Mai 2016

Retrofitting measures must not interfere with the operation of production facilities on the site. (Bild: Arcadis/Schalles)

  • Der Rückbau einer chemischen Produktionsanlage ist ähnlich komplex wie ein Neubau und stellt demzufolge hohe Anforderungen an die Planung und Projektsteuerung: eine strukturierte Vorgehensweise.
  • Die klare Definition der Ziele, die frühzeitige Planung auf Basis von fundierten Daten und die rechtzeitige Analyse von Risiken, Kosten und Terminen spart Unternehmen Ausfallzeiten und minimiert das Unfallrisiko.
  • Daneben sollten Unternehmen auch nichttechnische Aspekte nicht vernachlässigen und beispielsweise die Anwohner mittels Info-Veranstaltungen über Pläne und Vorgehensweise aufklären.

2016 wird aller Voraussicht nach ein Rekordjahr für Fusionen und Akquisitionen in der Chemieindustrie und reiht sich damit in eine stetige Entwicklung ein. Seit Jahren steigt der Wert der weltweiten Transaktionen. Ob die Fusion von Dow Chemical und Dupont oder die Übernahme von Ciba durch BASF: Unternehmen schließen sich zusammen, entflechten und optimieren ihre Produktlinien. Fast immer ist damit die Umstrukturierung von Standorten verbunden. BASF beispielsweise hat infolge der Ciba-Übernahme die Produktion von Farbstoffen aus der Chemieregion Basel nach Indien verlegt, den Bereich Industrielacke an Akzo Nobel verkauft und am Standort Ludwigshafen Platz für eine milliardenschwere Anlage zur Herstellung von TDI (Toluoldiisocyanat) geschaffen. Die Entscheidung über das Re-Development fällt dabei auf oberster Ebene im Spannungsfeld Kosten, Zeit und Image. Ist es nötig, einen Standort an zukünftigen Erfordernissen anzupassen, stellt sich für das Management die Frage, wie der Rückbau bestehender Anlagen möglichst ohne finanzielle Einbußen, Verlust an Reputation, negative Umweltauswirkungen oder Beeinträchtigungen von Nachbarn und Behinderungen der laufenden Produktion erfolgen kann.

Erster Schritt: Strategische Entscheidung
Für die meisten Unternehmen steht die Compliance mit den eigenen Unternehmenswerten im Vordergrund: Sie setzen die Priorität bei Umweltverträglichkeit, Arbeitssicherheit und dem Vermeiden von Imageverlusten und richten die Kosten- und Zeitplanung danach aus. Die Terminierung ist dennoch mitnichten „weich“, denn zumeist ist das Neubauprojekt auf dem Gelände ebenfalls schon geplant, sodass das termingerechte Fertigstellen des Rückbaus zwingend notwendig ist, wenn nicht erhebliche Zusatzkosten, Umsatzeinbußen oder Verlust von Markanteilen entstehen sollen.

Einbinden externer Expertise ist sinnvoll
Arcadis, ein weltweit führendes Unternehmen in der Planung und Beratung für „Natural and Built Assets“ (natürliche Schutzgüter und bauliche Vermögenswerte), begleitet Chemieunternehmen bei ihren Bau-, Rückbau- und Umweltprojekten in allen Projektphasen. Das Einbinden externer Expertise schon in dieser frühen Phase ist sinnvoll, wenn ein Unternehmen keine eigene Abteilung hat, die sich mit den spezifischen Fragen des Anlagenrückbaus auskennt: Ist der Rückbau technisch und logistisch möglich? Mit welchen Risiken und Kosten ist er verbunden? Und: Wie ist der Zeitbedarf? Viele Chemiestandorte sind über einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren gewachsen und verändern sich permanent. Ein aktueller Überblick beispielsweise über alle Infrastruktureinrichtungen existiert oft nicht, ist aber für das Einschätzen der Risiken für die Arbeitssicherheit und den Umweltschutz sowie für die Kosten des Rückbaus wichtig. So queren häufig Ver- und Entsorgungsleitungen das Baufeld oder liegen in unmittelbarer Nähe zum Rückbauprojekt. Dies erfordert eine Entflechtung im Vorfeld, um die laufende Produktion während und nach den Abbruchmaßnahmen zu ermöglichen. Auch logistische Fragen sind zu klären: Wie ist es möglich, während des Rückbaus von Gebäuden und Anlagen und eventuell notwendigen Sanierungsmaßnahmen die Betriebsabläufe aufrechtzuerhalten? Ist es nötig die Wegeführung zu verändern, um die Abfuhr von Abbruchmaterial und Erdaushube zu organisieren, ohne dass es zu Behinderungen der Zufahrt zu anderen Betrieben auf dem Standort kommt? In aller Regel treffen die Verantwortlichen in dieser frühen Phase Entscheidungen über den zeitlichen Ablauf, die bei Fehleinschätzungen sehr negative Folgen haben können. Setzen sie beispielsweise zu wenig Zeit für das Reinigen der abzubauenden Produktionsanlage und Gebäude an, können sich die Kosten für die spätere Entsorgung oder den Rückbau potenzieren oder es kommt sogar zu Stillständen oder Havarien.

Erhebliche Erlöse möglich
Der Kostenseite steht die Gewinnseite gegenüber – und diese ist bei Chemieanlagen meist spannender als angenommen: Den Wert der abzubauenden Anlagen und Einrichtungen unterschätzen Betreiber häufig. In der chemischen Industrie sind viele Behälter aus hochwertigen Stählen im Umlauf, die je nach Zusammensetzung einen deutlich höheren Schrottwert haben als herkömmliche Stähle. Das frühzeitige Erfassen der vorhandenen Werte und Marktchancen reduziert daher die Kosten für die Unternehmen unterm Strich erheblich und macht das Rückbauprojekt insgesamt besser kalkulierbar. Das Dokumentieren von Umfang und Verbleib dieser Werte erhöht zudem die Transparenz. Ein nicht zu beeinflussender Faktor bei den Erlösschätzungen ist allerdings der Schrottpreis, der in den letzten Jahren zu starken Schwankungen neigte.

Wichtig: Detaillierte Datenerfassung
Nach der ersten Phase, in der das Unternehmensmanagement verschiedene Varianten durchdenkt, prüft und eine Entscheidung trifft, übernimmt die Standort- oder Projektleitung. Die konkrete Planung beginnt. Für die Kalkulierbarkeit des Gesamtprojekts ist eine detaillierte Datenerfassung zum frühestmöglichen Zeitpunkt sinnvoll, am besten direkt nachdem die Entscheidung zur Einstellung der Produktion getroffen wurde und bevor der Betreiber die Anlage herunterfährt. Der Betreiber kann die späteren Kosten entscheidend beeinflussen, wenn er in dieser Phase möglichst viele Informationen zur Verfügung stellt. Dann müssen weniger Untersuchungen erfolgen, die getroffenen Aussagen sind verlässlicher und die spätere Ausführung ist sicherer. Zudem steht zu diesem Zeitpunkt noch das Betriebspersonal, das die Anlage am besten kennt, zur Klärung von Fragen zur Verfügung. Auf Basis dieser Daten sowie der Erkenntnisse aus detaillierten Untersuchungen und Erfassungen kann anschließend ein Konzept für die Dekontamination und den Rückbau erstellt werden, das eine hohe Verwertungsquote und somit minimierte Entsorgungskosten ermöglicht.

Genehmigungsmanagement
Zur Datenerfassung gehört auch das Sichten bestehender Genehmigungen: Genehmigungen von Anlagen nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz beispielsweise enthalten oft bereits Vorschriften für den Rückbau. Darüber hinaus sind natürlich auch die behördlichen Auflagen und gesetzlichen Bestimmungen zu beachten. In einigen Bundesländern sind Abbruchgenehmigungen erforderlich. Auch nicht unbedingt offensichtliche Vorschriften wie der Natur- und Artenschutz sind hinsichtlich ihrer Relevanz für das Rückbauprojekt und die Zeitplanung zu überprüfen: Ein Baum etwa, der im Frühjahr nicht gefällt werden darf, oder brütende Vögel können eine ganze Baustelle blockieren. In der Regel lassen sich gemeinsam mit den Genehmigungsbehörden praktikable und rechtskonforme Lösungen finden – doch der Dialog muss proaktiv erfolgen.

Brandschutz und Arbeitssicherheit
Das gilt ebenso für den Brandschutz und die Arbeitssicherheit: In Chemieunternehmen gibt es viel Know-how im Umgang mit gefährlichen Stoffen, weniger aber hinsichtlich der spezifischen Gefahren durch Rückbauaktivitäten, die zudem das Sicherheitskonzept eines Standortes beeinflussen können: Es können sich Veränderungen für die Brandbekämpfung, bei Flucht- und Rettungswegen oder bei den Ansprechpartnern ergeben. Ein Beispiel aus einem aktuellen Projekt zeigt die Relevanz: Nur wenige Zentimeter neben einer rückzubauenden Außenwand befanden sich die Stützen für Leitungsbrücken mit zahlreichen Medien – darunter Starkstrom, Wasserstoff und Ammoniak –, die für den Betrieb des gesamten Standortes von elementarer Bedeutung sind. Eine Herausforderung nicht nur hinsichtlich der Versorgungssicherheit, sondern auch im Hinblick auf das Ziel „keine Arbeitsunfälle“.

Herausforderung Baulogistik
Das Beispiel verdeutlicht zudem, wie wichtig logistische Expertise beim Anlagenrückbau ist: Die Ver- und Entsorgung der laufenden Produktion auf dem Standort muss gesichert sein. Besonders wenn die benachbarten Anlagen nicht zum eigenen Unternehmen gehören – etwa in einem Industriepark oder bei dem Rückzug aus einem Joint Venture – kann es teuer werden, wenn diese plötzlich keinen Strom oder kein Erdgas mehr bekommen. Für den Abtransport von Abbruch- und anderem Material ist zu prüfen, ob die vorhandenen Wegekapazitäten ausreichen, wie es möglich ist, eine reibungslose Abfuhr zu organisieren, ob provisorischer Zufahrtwege oder Schwertransporte nötig sind. In der Chemieproduktion sind zudem oft Ex-Zonen zu beachten. Staub oder Erschütterungen können sensible Prozesse empfindlich stören, und es sind Sicherheitsabstände durch Gerätearbeiten und Bauzustände einzuplanen.

Gute Leistungsverzeichnisse – geringe Risikozuschläge
Für die Ausschreibung der Leistungen gilt: Je mehr Vorarbeit geleistet wurde, je klarer also die Leistungsverzeichnisse formuliert werden, desto geringer fallen die Risikozuschläge der Bieter aus und desto weniger Nachverhandlungen gibt es im Projektverlauf. Die Ausschreibung und Vergabe an Bau-, Abbruch-, Sanierungs- Entsorgungsunternehmen erfordert viel fachliches Know-how. Präqualifikation, Audits, Zertifizierungen und Nachweise von eingeführten Managementsystemen wie SCC (Safety Certificate Contractors, ein kombiniertes Arbeits- und Umweltschutzmanagementsystem) helfen bei der Auswahl, letztendlich ist aber die Erfahrung aus bereits erfolgreich durchgeführten Projekten nicht zu ersetzen. Ein oft unterschätzter Aspekt ist der ausreichende Versicherungsschutz der Bieter. Der Ausschluss des Risikos „Asbest“ etwa oder eine „Radiusklausel“, die Sachschäden in einem von der Höhe eines Bauwerks abhängigen Umkreises von der Haftung ausnimmt, schränken den Versicherungsschutz erheblich ein und verlagern das Risiko auf den Auftraggeber. Den Zeitbedarf für die eigentlichen Rückbaumaßnahmen unterschätzen Unternehmen häufig. In der Regel dauert der Rückbau länger als das vorhergehende Herunterfahren und Reinigen der Anlage, die beim Rückbau umfangreicher ausfällt. Während der Bauaktivitäten ist eine intensive Überwachung wichtig, um Verzögerungen, Qualitätsprobleme oder auch unvorhergesehene Hindernisse – beispielsweise bis dahin „unbekannte“ Leitungen – rechtzeitig zu erkennen, entgegenzuwirken und den weiteren Projektablauf anzupassen.

Dokumentation und Beweissicherung
Ziel eines Rückbauprojekts ist grundsätzlich, einen Standort so zu übergeben, dass keine späteren Forderungen seitens der Folgenutzer entstehen. Dafür ist eine gute, lückenlose und rechtssichere Dokumentation der erfolgten Maßnahmen, Überwachungsmessungen und der Untersuchungsergebnisse insbesondere bezüglich der Baugrubensohlen wichtig. Auch die Beweissicherung der Nachbargebäude und Anlagen wirkt Forderungen von Nachbarn entgegen.

Zur Kommunikation:
Die Anwohner „mitnehmen“
Vor Beginn der Arbeiten sollten Unternehmen die Öffentlichkeitsarbeit, besonders die Kommunikation mit Anwohnern, nicht vernachlässigen. Sinnvoll ist, nicht nur über die Presse zu informieren, sondern auch direkt auf die Menschen zuzugehen, sie etwa zu einer Info-Veranstaltung einzuladen, um auf Fragen eingehen zu können.

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