Mai 2010
 
  • Effizienz im Anlagenlebenszyklus ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal, mit dem deutsche Anlagenbauer im internationalen Wettbewerb punkten können.
  • besteht die Herausforderung darin, die Gesamtkosten einer Anlage über deren Lebenszyklus bereits im Planungsansatz zu optimieren.
  • Dafür sind mehr und mehr mathematische Simulationen gefragt, was wiederum eine weitgehende Digitalisierung der gesamten Planung voraussetzt.
  • Ein weiterer Wettbewerbs- und Produktivitätsfaktor wird in Zukunft die Integration der heterogenen Planungstools sein.

Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau hat die Schlüssel dafür in der Hand, Wachstum und Wohlstand zu sichern“, gab sich VDMA-Präsident Dr. Manfred Wittenstein in seinem Impulsvortrag zur Anlagenbau-Tagung des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und Automatisierung, IFF, im März in Magdeburg zuversichtlich. Doch die Herausforderungen für die ebenfalls von der Finanz- und Wirtschaftskrise gebeutelte Branche sind groß, wie sich anhand der stark rückläufigen Auftragsentwicklung in 2009 erahnen lässt. Und so kam die Tagung zum rechten Zeitpunkt, um die für den Anlagenbau wichtigen Faktoren und Einflussgrößen zu analysieren und zu diskutieren.

Und während im globalen Wettbewerb der Kontraktoren und EPC-Unternehmen häufig vor allem die Angebotskonditionen und Gewährleistungszeit im Vordergrund steht, richtete der Veranstalter mit dem Thema „Effizienz im Anlagenlebenszyklus“ den Blick auf die Nachhaltigkeit der vom Anlagenbau angebotenen Lösungen. Dass diese ein wichtiger Erfolgsfaktor und wesentliches Differenzierungsmerkmal der als hochpreisig geltenden deutschen Anbieter ist, wurde schnell deutlich. „Von der Kundenseite wird heute eine Erhöhung der Gesamtanlageneffizienz gefordert“, verdeutlichte Prof. Dr. Michael Schenk, Leiter des IFF in Magdeburg. Eine Sichtweise, die auch von den Vertretern betreibereigener Anlagenbauer – darunter der BASF und Bayer Technology Services (BTS) – unterstützt wurde. „Der Prozess wird auch in Zukunft der größte Hebel für die Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit sein – und der Business Case bleibt dabei das Maß aller Dinge“, brachte es Dr. Ralf Sick-Sonntag, Leiter des Engineerings bei BTS, auf den Punkt.
Dabei wird es in Zukunft wichtig sein, „marktgerechte Anlagenstrukturen und regional angepasste Ausführungen“ zu realisieren, pflichtete Dr. Georg Großmann, Leiter Group Engineering der BASF, bei. Die Optimierungsziele verschieben sich von den bisherigen Zielstellungen wie „höchstmögliche Verfügbarkeit“, „maximale Automatisierung“, „optimierte Projektsicht“ und „minimierte Investitionskosten“ hin zu einem optimierten Anlagenlebenszyklus mit marktgerechten Anlagenstrukturen. Allerdings müssen Anlagenbauer und Betreiber Risiken und Aufwand jeweils abwägen und den Gesamtwert optimieren – durchaus mit je nach Region angepasster Ausführung und entsprechendem Automatisierungsgrad. Die „Total Cost of Ownership“ werden das beherrschende Optimierungsziel. „Der Anlagenbau muss die Chancen und Herausforderungen der Wachstumsregionen annehmen und in angepasste Konzepte für die Projekte der Business Units umsetzen“, fordert Großmann.

Modellbildung statt iterativer Optimierung im Planungsprozess

Dass dies eine weitgehende Digitalisierung der Planungsabläufe mit sich bringen wird, scheint unausweichlich. „Wir müssen die derzeit vorhandenen heterogenen Systemlandschaften und die damit verbundenen Medienbrüche überwinden und durchgängig moderne Entwicklungswerkzeuge einsetzen“, plädiert Michael Schenk für einen neuen Ansatz bei der Planung. Dass sich damit nicht nur die Produktivität der Ingenieure steigern lässt, sondern auch die Betriebskosten sinken, verdeutlicht der Institutschef am Beispiel eines neuen Ansatzes für die Auslegung einer Schlauchfilteranlage: Durch den Einsatz von Simulationsmodellen auf Basis digitaler Modelle konnte in der Praxis eine höhere Nutzungszeit erreicht werden: Der Turnus für einen Filterwechsel ließ sich so von 6 auf 10 Monate erhöhen, was für den Betreiber eine Kosteneinsparung von 40 % zur Folge hatte.

Welches Potenzial der Einsatz mathematischer Modelle für die Prozessoptimierung bereits im Planungsstadium hat, deutete auch Georg Großmann an: Im BASF-Engineering untersucht man den Ersatz iterativer Optimierungsansätze durch eine mathematische Modellbildung. Der „i-TCM“ genannte Ansatz berücksichtigt Eingangsgrößen wie Kosten für Roh- und Hilfsstoffe sowie Nebenprodukte, Abgas und Abwasser in Abhängigkeit von der Anlagenausführung und liefert detaillierte Aussagen über die Kostentreiber im Prozess. „Im Pilotprojekt konnten wir die iterativ ermittelten ‚Best Practices‘ bei Weitem übertreffen“, berichtete Großmann. Für große Anlagenprojekte werden bislang allerdings die Grenzen des mathematisch und computertechnisch Möglichen erreicht. „Doch die Zeit und das Moore´sche Gesetz arbeiten für uns“, erklärt Großmann.
In dieser veränderten Life-Cycle-Sichtweise ändern sich auch die Rollen der Planer und Betreiber. „Der Anlagenfahrer wird zum Optimierer“, verdeutlichte Ralf Sick-Sonntag am Beispiel des von BTS entwickelten Operator Trainigsimulators. Aber auch neue Anlagenkonzepte bieten das Potenzial, um die Lebenszykluskosten einer Anlage bereits in der Planungsphase zu reduzieren. So forscht BTS gemeinsam mit einem europäischen Chemie-Konsortium und der TU Dortmund an einer modularen Chemiefabrik. Im EU-Förderprojekt „F3 Factory“ sollen hocheffiziente und nachhaltige Produktionsmethoden für die Chemieindustrie durch das Bündeln von Prozess-Know-how aus Industrie und Forschung entwickelt werden.
Außerdem kann der kombinierte Einsatz vorhandener Engineeringtools dazu genutzt werden, um beispielsweise Alternativen für Aufstellungskonzepte im Anlagenbau zu entwickeln. Häufig, so Sick-Sonntag, sind es dabei die kleinen CAE-Anbieter, die eher dafür offen sind, neue und effizientere Lösungen und integrierte Werkzeuge zu entwickeln. Auch beim Fraunhofer Institut sieht man hier Potenzial: Michael Schenk skizzierte im Rahmen seines Vortrags eine Engineering-Plattform die es auch kleinen und mittelständischen Unternehmen ermöglichen soll, digitale Entwicklungswerkzeuge für den Anlagenbau zu nutzen sowie neue Formen der Mensch-Maschine-Interaktion bereit zu stellen.

Vision: Integriertes Engineering

Dass dies kein Spaziergang werden wird, verdeutlichten allerdings Ulrich Stramma und Matthias Reiche vom Anlagenbauer Uhde: Immerhin 60 bis 70 % der in einem Anlagenprojekt erstellten Dokumente kommen von Subunternehmen und Lieferanten. Gleichzeitig fordern die Betreiber ein Datenmodell mit spezifsch angepassten Tools. Eine besondere Herausforderung in diesem Kontext sind Package-Units. Denn Subunternehmen und Lieferanten lehnen es in der Regel ab, die vom Betreiber über den EPC geforderten Daten im jeweiligen Standard des Betreibers und in editierbaren Formaten zu liefern: Dabei müsste der EPC den Einsatz der Betreiber- Tools bei Subunternehmern und Lieferanten einfordern. Gravierend sei auch der Unterschied zwischen Lump-Sum Turnkey-Projekten (LSTK) und nach Aufwand abgerechneten Aufträgen (reimbursable). Der Aufwand für die vom Betreiber geforderten Dokumente und Daten mit spezifischen Tools des Betreibers steht häufig im Gegensatz zu der Forderung nach Festpreis-Aufträgen – die eine Spezialität des europäischen Anlagenbaus sind: „Betreiber, EPCs, Lieferanten und Softwarehersteller müssen eine offene Diskussion darüber beginnen, um tragfähige, durchgängige Lösungen zu finden“, sagt Stramma.

Fazit: Der deutsche Anlagenbau bezieht seine Wettbewerbsfähigkeit zu einem großen Teil aus der Produktivität der Ingenieure und der Technologieführerschaft. Diese Aspekte werden auch in Zukunft wichtige Erfolgsfaktoren bleiben. Die Herausforderung besteht darin, die Gesamtkosten einer Anlage über deren Lebenszyklus bereits im Planungsansatz zu optimieren. Dafür sind mehr und mehr mathematische Simulationen gefragt, was wiederum eine weitgehende Digitalisierung der gesamten Planung sowie die Integration der heterogenen Planungstools voraussetzt.

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