Wer die Namur hat, braucht keine Visionen – machte Dr. Gunter Kegel, Geschäftsführer des diesjährigen Sponsors der Hauptsitzung unter dem Beifall von 460 Teilnehmern deutlich, wie konkret die Wünsche und Anregungen der Interessengemeinschaft an die Hersteller von Automatisierungstechnik sind. Denn in ihren Empfehlungen bringt die Interessengemeinschaft zum Ausdruck, wie sie sich die technologische Zukunft vorstellt. Und angesichts des Innovationsdrucks seitens der Hersteller hatten die Anwender in den vergangenen Jahren alle Hände voll zu tun: Allein acht neue Empfehlungen und vier Überarbeitungen haben die Arbeitskreise der Namur im vergangenen Jahr gestemmt.

Und auch auf der Hauptsitzung 2009, die am 5. und 6. November in Bad Neuenahr stattfand, zeigten die Anwender klare Kante: „Jetzt fährt der Feldbus zuverlässig“, erklärte beispielsweise Niels Kiupel, Evonik, für den AK 2.6-„Feldbus“, und mehrere Mitglieder des Arbeitskreises, darunter BASF, Shell und Novartis erklärten, zukünftig Neuanlagen und Anlagenerweiterungen mit Feldbustechnologie ausrüsten zu wollen. „Der Feldbus ist angekommen, wir müssen keine Grundsatzdiskussionen mehr führen“, erklärt Kiupel. Allerdings machte Dr. Gunter Kegel in seinem Plenarvortrag deutlich, dass der Feldbus mit den vorhandenen Geräten und Applikationen längst noch nicht ausgereizt wird. „Für diese ‚Autobahn‘ müssen nun auch Autos gebaut werden“, plädierte Kegel bereits im CT-Interview (www.chemietechnik.de, Such-Stichwort „Killerapplikation“) an die Gerätehersteller, neue Feldgeräte zu entwickeln. Und um Lehrgeld bei der Feldbusinstallation zu vermeiden, empfiehlt der Pepperl+Fuchs-Chef: „Jeder, der Feldbustechnik nutzen will, sollte sich vorher mit der Namur-Empfehlung 114 auseinandersetzen.“
Zu den Themen, die der Hersteller von Lösungen für die Kommunikation im „Physical Layer“ im Rahmen von Workshops diskutierte, gehörte unter anderem das neue Zündschutz-Konzept Power „i“, das von Pepperl + Fuchs unter der Bezeichnung „Dart“ vermarktet wird (siehe www.chemietechnik.de, Such-Stichwort „Dart“). Als Alternative zur Eigensicherheit Ex i erlaubt die Technik die sichere Stromversorgung von Feldgeräten, ohne die Leistung auf das Ex i-Niveau limitieren zu müssen. Einen naheliegenden ersten Schritt für die Nutzanwendung sieht der Anbieter in der Feldbus-Stromversorgung.

Hoher Leidensdruck bei der Geräteintegration

Den Anwendern bereitet indes nach wie vor ein ganz anderer Aspekt der Kommunikation Kopfzerbrechen: die Geräteintegration. Ein für die Namur ungewöhnlicher Schritt verdeutlichte, wie groß der Leidensdruck inzwischen ist: Obwohl die Technik noch längst nicht fertig entwickelt wurde, spricht sich die Interessengemeinschaft klar für das vor drei Jahren vorgeschlagene FDI-Konzept aus: „Wir begrüßen die Entwicklung sehr. FDI ist gelungen und muss nun implementiert werden“, erklärt Dr. Norbert Kuschnerus, Vorstandsvorsitzender der Namur. „FDI wird der Standard sein, den die verfahrenstechnische Industrie präferiert“, gibt sich auch Kegel optimistisch. Der Befürchtung, dass FDI ein „dritter“ Standard zur Gerätebeschreibung werden könnte, erteilt Kuschnerus eine klare Abfuhr: „Die Namur repräsentiert in dieser Frage einen Großteil der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie.“

Dass die Hersteller bei der „Migration“ der Gerätebeschreibungstechniken FDT und EDDL zur Field Device Integration, FDI, zum Erfolg verdammt sind, wurde auch an anderer Stelle deutlich: In seinem Vortrag zum Feldtest von Wireless Hart fasst Martin Schwibach, BASF, die Themen Geräteintegration und Versionsmanagement zum Punkt „Interoperabilität“ zusammen. „Keine Interoperabilität bedeutet: keine Killerapplikation. Wireless Hart leidet erheblich unter der Erblast unzureichend gelöster Probleme in der Geräteintegration“, sagt Schwibach – obwohl er der Technik an sich nach dem Praxistest kein schlechtes Zeugnis ausstellt (siehe Artikel „Reifeprüfung“ in dieser Ausgabe).

Ein neuralgischer Punkt ist aus Sicht der Anwender die bislang ungelöste Standardisierungsfrage: Mit Wireless Hart und ISA 100 droht der Wireless-Technik ein Konflikt analog zum Feldbuskrieg. „Wir können nicht erkennen, dass sich die beiden Systeme im Hinblick auf den Anwendernutzen wesentlich unterscheiden“, stellt Norbert Kuschnerus fest und drängt die Kontrahenten, sich an einen Tisch zu setzen: „Es ist noch nicht zu spät, dass daraus ein einziger Standard wird und die Geräte dann zueinander kompatibel sind. Wir werden uns nicht für einen von zwei Standards aussprechen – wir wollen nur einen einzigen Standard.“

Namur-Hauptsitzung
Treffpunkt derAutomatisierungsanwender

Die Namur trifft sich als internationaler Verband der Anwender von Automatisierungstechnik der Prozessindustrie einmal jährlich zu ihrer Hauptsitzung. Zur diesjährigen Versammlung in Bad Neuenahr waren vom 5. bis 6. November rund 460 Teilnehmer gekommen. Das für 2010 geplante Treffen wird am 11. und 12.11. stattfinden und steht unter dem Motto „Funktionale Sicherheit“.

„FDI ist gelungen und muss nun implementiert werden“
Dr. Norbert Kuschnerus ist Vorstandsvorsitzender der Namur
„Wer die Namur hat, braucht keine
Visionen“
Dr. Gunter Kegel ist Geschäftsführer des Sponsors der Hauptsitzung 2010, Pepperl+Fuchs

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