• Zehn Prozent des gesamten Stromverbrauches in Deutschland entfallen auf die Chemie, rund 4,6 Milliarden Euro gibt die Chemieindustrie in Deutschland jährlich für die verschiedenen Energieträger aus.
  • Solange die Preise lediglich von den Öl- und Gaskosten abhängen, herrschen standortübergreifend und international vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Doch häufig wird der Wettbewerb durch lokale Monopole und Oligopole behindert.
  • Um ihren Standorten wettbewerbsfähige Energiekosten zu sichern, bauen derzeit zahlreiche Industrieparkbetreiber eigene Erzeugungskapazitäten für Strom und Dampf auf.
  • Neben Gas- und Dampf-Kraftwerken geht der Trend vor allem zur Errichtung von Ersatzbrennstoff-Kraftwerken.

Gemessen am Bruttoproduktionswert der chemischen Industrie nimmt sich der Verbrauch an Brenn- und Treibstoffen, Elektrizität, Gas und Wärme fast schon bescheiden aus: Lediglich drei Prozent der Gesamtkosten eines Chemieunternehmens entfallen im Durchschnitt auf diese Energien. In absoluten Zahlen gerechnet sieht die Situation jedoch schon anders aus: ZehnProzent des gesamten Stromverbrauches in Deutschland entfallen auf die Chemie, rund 4,6Milliarden Euro gibt die Chemieindustrie in Deutschland jährlich für die verschiedenen Energieträger aus – eine Summe, die nahezu das Niveauerreicht, das die Chemie jährlich in neue Anlagen investiert. Und je nach Produkt kann der Anteil auch noch wesentlich höher sein. „Mehr als 60Prozent unserer Kosten sind Energiekosten“, berichtet beispielsweise Konrad Syska, Werksleiter der Chlor-Alkali-Elektrolyse bei Akzo Nobel Base Chemicals in Bitterfeld. Und – so Syska – in den vergangenen zwei Jahren sind die Stromkosten um mehr als 60 Prozent gestiegen.

„Energiepolitik ist Standortpolitik!“, bringt es Helmut Weihers, Geschäftsführer der InfraServ Knapsack auf den Punkt. So lange die Preise lediglich von den Öl- und Gaskosten abhängen,herrschen standortübergreifend und international vergleichbare Wettbewerbsbedingungen. Doch häufig wird der Wettbewerb durch lokale Monopole und Oligopole behindert. Eine Situation, die die Attraktivität eines Standorts deutlich mindern kann. Und so engagieren sich derzeit zahlreiche Standorte alleine oder in Kooperation mit Energieversorgungsunternehmen, um eigene Erzeugungskapazitäten für Strom und Dampfaufzubauen und sich damit weitgehend unabhängig zu machen.
„Wir organisieren den Wettbewerb unter den Energieversorgern“, verdeutlicht Matthias Gabriel, Geschäftsführer des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen ein Ziel. Dazu plant der Standortbetreiber gemeinsam mit den Stadtwerken Hannover ein neues Ersatzbrennstoff-Kraftwerk zu bauen. Gabriel: „Allein durch die Ankündigung sind die Dampfpreise bereitsgesunken.“

Eigenerzeugungsquote von 65 Prozent angestrebt

Auch andernorts gewinnt die Sicherung der Strom- und Dampfversorgung anBedeutung. „Wir wollen die eigene Erzeugungsquote auf 65Prozent steigern“, erklärt Dr. Roland Mohr, Geschäftsführer der Infraserv Höchst. Rund 300Mio.Euro investiert der Standortbetreiber derzeit in ein Ersatzbrennstoff-Kraftwerk, das eine Leistung von 70Megawatt erreichen und 250Tonnen Dampf pro Stunde erzeugen soll und dessen Inbetriebnahme Ende 2008 geplant ist. Diesichere Dampfversorgung – so Mohr – soll auch bei der Standortentschei-dung für die aktuelle Neuansiedlung der POM-Produktionsanlage des Kunststoff-herstellers Ticona eine wichtige Rolle gespielt haben.

Überhaupt gewinnen Ersatzbrennstoffe für die Energieerzeugung insbesondere in Industrieparks deutlich an Bedeutung. Auch der Betreiber des Industrieparks Gersthofen, IGS, eine Tochtergesellschaft der MVV Energiedienstleistungen, plant die Errichtung einesErsatzbrennstroff-Kraftwerkes. Bei den sogenannten Ersatzbrennstoffen handelt es sich um die zuvor sortierten und aufbereiteten, heizwertreichen Anteile von Haus- und Gewerbeabfällen, die seit Mitte 2005 in Deutschland nicht mehr deponiert werden dürfen.
Strom aus Müll ist auch am Chemiestandort Leuna ein wichtiger Bestandteil im Energiemix. MVV Energie hat dort über 160Mio. Euro in eine Müllverbrennungsanlage investiert, deren zweite Stufe in 2007 in Betrieb gegangen ist und die jährlich bis zu 1,4Mio. Tonnen Müll verwertet. Im Chemiepark Knapsack in Hürth bei Köln soll Ende 2008 ebenfalls ein Ersatzbrennstoff-Kraftwerk in Betrieb gehen, das jährlich bis zu 30Megawatt Strom oder 500000 Tonnen Dampf produzieren soll. Mitte 2007 wurde in Knapsack bereits ein Gas- und Dampfkraftwerk mit einer Leistung von 800 Megawatt in Betrieb genommen. „Die Energie dieses Spitzenlast-Kraftwerkes geht komplett in die Verstromung“, erklärt dazu Heiko Diermann, Leiter des Standortmarketings bei Infraserv Knapsack.
Im von Bayer MaterialScience betriebenen Industriepark Brunsbüttel baut GWE ein Industrieheizkraftwerk auf Basis der Ersatzbrennstoff gefeuerten Wärme-Kraft-Kopplung, das Ende 2009 in Betrieb gehen soll. In den Industrieparks Lingen sowie in Griesheim sollen GUD-Kraftwerke mit 876 (RWE) bzw. 400 Megawatt (Nuon) Leistung entstehen. Im Industriepark Schwarze Pumpe in Spremberg baut Vattenfall Europe eine Pilotanlage für ein CO2-freies Kraftwerk das 2008 in Betrieb gehen soll.

Ersatzbrennstoff, Biomasse, Wasserstoff

Einige Industrieparks denken jedoch auch schon über ganz neue Konzepte zur Energieversorgung nach. Neben fossilen und Ersatzbrennstoffen geht es um die Verwertung von Biomasse oder sogar Wasserstoff. So wird in den Planungskonzepten für den Ersatz eines Kraftwerks im Industriepark Zeitz, das 2012 außer Betrieb gehen soll, neben Braunkohle und Ersatzbrennstoff auch die Verwertung von Biomasse geprüft. „Wir wollen unseren Standort zur ‚Bioraffinerie Zeitz‘ weiterentwickeln,“ erklärt dazu der Geschäftsführer Dr. Peter Schwarz. Vor kurzem in Betrieb gegangen ist imIndustriepark Höchst eine Co-Fermentationsanlage, bei der industrielle Klärschlämme zu Biogas vergären. Das 15 Mio. Euro teure Investment dient einerseits der Entsorgung eigener Schlämme im Industriepark, andererseits werden pro Tag 30000 Kubikmeter Biogas produziert und in Blockheizkraftwerken in jeweils ca. vier Megawatt Strom und Wärme umgewandelt.

Auch bei der Nutzung von Wasserstoff als Energieträger spielen Industrieparks wie Höchst, Knapsack oder Leuna ganz vorne mit. So entwickelt Infraserv Knapsack derzeit Pläne für ein Brennstoffzellen-Kraftwerk, bei dem vor Ort aus der Chlor-Alkali-Elektrolyse vorhandener Wasserstoff als Rohstoff zum Einsatz kommen soll. Unterstützt wird das Vorhaben von der in Knapsack gegründe-ten Interessengemeinschaft Wasserstoff (IGH2), einem Netzwerk aus Chemie- und Industrieunternehmen, dem Gründerzentrum und den Stadtwerken Hürth.

Doch nicht nur die Industrieparks sind derzeit von Kraftwerksprojekten geprägt. Insgesamt waren Ende 2006 in Deutschland 53 Kraftwerksprojekte in Bau oder Planung, die zusammen eine Leistung von 31400 Megawatt darstellen. Nach Schätzung des Verbandes der Elektri-zitätswirtschaft werden in das Bau-programm bis zum Jahr 2020 rund 27,5 Milliarden Euro investiert werden. Dabei sind Anlagen kleiner 20Megawatt Leistung gar nicht erfasst. Interessant dabei ist, dass etwa die Hälfte der Kraftwerksprojekte von neuen Marktteilnehmern – darunter den Betreibern der Industrieparks – geplant werden. Eine Tatsache, die dem Wettbewerb und damit den Ansiedlern in den Industrieparks zugute kommen wird.

„Energiepolitik ist Standortpolitik!“
Helmut Weihers ist Geschäftsführer der InfraServ Knapsack
„Wir wollen die eigene Erzeugungsquote auf 65 Prozent steigern“
Dr. Roland Mohr ist Geschäftsführer der Infraserv Höchst
„Allein durch die Ankündigung, ein EBS-Kraftwerk zu bauen, sind die Dampfpreise bereits gesunken“
Matthias Gabriel ist Geschäftsführer des Chemieparks Bitterfeld-Wolfen
„Wir wollen unseren Standort zur ‚Bioraffinerie Zeitz‘ weiterentwickeln“
Dr. Peter Schwarz ist Geschäftsführer des Industrieparks Zeitz

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