gemeinsamen Hazop-Gespräch (Hazard and Operability Study) auch systematisch analysiert, wie das neue Abluftreinigungskonzept sicher auf alle erdenklichen Störungen reagiert.
Für die Übernahme der Abgase aus unterschiedlichen Quellen, wie Batch-Reaktoren, Vakuumpumpen oder Laborabzugshauben, sorgen zwei redundante, für Ex-Zone 2 ausgelegte Ventilatoren mit einem variablen Volumenstrom von 300 bis 6.300 m3/h. Die Umschaltung der korrosionsfesten Ventilatoren erfolgt automatisch.

Vorwäscherkolonnen für saure und basische Schadstoffe
In zwei mit ebenfalls redundanten Kreislaufpumpen betriebenen Vorwäscherkolonnen werden NH3, Amine, HCl, Cl2 und Br2 abgeschieden. Diese Schadstoffe werden mit Säure oder Lauge neutralisiert. Auch Aerosole, die bei der Abluftwäsche entstehen, werden entfernt.

Ex-Schutz nach FTA-Prinzip mit hoher Verfügbarkeit
Abgase, die zeitweise ein explosionsfähiges Gemisch bilden können, müssen besonders überwacht werden. Drei Flammen-Temperatur-Analysatoren (FTA) werden hierzu nach dem „Zwei-aus-Drei“-Prinzip eingesetzt. Für maximale Sicherheit sorgen zwei Messgeräte, das dritte steigert noch die Verfügbarkeit: Damit ein Betrieb möglich ist, müssen zwei von drei Messungen an der unteren Explosionsgrenze (UEG) ohne Grenzwertüberschreitung sein – das dritte Messgerät kann gestört sein oder eine Fehlmessung liefern, die Anlage schaltet dann aber noch nicht ab. Im Falle einer UEG-Überschreitung wird zunächst gezielt Frischluft zugeführt und/oder die Nachverbrennungsanlage umfahren. Um auch in diesem Fall eine Mindestreinigung zu gewährleisten, wird das Abgas jedoch immer durch die Vorwäsche geleitet.

Aerosolabscheidung über Filterkerzen
Aufgrund der teilweise hohen Konzentrationen an sauren Schadstoffen kann es zur Übersättigung in der Abluft kommen. Dadurch ist die Bildung von Aerosolen möglich. Um Korrosion an folgenden Anlagenteilen zu verhindern sowie Emissionsgrenzwerte einzuhalten, werden Reaktionsaerosole und Säurenebel in einem Aerosolfilter abgeschieden. Dieser besteht aus drei speziell ausgeführten Filterkerzen.

RTO aus GFK mit Wabenbrand-Früherkennung
Je nach Abgas- und Umgebungstemperatur kondensiert das wasserdampfgesättigte Abgas, das in die RTO geführt wird. Da bei einer RTO prinzipbedingt der Eintrittsbereich auch gleichzeitig der Austrittsbereich des in der Brennkammer gereinigten Gases ist, können sich in dem Kondensat die sauren Gasbestandteile aus der Verbrennung (HCI, HBr und HF) lösen und zu Korrosion führen. Deshalb muss die RTO aus korrosionsfesten Materialen bestehen – oftmals sehr teures Hastelloy.
Deutlich kostengünstiger ist die Ausführung in glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK). Dabei wird der gesamte Ein- und Austrittsbereich der RTO, also der Teil unter den Regeneratorbetten, in GFK ausgeführt. Allerdings dürfen dabei Temperaturen von rund 160 °C nicht überschritten werden. Im Normalbetrieb ist dies unproblematisch, da aufgrund des sehr guten thermischen Wirkungsgrades die Reingastemperatur immer noch deutlich unter 100 °C liegt.
 
RTO-Klappenkasten aus GFK
Bei sehr hohen VOC-Beladungen im Abgas, d. h. bei einem hohen Energiegehalt, kann jedoch die Temperatur über 160 °C ansteigen. Um dies zu verhindern, ist bei der RTO ein spezielles Temperaturregelungssystem installiert, das bei Überschreiten einer bestimmten Brennkammertemperatur einen sogenannten „heißen“ Bypass“ öffnet. Dabei wird ein Teil des verbrannten Gases am Wärmeübertrager und dem GFK-Austrittsbereich der RTO vorbeigeführt.
Diese Regelung verhindert darüber hinaus den sogenannten „Wabenbrand“, der bei hohen VOC-Konzentrationen in RTO-Systemen manchmal auftreten kann. Ein starker Wabenbrand kann  unter Umständen dazu führen, dass die Temperatur im Verbrennungsraum sinkt, gleichzeitig aber in den Regeneratorbetten steigt. Durch die Wabenbrandregelung wird dieser Effekt deutlich reduziert und damit ein gleichmäßigerer und energieoptimierter Betrieb erreicht.
Da sich in der zu behandelnden Abluft Schadstoffe befinden, die im unteren Bereich der Wärmeübertragerbetten kondensieren können, wurde in die Anlagenfunktion ein Steam-out-Programm implementiert. Dies entspricht prinzipiell der bei RTO-Anlagen bekannten Bake-out- bzw. Burn-out-Funktion, mit der Ablagerungen im unteren Teil des Regenerators durch Temperaturerhöhung beseitigt werden. Bei der Bake-out-/Burn-out-Funktion wird dabei in diesem Bereich eine Temperatur von 350 bis 450 °C erreicht. Da das für den Werkstoff GFK zu hoch ist, ist diese Funktion hier auf <180 °C beschränkt. Der „Steam-out" ist für die möglichen Verunreinigungen in diesem Anwendungsfall ausreichend.

Quench und Nachwäsche
Das aus der Verbrennung austretende Heißgas wird über einen Grafitquench und einen nachgeschalteten basischen Wäscher geführt. Schadstoffe, die bei der Verbrennung der organischen Komponenten entstehen, werden so abgetrennt. Die Heißgase werden zunächst im Quench auf etwa 50 °C abgekühlt und saure Bestandteile in der Abluft wie HCI, CI2, HBr, Br2, HBr oder SO2 über den letzten basischen Nachwäscher entfernt. Um eine hohe Verfügbarkeit sicherzustellen, verfügt der Nachwäscher wie die Vorwäsche über redundante Kreislaufpumpen.

Montage ohne Betriebsunterbrechung
Das Minimieren der Produktionsausfallzeiten während der Montage der neuen Abluftreinigungsanlage war Sigma-Aldrich äußerst wichtig, da zahlreiche Produkte ohne Abgasreinigung überhaupt nicht produziert werden dürfen. Als Zwischenlösung wurde während der Demontage des alten Wäschersystems eine mobile Füllkörperkolonne installiert. Auf diese Weise konnte die Produktion wichtiger Kernprodukte unterbrechungsfrei weiterlaufen – bei einer nur eintägigen Umschlussdauer auf das neue System.
Die gewählte Auslegung mit zahlreichen Redundanzen, Sensoren und der automatischen Steuerung stellt systembedingt eine sehr hohe Verfügbarkeit sicher. Treten dennoch Störungen auf, gibt es einen Service rund um die Uhr – übrigens mit denselben Mitarbeitern, die auch die Wartung durchführen und entsprechend gut mit der Anlage vertraut sind.

Sehr gute Reingaswerte und niedrige Betriebskosten
Fazit: VOC-Messungen im Roh- und Reingasbereich belegen die Leistungsfähigkeit des neuen Abgasreinigungskonzepts im täglichen Betrieb: Auch bei doppelt oder dreifach über den Normalwerten liegenden VOC-Rohgasspitzen von über 12 % der UEG liegt die C-Beladung im Reingas meist deutlich unter 20 mg/m3. Gegenüber der ausgeschriebenen Thermischen Nachverbrennung sinken die Energiekosten mit der Roxitherm-Lösung von rund 600.000 Euro auf 60.000 Euro jährlich. Die gesamte Projektabwicklung einschließlich Realisierung und Service aus einer Hand ermöglicht nicht nur erheblich niedrigere Betriebskosten, sondern ist auch sicherer und zuverlässiger.

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