September 2014
  • Westliche Anlagenbauer sehen sich seit Jahren mit einer wachsenden Konkurrenz aus Schwellenländern konfrontiert, allem voran aus China.
  • Anders als in der Vergangenheit können Anlagenbauer einen erhöhten Preis nicht mehr mit überlegener Technologie durchsetzen. Sie müssen also produktiver werden.
  • Um dieses Ziel erreichen zu können, ist eine Standardisierung beziehungsweise Modularisierung unumgänglich. Allerdings ist dieser Prozess zunächst mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden.

Oder wie es Jürgen Nowicki, Mitglied der Geschäftsleitung bei Linde Engineering, auf dem 3. Engineering Summit im Mannheimer Rosengarten auf den Punkt brachte: „Wir alle müssen uns täglich die Frage stellen: Wie bringen wir ein wettbewerbsfähiges Angebot zusammen?“ Denn die Konkurrenz schläft nicht und jagt den Deutschen immer mehr Marktanteile ab. Das verdeutlichte Thomas Waldmann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau des VDMA, anhand konkreter Zahlen: So konnte der Großanlagenbau sein Ordervolumen, das vor der Weltwirtschaftskrise 2008 zwischen 33 und 35 Mrd. Euro lag, bis zum heutigen Tag nicht zurückgewinnen. „Der Rückgang liegt bei rund 30 Prozent. Und das, obwohl das Gesamtvolumen des Weltmarktes im Vergleich 2006 zu 2013 von 225 auf 315 Mrd. Euro gestiegen ist. Wir verzeichnen hier also ein jährliches Wachstum von rund 5 Prozent.“ Damit ist unschwer zu erkennen, dass der Rückgang des deutschen Ordervolumens keinesfalls der Konjunktur geschuldet ist. Vielmehr gibt es strukturelle Themen auf dem Käufermarkt sowie beim Wettbewerb, mit dem sich die Anlagenbauer beschäftigen müssen. Konnten die etablierten Anlagenbauernationen der Welt vor wenigen Jahren noch einen Marktanteil von 85 Prozent für sich beanspruchen, schrumpfte dieser Wert bis 2013 auf nur noch 64 Prozent. Gewandert sind die hier nun fehlenden Aufträge zu den üblichen Verdächtigen: Südkorea und, vor allem, China.

Die Anlagenwelt im Wandel
Die Antwort auf die Frage, wie es zu diesen Auftragsverlusten kommen konnte, ist eigentlich einfach beantwortet. Bis vor Kurzem galt noch: Wer überlegene Qualität liefert, der darf auch teurer sein. Das hat sich geändert. Wer heute mehr als ein Mitbewerber veranschlagt – und seien es auch nur wenige Prozent – der hat auf dem globalen Markt keine Chance mehr. Als Grund nennt Thomas Wehrheim, CEO bei Doosan Lentjes, dass auf der Entscheidungsebene von Kunden immer weniger Engineering-know-how vorhanden ist und in der Folge einziges Entscheidungskriterium oft der Preis sei und nicht mehr die Technologie: „Die Herausforderung lautet also, preislich zumindest mit einem südkoreanischen Konkurrenten mithalten zu können.“ Chinesische Finanzierungsmodelle seien von Europäern faktisch nicht zu schlagen, da diese teilweise mit Pay-off-Modellen arbeiten würden, bei denen die erste Zahlung nach zwei Jahren erfolgt. Gleichzeitig stellt Wehrheim fest, dass sich auch die Anforderungen vieler Auftraggeber stark geändert haben: Sie suchen nicht mehr nach einer Anlage die 15 Jahre ihren Dienst tut, sondern fordern nur noch Zeitfenster zwischen sechs und sieben Jahren. Danach können Anlagenbauer in Folgegeschäfte in Form von Service-Aufgaben einsteigen. Hier stellt sich die Frage, welches Potenzial darin für die einzelnen Marktteilnehmer liegt. Die einzige Möglichkeit, in einem solchen Umfeld bestehen zu können, ist laut Wehrheim, Prozesse und Produkte zu standardisieren. Wofür in erster Instanz natürlich Investitionen nötig sind. Davon sollten sich Anlagenbauer allerdings nicht schrecken lassen, wollen sie auf einem globalisierten Markt bestehen.

Heilsbringer Standardisierung?
Denn auch künftig rechnen deutsche Anlagenbauer mit einem Anstieg des Wettbewerbsdrucks. Wenn auch nicht mehr ganz so intensiv wie bisher. Vor allem Südkorea nehmen die Befragten einer Maexpartners-Studie nicht mehr als so gefährlich wahr wie noch vor wenigen Jahren. „Grund hierfür könnten die schlechten Projektergebnisse der Koreaner in den vergangenen Jahren sein. Aber auch Japan nennen immer weniger Teilnehmer als Gefahr für das eigene Geschäft. „Ungebrochen hoch ist dagegen der empfundene Druck aus China“, erklärt Martin Dekker, Managing Partner bei Maexpartners. Gemeinsam mit dem VDMA führte sein Unternehmen eine Studie durch, die den deutschen Anlagenbau hinsichtlich erfolgter Projekte zur Modularisierung/Standardisierung betrachtet. Dabei unterschied die Studie zwischen der Erwartungshaltung der Teilnehmer – also den Zielsetzungen, die sie durch eine Modularisierung/Standardisierung erreichen wollten – und den tatsächlich erzielten Ergebnissen. Wenig überraschend gaben über 90 Prozent der Befragten an, dass eine Reduktion der Ausgaben im Engineering eine relevante oder sogar sehr relevante Motivation sei. Ähnlich hoch waren der Wunsch nach einer Senkung der inneren Komplexität sowie eine Reduktion der Kosten für die Produkte selbst, aber auch jene für Bau und Montage, erklärt Marc Artmeyer, Partner bei Maexpartners. Was im Gegensatz überraschte, war die Tatsache, dass nur 15 Prozent einen verbesserten Know-how-Transfer anstrebten – eigentlich ein Dauerbrenner der Branche.

Die Mauern in den Köpfen
Wer Großes vorhat, dem begegnet im besten Fall Skepsis, meist sogar Ablehnung. Daher war es Teil der Fragestellung, von welcher Seite die Anlagenbauer den heftigsten Gegenwind bei der Umsetzung einer Modularisierung/Standardisierung erwarteten. Als Hinderungsgrund Nummer 1, auch hier wieder keine Überraschung, nannten sie die kundenspezifischen Anforderungen. Im gleichen Atemzug nannten viele der Befragten ebenfalls nur schwer bewegliche Standards auf Kundenseite, auch wenn diese nicht unmittelbar ein Ausschlusskriterium sein müssten. Aber auch im eigenen Betrieb schaffen historisch gewachsene Prozesse und Strukturen Stolpersteine; der Kampf gegen Trägheitskräfte kann hier viel Zeit und Ressourcen verschlingen. Die folgerichtige Frage lautete also, inwiefern es den Unternehmen gelungen ist, die angestrebten Ziele in Realität – und damit eine gesteigerte Produktivität – zu verwandelt. Fazit: Vor allem die gewünschte Reduktion der Ausgaben im Engineering konnten die Teilnehmer umsetzen, rund ein Viertel gab, an die selbstgesteckten Ziele voll erreicht zu haben. Die Abwicklungszeit von Projekten konnten rund 20 Prozent verkürzen, einer Verminderung der Fehlleistungskosten konnten zum Zeitpunkt der Befragung nur 10 Prozent erreichen. Wichtig ist es allerdings hier zu vermerken, dass es sich bei den Prozessen um ein Work-in-Progress handelt, die Antworten also kein abschließendes Ergebnis darstellen. Damit ein solcher Veränderungsprozess funktioniert, sollten es Unternehmen im Übrigen nicht versäumen, eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen, die sich dem Thema exklusiv widmet.

Standardisierung – anders gedacht
Außerdem sind durchgängige IT-Strukturen und nicht zuletzt einheitliche Begriffe wichtig. Denn je größer der Marktteilnehmer, umso komplizierter ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Bereiche. Die BASF setzt zur Ressourcenplanung beispielsweise bereits seit einigen Jahren auf ein Werkzeug namens Saprima, das sämtliche Ressourcen der Management-Funktionen und  -Disziplinen in den verschiedenen Phasen eines Projektes transparent darstellt. „Damit erhalten wir die jeweilige Auslastungssituation inklusive des künftigen Bedarfs. Und somit die Möglichkeit, das Personal in den verschiedenen Regionen zu steuern; also unsere Umsetzungsstrategien anzupassen wenn sich Engpässe abzeichnen“, erklärt Prof. Dr. Wolfgang Gerhardt, Senior Vice President Engineering BASF. Beim Thema Standardisierung interpretiert der Chemiekonzern auch auf eine ganz eigene Art und Weise: die standardisierte Kooperation. Hierfür schuf das Unternehmen sogenannte „Engineering Partnerschaften“ mit verschiedenen Dienstleistern, die vorher projektunabhängig im Wettbewerb ausgewählt wurden. Diese können dann, ohne projektbezogene Ausschreibung, zu bereits definierten Konditionen Projekte übernehmen. „Eins ist allerdings klar“, so Gerhardt: „In der Konzeptionsphase werden wir soweit wie möglich eigene Leute einsetzen, denn hier liegt der höchste Werthebel.“ Gleichzeitig sollte ein Anlagenbauer hier auch immer abwägen zwischen den Vorteilen einer solchen Zusammenarbeit (kein Zeitverlust durch Einholen von Angeboten) und ihren Nachteilen (finanzielle Nachteile durch die Bindung an nur einen Anbieter).

Standard schlägt Adaption
Auch wenn der Umstellungsprozess zur Standardisierung mit hohem Aufwand an Zeit und Geld verbunden ist, am Ende können Anbieter und Abnehmer gleichermaßen die Früchte ernten. Doosan Lentjes beispielsweise hat diesen Punkt bereits erreicht und präsentiert Kunden, die für ein spezifiziertes Projekt ein Angebot einholen möchten, immer zuerst ein sogenanntes Reference Product Model. Eine Anlage also, die unter Umständen bereits schon mehrfach auf dem Planeten ihre Arbeit verrichtet. Die Vorteile liegen auf der Hand: Bei einem solchen Model weiß der Kunde exakt was er bekommt: Welche Technologie zum Einsatz kommt; aber vor allem auch die Preisfindung ist hierdurch sehr präzise. Besteht der Kunde weiterhin auf bestimmte Abweichungen, kann der Anbieter mit nur leichten Modifikationen ein Adapted Product Modell erstellen. „In der Vergangenheit hatten wir aber bereits mehrfach den Fall, dass der Kunde stattdessen seine Anforderungen reduzierte und sich für das komplett standardisierte Modell entschied“, erklärt Doosan-Lentjes-CEO Wehrheim. Mit diesem Ansatz konnte das Unternehmen die eigenen Abwicklungskosten projektabhängig um bis zu 30 Prozent senken. Dabei gibt Wehrheim aber auch zu bedenken: „Die Fragestellung, die ein Anlagenbauer unbedingt beantworten muss, bevor eine solche Standardisierung umsetzt, lautet: Welche sind die Märkte für uns? Und: Was fordern diese Märkte von uns? Außerdem sollte trotz aller Standardisierung und Modularisierung noch eine Flexibilität zwischen 15 und 20 Prozent gegeben sein – sonst sperrt er sich unter Umständen selbst aus dem Markt aus.“ Eine solche Flexibilität ist laut Achim Heiming, Vertriebsleiter DACH bei Mersen, im Grunde durch ein durchdachtes Baukastensystem leicht zu erreichen: „Wenn Baugruppen intelligent aufgesetzt sind, kann man aus verschiedenartigen standardisierten Baugruppen und standardisierten Modulen auch komplexe Systeme zusammenbauen, die dann letztendlich wieder Unikat-Charakter haben.“ Und richtig geplant, ermöglicht selbst eine fertiggestellte Anlage laut Heiming noch Spielraum: „Wenn bereits beim Bau die Infrastruktur für eine mögliche künftige Erweiterung geschaffen wird, dann können identische, modulare Systeme sehr einfach angeflanscht werden.“

Alles Gold, was glänzt?
Ausführungen über den Erhalt einer gewissen Rest-Flexibilität widerlegen im Prinzip auch gleichzeitig die Bedenken, die einige Anlagenbauer alten Schlages anführen: Standardisierung als Innovationskiller. Wer bei jedem Projekt, bildlich gesprochen, lediglich die Schublade mit bewährten Konzepten öffnet und dieselbe Anlage zum x-ten Male an einem anderen Ort der Welt aufbaut, der läuft Gefahr, seine Arbeit nur noch mechanisch auszuführen und jede Innovationskraft einzubüßen, so der Vorwurf. „Die ‚Anlage vom Band‘ wird es wohl nie geben, da auch künftig immer kundenspezifische Vorgaben zu berücksichtigen sein werden“, entkräftet Dekker diese anlagenbauerische Dystopie. Dem schließt sich auch Heiming an und ergänzt: „Letztendlich haben auch immer Unikate ihre Berechtigung. Man kann mit Standardisierung oder Modularisierung ja nicht alles abdecken. Unser Ziel ist es, etwa 80 Prozent mit Standard-Lösungen abzudecken, 20 Prozent sind dann freies Engineering.“  Und sollte sich der von Wehrheim beschriebene Trend zum Kauf eines unveränderten Reference Product Model als Standard dennoch durchsetzen, sind die Unternehmen gefragt, aus eigenem Antrieb out-of-the-box zu denken. Doosan Lentjes hat hierfür ein Innovations-Konzept ins Leben gerufen das es vorsieht, ausnahmslos jede standardisierte Einheit jährlich auf den Prüfstand zu stellen und einem internen R&D-Gremium zu präsentieren. Somit entstehen Verbesserungen nicht nur aufgrund von Kundenanfragen, sondern sind fester Bestandteil der Unternehmenskultur. „Das Geheimnis erfolgreicher Standardisierung ist keine Raketenwissenschaft. Sondern das konsequente Umsetzen einer Vorgabe“, schließt Wehrheim.

Informationen zum nächsten Engineering Summit im Dezember 2015 finden Sie hier.

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