Januar/Februar 2016

 

  • Aufgrund zahlreicher Konkurrenz stehen deutsche Anlagenbauer mehr und mehr unter Zeitdruck. Sie müssen neue Abwicklungsmodelle erfinden, sonst drohen sie den globalen Bieterkampf zu verlieren.
  • Siemens hat eine Strategie entwickelt, bei der auf dem Globus verteilte Divisionen Kundennähe ermöglichen und die auf deren Anforderungen eingehen können. Kernkompetenzen bleiben aber in Deutschland.
  • Dabei stellte sich vor allem die Herausforderung, Know-how und Arbeitsphilosophie aus Deutschland in die Auslands-Divisionen zu exportieren und so gemeinsame Standards zu schaffen.

Eine Frage der Philosophie
Neben Gurgaon ist Seoul, Korea, ein weiterer wichtiger Standort für den Anlagenbauer. Hier sind Ingenieure in aller Regel zwar auf technisch hohem Niveau ausgebildet, „aber unser Management besteht nicht nur aus Engineering, sondern beinhaltet auch das Supplier-Management; also die Verbindung von Einkauf und Handling der Unterlieferanten“, erklärt Pott. Solche Tätigkeiten sind allerdings nicht Teil der klassischen Ingenieursausbildung, weshalb sein Team den Kollegen vor Ort Fähigkeiten wie Projektmanagement und die damit verbundene Termintreue näherbringen mussten. Und auch im Bereich Procurement gibt es zwischen dem deutschen und dem koreanischen Anlagenbau unterschiedliche Philosophien: „Bei Siemens starten wir zur Preisfindung mit einer Bottom-up-Kalkulation. Wir planen also alles durch und lassen entsprechend einkaufen. Die Koreaner sind hier risikobereiter und verfolgen mehr einen Top-down-Approach. Das heißt sie versuchen die unterschiedlichen Gewerke zu bestimmten Preisen einzukaufen. Gelingt dies nicht, schneiden sie die Gewerke auf und kaufen die einzelnen Komponenten so ein, dass am Ende der Target-Preis steht. Salopp gesagt verfolgen die Koreaner den Ansatz ‚Wir basteln es auf der Baustelle zusammen‘.“

German Engineering in die Welt tragen
Bevor Siemens Früchte ernten konnte, stand also immer, ob nun Indien oder Korea, ein teils aufwendiger Know-how- und Philosophie-Transfer. Dass ein solcher Kulturwandel nicht ganz reibungslos geschieht, davon zeugt nicht zuletzt laut eigenen Angaben Potts Haupthaar, das in den vergangenen Jahren die eine oder andere graue Stelle bekam: „Wenn unsere deutschen Kollegen Skills wie Management weitergeben, waren manche natürlich gehemmt von der Angst, dass am Ende der eigene Arbeitsplatz abwandern könnte. Aber ich predige hier immer: Wenn wir das nicht machen, wird am Ende gar kein Arbeitsplatz in Deutschland mehr übrig bleiben. Diese Einsicht haben leider nicht alle. Darum ist eben nicht nur der Prozess wichtig, sondern auch, wie kommuniziert wird. Auch mussten unsere Experten den Dokumenten-Workflow zwischen den Standorte ganz klar regeln, mit sogenannten Master-Documents-Listen. Das ist natürlich eine enorme Herausforderung. Aber wir verfahren jetzt bereits seit ein paar Jahren auf diese Art – und man kann es handeln. Trotzdem ist es natürlich ein Aufwand, den man nicht kleinreden darf.“

Künftig nur noch im Netzwerk
Die langfristige Vision für das globale Abwicklungsmodell sieht so aus, dass die Segmente auch in Zukunft nur verzahnt agieren können, beispielsweise dass Korea Projekte nur mit Hilfe von Indien abwickeln kann. Die Diskussion, welcher Vorhalt an Know-how in Deutschland bleiben soll, ist dabei noch nicht abgeschlossen. „Ich persönlich glaube, dass wir das Know-how halten müssen. Denn ich benötige dieses Wissen zum einen, um meine Projekte weltweit steuern zu können. Zum anderen gibt es immer wieder Krisenprojekte, in die ich meine Feuerwehrtruppen schicken muss – wenn ich in solchen Fällen nicht auf Leute aus meinem direkten Umfeld zurückgreifen kann, dann fühle ich mich unwohl“, kommentiert Poll. Darum sei es für einen Anlagenbauer  auch wichtig, ab und an ein „Investment“ zu tätigen und eine Anlage mit dem deutschen Standort abzuwickeln, wie es beim Kraftwerk Knapsack der Fall war: „Nach dem Herausgeben der 2D-3D-Planung war es so, dass die Ergebnisse, die wir zurückerhielten, bei uns intern stark kritisiert wurden. Dadurch, dass wir unsere Ansprüche nicht klar bei den Kollegen in Indien definiert hatten, gab es dort jede Menge Work­arounds. Als wir während des Knapsack-Projektes diesen Teil der Planung dann wieder in Deutschland anfingen, wurden diese Unzulänglichkeiten offensichtlich, und die entsprechenden Prozesse mussten neu definiert werden. Das gab uns die Chance noch einmal die Kommunikation mit den Kollegen in Gurgaon nachzubessern. Erst dadurch konnten wir den heutigen Benefit realisieren.“

Ob dieses Modell nun die Zukunft des Anlagenbaus darstellt, oder aber Unternehmen hierdurch Gefahr laufen am Ende zu komplex aufgestellt sein zu können, lässt sich nur schwer entscheiden und ist sicher auch nicht auf jeden Anbieter 1:1 umzusetzen. Aber ein Anlagenbau 100 % made in Germany hat im aktuellen Umfeld wohl auf jeden Fall ausgedient. SpecialAnlagenbau012016, Top30316

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