Oktober 2014
  • Seit Jahrzehnten setzen Experten die Hazop-Analyse erfolgreich zur systematischen Sicherheitsbetrachtung von Chemieanlagen und Industrieprozessen ein.
  • Neue Verfahren und Werkstoffe stellen jedoch ebenfalls neue Anforderungen. Methoden der modernen Risikoanalyse machen das Verfahren zukunftsfähig.
  • Gleichzeitig unterstützt die erweiterte systematische Sicherheitsbetrachtung Betreiber, Anlagen rechtskonform und gemäß aktuellem Stand der Technik zu unterhalten.
Die Analyse ermöglicht Unternehmen eine systematische Sicherheitsbetrachtung. Bild: Tüv Süd Chemie Service

Die Analyse ermöglicht Unternehmen eine systematische Sicherheitsbetrachtung. Bild: Tüv Süd Chemie Service

In Deutschland ist Hazop auch unter dem Begriff PAAG-Verfahren zur Störfallvorsorge und zur Erhöhung der Anlagensicherheit bekannt. Die Hazop-Methode (Hazard and Operability) hatten Ingenieure des britischen Chemieunternehmens Imperial Chemical Industries (ICI) in den frühen 1970er Jahren entwickelt. Sie entstand als Reaktion auf die rasant wachsende Prozessindustrie und den damit verbundenen Anstieg an schweren Unfällen. Als einer der größten europäischen Chemieunfälle ging 1976 der Unfall von Seveso in die Geschichte ein. Dabei wurde in einer chemischen Fabrik nördlich von Mailand eine unbekannte Menge des hochgiftigen Dioxins TCDD freigesetzt. Im darauffolgenden Jahr veröffentlichten ICI und die Chemical Industries Association das Hazop-Verfahren unter dem namensgebenden Titel „A Guide to Hazard and Operability Studies“. 1982 trat die europäische Seveso-I-Richtlinie in Kraft. Diese forderte erstmals eine systematische Sicherheitsbetrachtung für Anlagen mit einem bestimmten Gefahrenpotenzial beziehungsweise Stoffinventar. 1997 wurde diese Richtlinie durch die 96/82/EG abgelöst; eine weitere Novellierung soll 2015 als Seveso-III-Richtlinie beziehungsweise Störfall-Richtlinie in Kraft treten.

Qualifizierung von
Sicherheitsrisiken im Dialog

Die Hazop-Analyse basiert auf der Annahme, dass Störfälle entstehen, wenn sicherheitsrelevante Betriebsfaktoren ungeplant vom vorgesehenen Sollzustand abweichen. Wo und aus welchem Grund diese Abweichungen auftreten können, welche Folgen daraus abzuleiten sind und mit welchen Präventivmaßnahmen auf potenzielle Gefahren zu reagieren ist, erarbeiten Fachleute im Rahmen einer Diskussion. Ein interdisziplinäres Team aus betriebsinternen und externen Experten setzt sich dazu mit jeder einzelnen Komponente eines Produktionsprozesses und deren Sollfunktion sowie möglichen Abweichungen hiervon auseinander. In direktem Dialog und unter Leitung eines erfahrenen Moderators überprüfen Sicherheits- und Verfahrensingenieure, Techniker und Konstrukteure dabei systematisch alle Anlagenteile und Prozessschritte auf potenzielle Risiken. Methodisch wird dazu jedem betrachteten Prozessschritt eine Sollfunktion zugewiesen, deren relevante Parameter (Temperatur, Druck etc.) mithilfe von Leitwörtern („kein“, „weniger“, „mehr“, „früher, „später“ etc.) systematisch hinsichtlich den daraus resultierenden Abweichungen zu analysieren sind. Zur Auswahl geeigneter Parameter und Leitworte stehen speziell angelegte Kataloge zur Verfügung, die die Verantwortlichen der jeweils spezifischen Problemstellung anpassen können. Auf diese Weise unterstützt das Leitwort-Verfahren die Experten darin, den Diskussionsgegenstand qualifiziert und umfänglich zu untersuchen und einen konstruktiven Diskussionsablauf zu ermöglichen. Sind alle denkbaren Gefahren aufgedeckt, schätzt das Team im nächsten Schritt die Ursachen sowie die anzunehmenden Folgen einer Abweichung ab, um daran anschließend mögliche Gegenmaßnahmen zu benennen. Das Brainstorming und seine Ergebnisse protokollieren sie vollständig in einem Bericht.

Technologischer Fortschritt
stellt neue Anforderungen

Über Jahrzehnte hinweg hat sich das Verfahren zum Identifizieren und Minimieren von Risiken bewährt und maßgeblich dazu beigetragen, den Betrieb technischer Anlagen zu verbessern und das Sicherheitsniveau von Produktionsprozessen kontinuierlich zu erhöhen. Indem sie Expertise und Erfahrungswissen der Diskussionsteilnehmer systematisch nutzbar macht, ermöglicht es die Methode, Sicherheitskonzepte individuell zu entwickeln und effektiv den spezifischen Anforderungen anzupassen. Gleichzeitig ist Hazop als Risikomanagement-Instrument nahezu universell auf jedes System und über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage oder eines Prozesses anzuwenden. Doch die Leistungsfähigkeit der klassischen Analyse hat Grenzen. Vor dem Hintergrund des rasanten technologischen Fortschritts stehen Betreiber und Fachleute immer wieder vor komplexen und sich schnell verändernden Problemstellungen. Voll automatisierte und digitalisierte Prozessleittechnik steuert, regelt und sichert heute komplette verfahrenstechnische Anlagen. Neue Werk- und Betriebsstoffe kommen in immer kürzeren Abständen zum Einsatz. Diese Entwicklung birgt schwer zu bewertende Risiken, auf die Betreiber reagieren müssen und die es umgehend zu antizipieren gilt. Um den qualitativen Ansatz der konventionellen Analyse hinreichend zu stützen, fehlen Erfahrungswerte aus der betrieblichen Praxis.

Modernes Risikomanagement ergänzt
konventionellen Ansatz

Experten von Tüv Süd Chemie Service sahen einen praktikablen Lösungsansatz darin, das qualitative
Hazop-Verfahren durch quantitative und probabilistische Methoden des modernen Risikomanagements zu ergänzen. So können sie auf Basis von definierten Parametern und analytischen Modellen sicherheitskritische Auswirkungen zusätzlich quantitativ prognostizieren. Grundlegend für die systematische Risiko-Quantifizierung ist es, die Risikokennzahl zu ermitteln, die sich aus dem Verhältnis der Ausfallwahrscheinlichkeit eines Systems oder einer Anlage zum potenziellen Schadensausmaß bestimmen lässt. Die Wahrscheinlichkeit für den Ausfall einer Anlage ist nur schwer zu vorhersagen. Allerdings ist es möglich, Erkenntnisse zur Versagenshäufigkeit von Einzelkomponenten miteinander in Bezug zu setzen, um erste Abschätzungen vorzunehmen. Durch den Abgleich mit statistischen Erfahrungswerten sind die Parameter Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadens­ausmaß zu kalkulieren. Eingeordnet in eine unternehmensspezifische Risikomatrix gibt die Risikokennzahl Aufschluss darüber, ob und in welchem Ausmaß Gegenmaßnahmen einzuleiten sind. Auch unterstützt sie Fachpersonal dabei, unterschiedliche Gegenmaßnahmen in ihrer Wirksamkeit zu bewerten, um die bestmögliche Lösung finden zu können. Bereits die konventionelle Analyse erfordert ein präzises Planen, Durchführen und Nachbereiten. Zusätzlich erweisen sich probabilistische und quantitative Methoden oft als aufwendig und komplex. Durch den Einbezug allgemeiner statistischer Werte für die Eintrittswahrscheinlichkeit menschlicher, mechanischer und elektrischer Fehler lässt sich das Verfahren allerdings vereinfachen. Anhand dieser aus der
Risikoforschung bekannten Werte ist ein Risiko nach­zuvollziehen und effizient zu quantifizieren.

Expertise für das rechtskonforme Umsetzen
Mit der Analyse steht Unternehmen ein wirksames Instrument zum Prüfen vorhandener technischer Risiken zur Verfügung. Gleichzeitig unterstützt die erweiterte systematische Sicherheitsbetrachtung Betreiber darin, Anlagen rechtskonform und gemäß dem jeweils aktuellem Stand der Technik zu unterhalten und hierdruch Haftungsrisiken zu minimieren. Beim Planen, Betreiben und Instandhalten muss die chemische Industrie einschlägige Richtlinien und Regelwerke berücksichtigen (unter anderem das Bundesimmissionsschutzgesetz, das Arbeitsschutz- und Produktsicherheitsgesgesetz sowie Gefahrstoff- und Störfallverordnung) und deren Einhalten nachweisen. Der Tüv Süd unterstützt Betreiber bei der rechtssicheren und schnellen Umsetzung gesetzlicher Vorgaben. Unabhängige Teamleiter/Moderatoren, Protokollführer und Fachberater bündeln dabei Fach- und Erfahrungswissen, um ein effizientes Durchführen der systematischen Sicherheitsbetrachtungen nach PAAG-/Hazop-Verfahren zu fördern. In Zusammenarbeit mit internen Fachleuten der Unternehmen ist es hierdurch möglich, prozessbedingte Schwachstellen zu identifizieren, zu bewerten und zu dokumentieren.

Zum Verfahren
Beispiel:

Freisetzung einer gefährlichen Substanz mit einer bestimmten Menge
Qualitative Bewertung: Die Freisetzung ist / ist nicht als ein gefährliches Ereignis einzustufen.
Quantitative Bewertung: Basierend auf der freigesetzten Menge und der Annahme einer Gauss´schen Verteilung im Ausbreitungsmodell erhält man eine Konzentration x oder Dosis y am betrachteten Aufpunkt. Aus dem Vergleich mit dem Grenzwert ergibt sich, das Ereignis ist / ist nicht als gefährlich einzustufen.
Probablistische Bewertung: Ausgehend von einem Kollektiv möglicher Emissionsquellen, einer Wahrscheinlichkeitsverteilung der Ausbreitungsbedingungen (beispielsweise unter Zuhilfenahme von Langzeitwetterstatistiken etc.) ergibt sich eine Wahrscheinlichkeitsverteilung der Konzentration x oder Dosis y am betrachteten Aufpunkt.

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TÜV SÜD Chemie Service GmbH

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