Wie gut ein Prozess gefahren werden kann, hängt davon ab, wie gut unsere Sensoren den Prozesszustand erfassen“, eröffnete Dr. Norbert Kuschnerus, Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft Prozessautomatisierung, Namur, die diesjährige Hauptsitzung, die vom 8. bis 9. November in Lahnstein stattgefunden hat. Das Schwerpunktthema Prozesssensoren prägte die Vorträge sowie die Diskussionen unter den knapp 500 Teilnehmern. Dass diese die Voraussetzung für Verbesserungen im Prozess bilden, ist den Anwendern klar. Deshalb merkte Kuschnerus für die Betreiber selbstkritisch an: „Viele von uns haben jahrelang Investitionen in die Verbesserung der Performance unserer Produktionsprozesse gescheut und sind bezüglich der technischen Ausrüstung der Anlagen, der Anwendung moderner Prozessführungsmethoden, im Dornröschenschlaf verharrt. Dies an sich ist schon grob fahrlässig, aber mittlerweile gibt es auch finanziell keinen Grund mehr, an Entwicklungen für die moderne Prozessführung nicht teilzunehmen.“

„Automatisierungssysteme sind ohne Sensoren blind und taub“, unterstrich auch Prof. Hans Schuler, BASF, die Bedeutung der Feldgeräte. Den Gedanken, dass diese nicht nur Regelgrößen liefern, sondern „Werte schaffen müssen“, brachte Klaus Endress, CEO des Messtechnikanbieters Endress+Hauser und diesjähriger Sponsor der Hauptsitzung, in die Diskussion ein. Immerhin stellen Feldgeräte den größten Kostenblock in der Instrumentierung von Automatisierungssystemen dar. Bildhaft verdeutlichte Dr. Armin Brucker, BASF, dies anhand der klassischen Automatisierungspyramide, die – nach Kosten gewichtet – eher einer Pagode gleicht (Bild Seite 43).
Und noch nie zuvor wurde so systematisch nach neuen Ansätzen für die Entwicklung von Prozesssensoren gesucht, wie zurzeit. So wurden beispielsweise 2005 in der gemeinsam von Namur und GMA erarbeiteten Roadmap Prozesssensoren die Methoden mit dem größten Nutzenpotenzial identifiziert (wir berichteten im Oktober 2005 – www.chemietechnik.de, Such-Stichwort „Roadmap“). Eine Erkenntnis daraus war der Wunsch nach Sensoren, die energieautark und kommunikationsautonom arbeiten. „An solchen Systemen wird an vielen Stellen heftig gearbeitet“, berichtete Dieter Schaudel, Technologiechef bei Endress+Hauser.
Aber auch bei den etablierten Technologien sind die Entwicklungspotenziale noch nicht ausgereizt. Als Beispiele führte der Sitzungs-Sponsor das Coriolis-Durchflussmessgerät Promass an, das auch Temperatur, Dichte, Konzentration und Viskosität erfasst. Auch der klassische Stimmgabel-Grenzschalter ist nicht mehr ausschließlich auf die Erfassung von Füllständen limitiert, sondern kann inzwischen auch zur Dichtemessung eingesetzt werden. „Unser Ziel ist es, robuste, betriebsbewährte Geräte für völlig neue Anwendungen zu kultivieren“, verdeutlichte Endress.

Namur-Standardgerät – die Messesensation 2009?

Wie sich die Anwender das PLT-Feldgerät von morgen vorstellen, erläuterte Dr. Armin Brucker, BASF. Seine Vision: Je Messprinzip ein Standardgerät für die meisten Applikationen. In einer gemeinsam mit der Fachhochschule Ludwigshafen durchgeführten Umfrage unter 552 Anwendern aus 30 verschiedenen Chemieunternehmen, hat die Namur für die Parameter Durchfluss und Füllstand ermittelt, welche Eigenschaften Geräte erfüllen sollen, um für 80 % der Anwendungen eingesetzt werden zu können.

Demnach hat der entsprechende Coriolis-Massemesser eine Messgenauigkeit von 0,5 Prozent, eine Reproduzierbarkeit von 0,3 Prozent und ist in einem Metallgehäuse untergebracht. Er beherrscht Betriebstemperaturen bis 150°C, erreicht die Druckstufe PN 40 und sollte in Abmessungen von DN 15 bis DN 80 verfügbar sein. Außerdem ist die Einbaulänge über verschiedene Hersteller gleich. Das entsprechende Füllstandmessgerät hat ebenfalls eine Genauigkeit von 0,5 Prozent und eine Reproduzierbarkeit von 0,5 Prozent. In der Ausführung sollten zwei Varianten für Prozess- und für Lagerbehälter angeboten werden, die sich in Druckstufe, Auslegungstemperatur und Messspanne unterscheiden.
Die Geräte sollen über eine Vorort-Anzeige und -Bedienmöglichkeit sowie über Diagnosefunktionen verfügen. Außerdem soll das Bedienkonzept herstellerübergreifend standardisiert sein. Während für das Coriolisgerät ein Listenpreis von 5000 Euro gewünscht wird, darf dieser für das Füllstandmessgerät bei 1000 Euro liegen.
Besonders sensitiv, so die Umfrage, sind dabei die Parameter „Preis“ und „Messgenauigkeit“ – und zwar nicht nur in einer Richtung. Überraschende Erkenntnis aus der Befragung: Während bei der Durchflussmessung für die meisten Anwendungen eine Genauigkeit von 0,5 Prozent als völlig ausreichend angesehen wird, sinkt bei einer höheren Genauigkeit die Kaufwahrscheinlichkeit sogar.
Aber nicht nur das „Namur-Standardgerät“ von morgen beschäftigte die Anwender im Namur Arbeitskreis Feldgeräte. Über den gesamten Lebenszyklus, von der Entwicklung bis hin zur Verschrottung sehen die Anwender deutlichen Verbesserungsbedarf. Bestellprozesse sind mühsam, von Hersteller zu Hersteller stark differierende Einbaumaße für Durchflussmessgeräte erschweren den Austausch und die Montage von Geräten und auch die Forderung nach einer herstellerübergreifend einheitlichen Bedienoberfläche für die immer komplexer werdenden Funktionen der Feldgeräte wurde gestellt.
Gemeinsam mit den Herstellern wollen die Anwender in der Prozessindustrie Standards – z.B. für Einbaulängen – definieren und in einer neuen Namur-Empfehlung festschreiben. „Die Initiative zur Standardisierung geht von beiden Seiten aus“, unterstützt Dieter Schaudel den Ansatz von der Herstellerseite und verweist darauf, dass die Untersuchung der FH Ludwigshafen auch von den Anbietern mitfinanziert wurde. Während Armin Brucker als Zeithorizont für ein erstes Namur-Standardgerät das Schlagwort „Messesensation 2009“ einführt, rechnet Schaudel erst ab 2010 mit entsprechenden Geräten.

Normenflut verzögert Geräteentwicklung

Denn bei der Entwicklung und Vermarktung neuer Geräte stellt die Flut an internationalen Normen, Standards und Zertifikaten eine immer größer werdende Hürde dar. „Um ein Gerät wie den Massemesser Promass 84 F international vermarkten zu können, müssen 126 Normen aus 19 Themenfeldern direkt angewendet werden“, verdeutlichte Dieter Schaudel. Dass die Hersteller in ihrer Arbeit täglich ca. 1000 Normen, Standards und Richtlinien beachten müssen, erfordert eine Menge Know-how. Dieses schützt zwar einerseits vor billigen Plagiaten, andererseits steigt der Aufwand für Zertifizierungen überproportional an.

In seinem Vortrag „Gerätekommunikation im Wandel“ zeigte Michael Pelz, Clariant, ein weiteres Themenfeld auf, bei dem die Anwender der Schuh drückt: Mit steigender Funktionsvielfalt wird das Problem der Gerätekommunikation und Vereinheitlichung der Bedienung drängend. Pelz: „Bis zu 1000 Einstellparameter lassen sich längst nicht mehr sinnvoll über drei Tasten am Gerät einstellen.“ Auch die Parametrierung von Hart-Geräten erfolgt heute noch sehr selten über die Stromschleife – meist wird via Laptop oder Hart-Communicator-Geräten vor Ort parametriert. Für Hart- und Feldbusinstallationen werden die Integrationsmethoden FDT und EDDL genutzt. „Doch wie zuverlässig ist die zentrale Geräteintegration?“, fragte Pelz. In einer Untersuchung in 26 Chemieanlagen wurde festgestellt, dass es in der Regel wenig Probleme mit dem Feldbus an sich (Physical Layer) gibt, aber schon eher mit der Elektronik der Geräte und Verteiltechnik. Deutlich zunehmend werden allerdings Probleme mit der Geräteintegration gesehen. Diese sind:

  • mangelnde Interoperabilität
  • keine einheitliche Bedienoberfläche
  • Gerätelieferung ohne Integrationssoftware (wo steht diese im Web?)
  • lizensierte Gerätesoftware – ohne diese funktioniert das Gerät nicht
  • Versionsproblematik und
  • fehlende Lebenszykluskonzepte

Die Versionsproblematik stellt sich insbesondere auch im Zusammenspiel mit dem Prozessleitsystem. In einem fiktiven Fallbeispiel im Workshop „Langfristige Sicherstellung der Feldgeräteintegration“ stellte Oliver Weigel vom Fachzentrum Automatisierungstechnik der BASF die Situation dar, wenn in einer acht Jahre alten Anlage ein Messumformer ausfällt. Nach dem Einbau des Ersatzgerätes kommt es zur Fehlermeldung auf Grund unterschiedlicher Versionsnummern.

Großbaustelle Geräteintegration

Der notwendige Gerätetreiber funktioniert erst ab einer bestimmten Version, weshalb der Handwerker erst einmal die aktuelle Rahmensoftware besorgen muss. Doch diese startet nicht, sondern meldet „Update für PLS Software erforderlich.“ Dies stellt Anwender – so Oliver Weigel und Thomas Hauff von der BASF – vor eine ganze Reihe von Fragen:

  • Sind alle anderen, zum Teil acht Jahre alten Geräte mit der neuen Software lauffähig?
  • Woher bekommt man einen aktualisierten Treiber für derart alte Geräte?
  • Funktioniert ein Feldgerät in zehn Jahren mit meinem Leitsystem?
  • Kann ein PLS in sieben Jahren noch mit den heutigen Feldgeräten zusammenarbeiten?
  • Wie soll die Funktionalität über die Lebensdauer der Anlage gewährleistet werden?

Eine Situation, die Dr. Thomas Tauchnitz, Sanofi-Aventis, wie folgt karikiert: „Das Flugzeug fliegt schon, wir sitzen alle drin, aber der Flughafen zum Landen ist noch nicht gebaut.“ Die Problematik lässt allerdings auch noch einen weiteren Blickwinkel zu: Das übergeordnete Prozessleitsystem wird zuletzt nur noch zum „Add on“ der wesentlich wertvolleren Feldgeräte-Plattform. Thomas Hauff resümiert: „Die Folgekosten der Investitionsentscheidung zeigen sich spät und stellen unter Umständen die Rentabilität der Anlage in Frage. Deshalb müssen Hersteller und Anwender die Feldgeräte-Integration gemeinsam vorantreiben.“

Fazit: Angesichts der wertmäßigen und strategischen Bedeutung von Prozesssensoren in automatisierten Systemen haben die Anwender in Lahnstein ihre Wünsche deutlich artikuliert. Inwieweit die geforderten Konzepte, zu denen auch eine herstellerübergreifende einheitliche Bedienung gehört – Vision oder gar Utopie sind, wird die Zukunft zeigen. Klar ist allerdings, dass Standardisierungsbemühungen sowohl die Hardware als auch die Kommunikationssoftware die zukünftigen Entwicklungen prägen werden.

„Feldgeräte müssen Werte schaffen“
Michael Ziesemer, Klaus Endress und Dieter Schaudel vom diesjährigen Sitzungs-Sponsor Endress+Hauser
„Das Namur-Standardgerät wäre die Messesensation 2009“
Dr. Armin Brucker, BASF, definierte das PLT-Feldgerät der Zukunft
„Bis zu 1000 Einstellparameter lassen sich längst nicht mehr sinnvoll am Gerät einstellen“
Michael Pelz, Clariant

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