April 2014
  • Die Schweiz hat sich von einem rohstoffarmen Land zu einer Wirtschaftsnation hochgearbeitet, die weltweit Rankings anführt und anderen Ländern ein Vorbild sein kann.
  • Aus vielen verschiedenen importierten Rohstoffen stellen die Schweizer Industrien qualitativ hochwertige Produkte her, die sie in die ganze Welt zu einem dreifach höheren Wert exportieren.
  • Vor allem die Chemie- und Pharmabranche trug in den letzten Jahren zum starken Wirtschaftswachstum bei und konnte ihren Umsatz in den vergangenen 20 Jahren verzehnfachen.
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Außen wie innen beliebt
Kein Wunder also, dass es viele Menschen aus dem Ausland in die Schweiz zieht. Die im Jahr 2002 mit der EU geschlossenen Bilateralen Verträge I machten dies bisher möglich. Die Personenfreizügigkeit als Teil der Verträge erlaubte es Einwohnern der Vertragsländer, zusammen mit ihren Familien frei in ebendiesen Ländern zu zirkulieren, sofern sie dort Arbeit finden. Dadurch konnten Schweizer Unternehmen in den vergangenen Jahren zahlreiche Fachkräfte gewinnen. Denn trotz Fachkräften aus dem eigenen Land, die durch ein duales Bildungssystem bereits fachspezifische Berufszweige erlernen können, fehlt es in einigen Branchen an Mitarbeitern. Schon früher war die Schweiz aufgrund ihres stabilen Systems und ihrer Offenheit beliebt bei Migranten. Und nicht wenige davon haben zum Erfolg des Landes beigetragen. Henri Nestlé stammt ursprünglich aus Deutschland. In Deutschland aufgrund „falscher“ Kontakte nicht mehr gern gesehen, wanderte er ins schweizerische Vevey aus, erfand dort das Milchpulver und gründete den heute größten Lebensmittelkonzern der Welt.

Global vernetzt
In den vergangenen Jahren hat sich die Schweiz, obwohl ein kleines, über wenige eigene Rohstoffe verfügendes Land, an die Spitze globaler Wirtschafts-Weltranglisten gearbeitet – ganz getreu dem Motto „Not macht erfinderisch“. Denn was tun, wenn die Gegend über kaum Bodenschätze verfügt und die Ernten aufgrund langer Winter niedrig ausfallen? Aufgrund dieses Rohstoffmangels war die Schweiz schon immer darauf angewiesen, mit anderen Ländern zu handeln.
Das Land exportiert heute 95 % aller dort hergestellten Güter. Dabei sind die exportierten Produkte rund drei Mal wertvoller als die importierten Rohstoffe. Obwohl die Schweiz selbst kein EU-Mitglied ist, ist sie stark mit dem europäischen Markt verknüpft. Vor allem die Chemie- und Pharmabranche der Schweiz ist mit mehr als einem Drittel aller Exporte außenwirtschaftsorientiert. Etwa 80 % der importierten Produkte stammen aus der EU, rund ein Viertel aus Deutschland. Mit rund 52 % aller Exporte 2013 ist die EU auch der größte Abnehmer aller Schweizer Waren. Im Weltmarkt schlägt sich die Schweiz mit ihren etwa 8 Mio. Einwohnern außerordentlich gut. Das BIP lag 2012 bei 592 Mrd. Franken – umgerechnet etwa 484 Mrd. Euro. Für 2013 wird es auf 604 Mrd. Franken (494 Mrd. Euro) geschätzt. Der Dachverband der Schweizer Wirtschaft, Economiesuisse, rechnet für 2014 noch einmal mit einem Wachstum von 2,2 Prozent. Einen Exportüberschuss gibt es seit Jahren. Die Warenexporte trugen über die Jahre wesentlich zum Wirtschaftswachstum bei: Im Zeitraum von 1990 bis 2010 wäre die Schweizer Wirtschaft ohne Exporte um jährlich durchschnittlich 0,3 % geschrumpft. Mit dem Export jedoch wuchs das reale BIP durchschnittlich um jährlich 1,5 % an.
Um im Weltmarkt nicht unter zu gehen, haben sich damals wie heute der überwiegende Teil der Hersteller auf Spezialitätenchemikalien fokussiert. Insgesamt konzentriert sich auch neben den Großunternehmen heute der Großteil der Schweizer Unternehmen auf die Life Science-Sparte und stellt vor allem Pharmazeutika, Vitamine, Diagnostika und Agrochemikalien her. In der Chemie- und Pharmabranche hatten die Exporte im Jahr 2013 einen Anteil am Gesamtexportgeschäft von etwa 40 %. Damit stellt die Branche den größten Anteil am Exportgeschäft der Schweiz, mit einem Wert von fast 81 Mrd. Franken – umgerechnet rund 66 Mrd. Euro. Mit Medikamenten, Vitaminen und Impfstoffen fallen die Exporte der Pharmabranche am meisten ins Gewicht. Insgesamt konnte die Schweiz im Jahr 2013 trotz „wenig Schwung“ laut EZV einen Rekordüberschuss von 23,96 Mrd. Franken (19,60 Mrd. Euro) im Außenhandel verbuchen. Zu einem großen Teil ist dafür der Handel mit Agrochemikalien und Pharmazeutika verantwortlich. Weltweit liegt der Schweizer Anteil am Exportgeschäft übrigens bei 4,7 %. Laut Scienceindustries, dem Wirtschaftsverband Chemie Pharma Biotech, ist die Schweiz damit die siebtgrößte Exportnation der Welt.

Industrie auf Vormarsch
Innerhalb der Schweizer Industrie wuchs der Chemie- und Pharmabereich in den vergangenen Jahren am stärksten. Zwischen 1990 und 2010 konnte die Industrie ihren Umsatz verzehnfachen. Von 1995 bis 2011 wuchs die Produktion um durchschnittlich 12,4 % jährlich an. Im Vergleich: die schweizerische Gesamtindustrie legte in diesem Zeitraum nur um 2,8 % jährlich zu. Die „Top Ten“ der Schweizer chemisch-pharmazeutischen Unternehmen hat im Jahr 2012 einen Weltumsatz von 145 Mrd. Franken (knapp 119 Mrd. Euro) erwirtschaftet. Der Weltumsatz der Chemie- und Pharmabranche betrug im Jahr 2012 rund 4.086 Mrd. Euro. Die Schweiz trug mit fast 67 Mrd. Euro 1,6 % dazu bei. Laut Credit Suisse betrug die Bruttowertschöpfung der Chemie- und Pharmaindustrie im Jahr 2009 13 Mrd. Euro. Im Schweizer Vergleich hat die Chemie- und Pharmabranche aufgrund des schnellen Wachstums im Jahr 2009 sogar die bis dato stärkste Branche, die Maschinenbau-, Elektro- und Metallbranche (MEM) überholt. Diese hatte 2013 mit einem Exportvolumen von 45 Mrd. Franken (27 Mrd. Euro) noch einen Anteil von 22 % an den Gesamtexporten. 1990 war die MEM-Industrie noch die bedeutendste Exportbranche. Vor allem unter der letzten Wirtschaftskrise 2009 hat die Branche stark gelitten. Besser davongekommen ist vor allem die pharmazeutische Industrie. Während der Krise stabilisierte sie die Schweizer Wirtschaft – Medikamente werden schließlich immer gebraucht – und verhalf der Schweiz damit, die Krise besser zu überstehen als ihre Handelspartner. Seitdem ist die Pharmaindustrie eine der wichtigsten Wachstumsmotoren. Seit 1980 ist der Anteil der pharmazeutischen Sparte an den Gesamtexporten der chemisch-pharmazeutischen Industrie von 40 % auf über 81 % gewachsen.

Viel Kleines = Großes
Im Jahre 2008 beschäftigte die Chemieindustrie in der Schweiz laut Bundesamt für Statistik 36.400 Menschen in 642 Betrieben. Die pharmazeutische Industrie kam auf 206 Unternehmen mit insgesamt 35.200 Mitarbeitern. Insgesamt hatte die Gesamtbranche Chemie und Pharma 2012 eine Zahl von 65.400 Beschäftigten. Im Vergleich: Die im Außenhandel schwächer gewordene MEM-Branche beschäftigt noch immer 330.000 Menschen und verbleibt damit in dieser Hinsicht die größte Branche.
Neben wenigen großen, fast 70 % der Arbeitnehmer beherbergenden Firmen, wie Clariant und Novartis, gibt es besonders viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). 99 % der Unternehmen im gesamten Bereich machen diese KMU aus. Viele werden noch immer von den Gründerfamilien geleitet. Ein nicht geringer Teil vor allem dieser kleineren Unternehmen hat sich mit der Zeit in Clustern zusammengeschlossen, zu denen jedes Unternehmen als spezialisierte Zulieferer oder Dienstleister seinen Teil beiträgt. Um sich als Spezialist einen Namen zu machen, muss die Innovationskraft eines Unternehmens groß sein. Und auch in dieser Hinsicht befindet sich die Schweiz weltweit in den obersten Rängen. Man darf gespannt sein, wie sich das Land in den nächsten Jahren den Aufgaben und Hindernissen, die da kommen, stellt.

Schweiz weltweit
Im Ranking ganz oben

Im Global Competitive Index landet die Schweiz seit fünf Jahren wiederholt auf Platz 1, gefolgt von Singapur, Finnland und Deutschland. Für die gute Platzierung sprechen gleich mehrere Erfolgsfaktoren: Neben der Effizienz der staatlichen Strukturen und einem flexiblen Arbeitsmarkt (inklusive niedriger Arbeitslosenquote, die im Jahr 2012 bei 4,2 % lag – Tendenz fallend) sehen Beobachter des Landes vor allem das oben genannte Streben nach Neuem als Erfolg bringend.

Schweiz aktuell
Zusammenarbeit gefährdet?

Die Personenfreizügigkeit als Teil der bilateralen Verträge wird von vielen, angeleitet durch die Schweizerische Volkspartei SVP, als negativ für die Schweiz angesehen. Seit 2007 sind jährlich im Durchschnitt 80.000 Menschen in die Schweiz migriert, der Großteil aus der EU. Damit macht der Anteil der Ausländer mit 1,8 Mio. Menschen rund 23 % der Bevölkerung aus. Um weiteren Zuzug zu vermeiden, hat die SVP die Initiative gegen „Masseneinwanderung“ gestartet. Am 9. Februar 2014 wurde per Volksentscheid, so ist es in der Schweiz üblich, darüber abgestimmt. Das Ergebnis war knapp, aber mit 50,3 % und damit nur 19.500 Stimmen mehr stellte sich das Volk auf die Seite der SVP, bei einer für die Schweiz hohen Wahlbeteiligung von 56 %. Die Schweiz wird damit zurück zur Kontingentregelung gehen, in der der Staat darüber entscheidet, wie viele Menschen pro Jahr einwandern dürfen. Die anderen Schweizer Parteien und die Wirtschaftsverbände, darunter Economiesuisse sowie Scienceindustries und Swissmem, stellten sich gegen die Initiative. Unter anderem, um einem Mangel an Fachkräften entgegenzutreten, den Forschungs- und Produktionsstandort Schweiz in Zukunft nicht zu gefährden und im Vergleich zur restlichen Industriewelt nicht die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. In den Maschinenbau-, Elektro- und Metall-Industrien (zusammengefasst als MEM-Industrie), in denen bisher etwa 28 % der Mitarbeiter aus dem Ausland kommen, herrscht seit Jahren Fachkräftemangel. Laut einer Umfrage von Bak-Basel haben 75 % der Firmen in der MEM-Branche Schwierigkeiten, Fachkräfte zu rekrutieren. 28 %, sprich jedes vierte Unternehmen kann offene Stellen nicht besetzen. Ivo Zimmermann von Swissmem weiß: „Unsere Branche ist auf die Personenfreizügigkeit angewiesen. Unseren Bedarf deckt der Schweizer Arbeitsmarkt einfach nicht, egal ob es um Ingenieure, Facharbeiter oder Auszubildende geht“. Aktuell stammen etwa 45 % der Mitarbeiter in der Chemie- und Pharmabranche, vor allem in der Forschung, aus dem EU-Ausland. Marcel Sennhauser vom Pharmaverband Scienceindustries: „Da haben wir schlichtweg zu wenig hochqualifizierte Leute und müssen weltweit suchen“. Mit einem Mangel an Fachkräften sinkt laut Verbänden die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit.
Die Abschaffung der Personenfreizügigkeit hat – so hat es die EU mit einer Guillotineklausel über die bilateralen Verträge vorgesehen – im Grunde auch ein Ende der Verträge selbst zur Folge. Die SVP war sich bisher sicher, dass die EU zu Verhandlungen bereit sein wird. Nach einer ersten Einschätzung wird dies möglicherweise nicht so einfach, da die EU die durch die Initiative abgesetzte Freizügigkeit als Kernelement der EU-Integration und des Binnenmarktes versteht. Und auch innenpolitisch stehen der Schweiz viele Verhandlungen bevor, da unter anderem noch geregelt werden muss, wie hoch die Kontingente in Zukunft ausfallen sollen.Wie die EU in Verhandlungen mit der Schweiz treten wird und welche Folgen das Abstimmungsergebnis für die Handelsbeziehungen der Schweiz mit EU- und anderen Staaten haben wird, wird sich in den nächsten drei Jahren zeigen. Bis dahin sollen die Forderungen der Initiative umgesetzt sein.

 

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