September 2013
Bild: © Mopic – Fotolia.com

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Solche Denk- und Verhaltensgewohnheiten sind nichts Schlechtes. Im Gegenteil; sie halten den Betrieb am Laufen. Personen und Organisationen benötigen sie, um ihren Alltag zu meistern. Denn sonst würden sie endlos viel Zeit und Energie auf Standardaufgaben verwenden. Zum Problem mutieren Routinen erst, wenn Mitarbeiter die damit verbundene Art, Aufgaben zu lösen, als die einzig mögliche erachten und nicht mehr hinterfragen. Und auch dann noch beibehalten, wenn beispielsweise aufgrund veränderter Rahmenbedingungen ein anderes Vorgehen nötig wäre.

Die Angst überwinden
Personen und Organisationen fällt es meist schwer, Routinen aufzugeben, denn sie vermitteln ihnen Sicherheit. Sie haben zudem eine identitätsstiftende Funktion. Hinzu kommt: Wenn Personen
(-gruppen) ihre Denk- und Verhaltensmuster verändern möchten, müssen sie ihre Komfortzone verlassen und sich auf unbekanntes Terrain begeben. Das löst Unsicherheit aus. Doch ohne ein Verlassen der Komfortzone ist kein Lernen möglich. Wie können Unternehmen dieses Dilemma überwinden? Der japanische Autobauer Toyota hat erkannt: Wenn wir die Zukunft meistern möchten, müssen wir als Organisation im Uns-Verändern und -Verbessern eine ähnliche Routine entwickeln, wie Menschen beim Autofahren. Und die mit dem Streben nach Verbesserung verbundenen Tätigkeiten? Sie müssen für unsere Mitarbeiter so selbstverständlich sein, dass sie ihnen keine Furcht einflößen. Als automatisierte Handlungen vermitteln sie ihnen sogar Sicherheit.

Routine entwickeln
Routinen sind das Ergebnis eines längeren Prozesses des fortlaufenden Wiederholens und (Ein-)Übens. Turner trainieren Bewegungsabläufe beispielsweise so lange, bis sie diese verinnerlicht haben. Danach wenden sie sich schwierigeren Übungen zu, sodass ihr sportliches Können sukzessiv steigt. Durch das permanente Üben und Reflektieren, was wie noch besser gemacht werden kann, erwerben Sportler zunehmend die Kompetenz, eigenständig ihre Leistung zu steigern – unter anderem weil sie wissen, welches Verhalten zielführend ist. Sie werden sozusagen zum Coach ihrer eigenen Person. Genau dieses bewusste Einüben von Routinen ist das zentrale Element des Toyota-Produktionssystems. Eine Kernaufgabe der Führungskräfte ist es, ihre Mitarbeiter beim Entwickeln dieser Kompetenz zu unterstützen. Sie geben ihnen bei neuen Aufgaben nicht die Lösung vor, sondern leiten ihre Mitarbeiter vielmehr bei deren Entwicklung an – mit dem übergeordneten Ziel, dass ihre Mitarbeiter selbstständig die hierfür nötige Kompetenz erwerben. Für dieses systemische Erweitern der Problemlöse-Kompetenz seiner Mitarbeiter hat Toyota in der Vergangenheit ein spezielles Verfahren entwickelt.

Die Toyota-Kata
Als Kata werden im asiatischen Kampfsport Verhaltensweisen bezeichnet, die durch stetiges Üben und Anwenden soweit verinnerlich wurden, dass Menschen sie beinahe reflexhaft ausführen. Um dieses Ziel zu erreichen, bringt der Meister seinen Schülern zunächst einfache Bewegungsabläufe bei. Danach folgen schwierigere Aufgaben, die den Schüler seinem Ziel, beispielsweise ein Samurai zu werden, Schritt für Schritt näher bringen. Um die Kompetenz von Menschen so systematisch zu entwickeln, sind drei Dinge nötig:
1.     Ich muss wissen, welches übergeordnete Ziel ich erreichen möchte.
2.     Ich muss wissen, was ich lernen muss, um das angestrebte Ziel zu erreichen.
3.     Ich muss einen Weg kennen, um mir die noch fehlende Kompetenz anzueignen.

Genau diese drei Elemente finden sich in der Toyota-Kata. Über allem schwebt die Nordstern genannte Vision – das vom Konzern angestrebte Idealbild. Hieraus leitet sich die sogenannte Verbesserungs-Kata ab, mit deren Hilfe der Autobauer erreichen möchte, dass sich die Prozesse dem Idealzustand annähern. Ihr zur Seite steht die Coaching-Kata, mit deren Hilfe das Unternehmen die Kompetenz seiner Mitarbeiter systematisch ausbaut – in vielen kleinen Schritten und Projekten.

Die Verbesserungs-Kata
Die Verbesserungs-Kata ist keine Lean-Methode, sondern eine Führungsroutine, mit der sich Herausforderungen meistern lassen. Sie zielt darauf ab, sich schrittweise einem Zustand zu nähern, ohne den Weg dorthin vorzugeben. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind eine genaue Beschreibung des Ist- und des Soll-Zustands. Die definierten Zustände sollen die Mitarbeiter ermutigen, sich in ihre Lernzone zu begeben und so Schritt für Schritt ihre Komfortzone zu erweitern. Dabei unterstützen sie ihre Vorgesetzten. Die Führungskräfte sind also nicht Vordenker und Vormacher, sondern Lernbegleiter und Coachs. Sie unterstützen ihre Mitarbeiter mittels eines systematisierten Verfahrens, der Coaching-Kata. Dieses orientiert sich an fünf Fragen, die die Führungskraft ihrem Mentee oder unmittelbar den Mitarbeitern in regelmäßigen Treffen immer wieder stellt.
Frage 1: Was ist der Ziel-Zustand des Prozesses?
Frage 2: Was ist der aktuelle Ist-Zustand?
Frage 3: Was hindert Sie daran, den Ziel-Zustand zu er-reichen?
Frage 4: Welches Hindernis gehen Sie als nächstes an und was ist der nächste Schritt?
Frage 5: Bis wann können wir uns ansehen, was Sie aus dem letzten Schritt gelernt haben?

Mitarbeit als Selbstmotivator
Das beschriebene Verfahren zur Mitarbeiterführung und -entwicklung praktiziert der Konzern seit Jahrzehnten mit dem Ziel, die vorhandene Kultur der kontinuierlichen Verbesserung noch stärker in der DNA der Mitarbeiter zu verankern. Dahinter steckt folgende Erkenntnis: Der Veränderungsbedarf in den Unternehmen ist heute oft so groß und vielschichtig, dass er immer schwieriger top-down erfasst und gemanagt werden kann. Also müssen sich die Mitarbeiter in Richtung Selbstentwickler entwickeln, die selbst erkennen, was es aufgrund des angestrebten Ideal-Zustands zu tun gilt und wo bei ihnen noch ein Entwicklungsbedarf besteht. Diese Kompetenz zu entwickeln, erfordert Zeit, Geduld und Liebe zum Detail; außerdem Führungskräfte, die ein entsprechendes Selbstverständnis haben. Sie müssen sich unter anderem als Coach und Lernbegleiter ihrer Mitarbeiter verstehen und bereit sein, sich intensiv mit ihnen und den wertschöpfenden Prozessen zu befassen – und zwar kontinuierlich. Deshalb lautet eine Faustregel bei Toyota: Lieber ein Mal zehn Minuten pro Tag coachen als ein Mal pro Woche eine Stunde. Das setzt natürlich eine Investition von Zeit seitens der Führungskräfte voraus. Was im ersten Moment nach einer Mehr-Belastung klingt, ist mittelfristig aber eine Entlastung. Denn je mehr Routine die Mitarbeiter einer Abteilung im eigenständigen Lösen von Problemen haben, umso seltener ist die Führungskraft als Unterstützer und „Trouble-Shooter“ gefragt.

Entscheiderfacts
Für Manager

Hilfe zur Selbsthilfe: Mitarbeiter müssen lernen, Probleme eigenständig zu erkennen und zu lösen.
Führungskräfte sollten nicht Vorturner, sondern motivierender Wegbegleiter für ihr Personal sein.
Der Prozess zum selbstmotivierten Problemlöser ist langwierig, spart aber auf mittlere und lange Sicht Zeit und erhöht die Effektivität.

 

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