- Globale Megatrends wie Rohstoffknappheit, Globalisierung und Technologiefortschritt treiben den Anlagenbau.
- Deutsche und europäische Anbieter sehen sich im globalen Wettbewerb großen Herausforderungen gegenüber.
- Dazu gehören die Forderung nach der Übernahme von Gesamtverantwortung in EPC-Projekten, lokale Leistungserbringung und die von deutschen Anbietern erwartete Technologieführerschaft.
- Ein Erfolgsfaktor für deutsche und europäische Anlagenbauer können künftig Partnerschaftsmodelle sein, um gemeinsam Märkte zu erschließen.
Zu den Herausforderungen gehört mittlerweile, dass hochkomplexe Hightech-Systeme an immer unwirtlicheren Orten auf der ganzen Welt installiert werden. „Wir sind heute teilweise in Gegenden tätig, in denen selbst Anlagenbauer nicht mehr Urlaub machen“, verdeutlicht Helmut Knauthe, CTO bei Thyssen Krupp Industrial Solutions. „Neue Projekte werden immer häufiger in Regionen realisiert, die langweilig, weit weg, schmutzig und gefährlich sind“, bringt Roel Van Doren, Europachef bei Emerson Process Management, den Vierklang an Herausforderungen auf den Punkt.
Dabei sind die Projekte häufig die Folge einer Reihe globaler Megatrends, wie sie von Zukunftsforschern beschrieben werden: darunter besonders wichtig die Aspekte Globalisierung, Demografie, Rohstoffknappheit, Klimawandel und Technologie. Ob neue Erzvorkommen in unwirtlichen Regionen Australiens, Gas- und Ölvorräte unter der Tiefsee oder Düngemittelanlagen in der Nähe von Schiefergas-Bohrstätten in Nord-Dakota – ihnen allen liegen Megatrends wie der Hunger nach Rohstoffen, Aspekte der Globalisierung sowie des weltweiten Bevölkerungswachstums zugrunde.
Globale Megatrends
bewegen den Anlagenbau
Es sind dabei nicht einzelne Trends, die den Anlagenbau treiben, sondern die Kombination aus verschiedenen: „Man kann diese Megatrends nicht isoliert voneinander betrachten“, ist sich Michael Vennebusch, Leiter des Geschäftsgebiets Chemie beim Intralogistik-Spezialisten Haver & Boecker, sicher. Der mittelständische Systemanbieter sieht sich dabei allerdings in seinen immer anspruchsvolleren Absatzmärkten denselben Herausforderungen gegenüber, denen auch Unternehmen des Großanlagenbaus begegnen: „Dem Angebot steht eine im Volumen tendenziell konstante, aber strukturell veränderte Nachfrage gegenüber – die einzelnen Projekte werden immer größer“, beschreibt Linde-Vorstand Prof. Dr. Aldo Belloni einen Aspekt. Und auch die Konkurrenz um diese Projekte wird im globalen Kontext deutlich härter: „Für die Kunden sind die Auswahloptionen größer geworden – die Konkurrenz durch koreanische und chinesische Anbieter ist enorm“, so Belloni.
Auch am aktuellen Schiefergas-Boom in den USA lassen sich Folgen der globalen Megatrends beobachten: Nirgends werden derzeit so viele Düngemittelanlagen gebaut wie in Nordamerika – eine Entwicklung, die dem weltweit wachsenden Bedarf nach Nahrung folgt. Dabei darf der Boom vor allem europäischen Chemieanlagenbauern nicht den Blick vor den tiefgreifenden strukturellen Änderungen verstellen: Die Forderung nach der Übernahme von Gesamtverantwortung in EPC-Projekten, lokale Leistungserbringung und die – insbesondere von deutschen Anbietern erwartete – Technologieführerschaft. Und gerade die Forderung nach Gesamtverantwortung in Megaprojekten macht den hoch spezialisierten deutschen Anbietern zu schaffen. Ihnen fehlt häufig die Manpower für den Bau- und Montageteil. Auch die Bildung von Konsortien und die Abwicklung von Großprojekten mit Partnern ist da nur bedingt ein Ausweg: Stets stellt sich dabei die Frage, wer für die Einzelrisiken geradesteht. Generalunternehmer müssen die Risiken, die durch Sub-Kontraktoren entstehen, im Angebot einpreisen – und sind damit gegenüber Anbietern, die große Pakete aus einer Hand liefern, zu teuer.
Partnerschaften als Schlüssel zum EPC-Angebot
Dennoch führt am EPC-Angebot kein Weg vorbei. „Die Kunden, insbesondere in Regionen wie Afrika, wollen EPC“, verdeutlicht Dr. Reinhold Festge, Präsident des VDMA und Gesellschafter von Haver & Boecker. „Wenn wir in solchen Regionen nicht EPC anbieten, dann hat der Kunde kein Interesse an unserem Angebot. Deshalb müssen deutsche und europäische Anlagenbauer zusammenarbeiten und gemeinsam Märkte erschließen“, plädiert Festge für Kooperationen.
„Das Thema ist nicht neu“, entgegnet Helmut Knauthe. Die Crux besteht seiner Meinung nach darin, dass die Frage der Risikoübernahme meist unbeantwortet bleibt: „Meiner Erfahrung nach scheitern vier von fünf Gesprächen über Partnerschaften an konkreten Vereinbarungen über die Risiken“, sagt Knauthe. Ein Aspekt, den auch Joachim Dahms, Geschäftsführer beim Anlagenbauer FLSmidth, Hamburg, sieht: „In der Praxis endet das Gespräch immer an dem Punkt, wo es um die selbstschuldnerische Haftung gegenüber Dritten geht.“ Diese Frage stellt sich beispielsweise für Unternehmen, die als Technologiespezialisten die Gesamtverantwortung für ein Projekt übernehmen wollen, und dafür Gewerke wie zum Beispiel Bauleistungen bei Subkontraktoren einkaufen müssen.
Auf der anderen Seite zeigen mittelständische Anbieter, dass sie sich im globalen Projektgeschäft nicht vor Risiken scheuen: Reinhold Festge berichtet vom Aufbau neuer Niederlassungen in Moskau und Nigeria, bei denen der Systemlieferant nicht etwa mit einer Fertigung startet, sondern mit Servicestützpunkten. „Mir gefällt der Mut, mit dem der Mittelstand in Regionen aktiv wird, in denen Unternehmen des Großanlagenbaus das Gesamtrisiko zu hoch ist“, äußert sich Dr. Peter Weber, EMEA-Chef beim Metallurgieanlagenbauer Outotec anerkennend. Auch Outotec hat den Aufbau von Serviceniederlassungen für sich als Strategie erkannt, um in neuen Märkten Fuß zu fassen. Dabei soll Servicegeschäft nicht nur helfen, das konjunkturanfällige Projektgeschäft auszubalancieren, sondern auch zum lokalen Brückenkopf werden, um Investitionsprojekte vor Ort zu gewinnen. „Das bietet für Technologiegeber wie uns die Chance, gemeinsam mit Systemanbietern Partnerschaften in solchen Regionen zu bilden, um mit größeren Paketen gemeinsam erfolgreich zu sein“, meint Weber.
Service wird immer wichtiger
Lokaler Service wird auch deshalb zu einem Schlüsselfaktor, weil die Anlagenbetreiber selbst an den entlegenen Standorten oft überfordert sind, die technisch komplexen Anlagen mit eigenem Personal zu betreiben. „Darin liegt für den europäischen und deutschen Anlagenbau eine riesige Chance“, ist sich Helmut Knauthe sicher. Und Dr. Peter Weber sieht sogar noch einen weiteren Trend: „Die Kunden wollen ihre Investitions- und Betriebsrisiken mit ihren Lieferanten und Anlagenbau-Unternehmen teilen.“ Das heißt, dass der bislang ehernen Trennwand zwischen Investitionsprojekt und Betriebsphase der Abriss droht. Weber: „Es gibt immer mehr Projekte, bei denen wir in dieses Geschäftsfeld gedrängt werden. Es geht den Kunden darum, dass wir Verantwortung für die Verfügbarkeit übernehmen und einen schnellen Service bieten können.“ Ein Aspekt, der vor allem auch zum Unterscheidungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern aus Asien werden könnte.
Ein solches ist nicht nur die Technologieführerschaft, sondern vor allem auch die Qualität, für die deutsche Anlagenbau-Anbieter in der Welt bekannt sind. „Das ist sicher einer der wesentlichen Hebel für die kommenden Jahre“, bestätigt Linde-Vorstand Aldo Belloni: „Unabhängig davon, wo in der Welt wir unsere Engineering-Leistungen erbringen, gelten bei uns stets die gleichen, hohen Qualitätsstandards.“ Die Herausforderung in Bezug auf eine globalisierte Organisation deutscher Anbieter besteht deshalb darin, dieses Qualitätsniveau an allen Standorten sicher zu stellen. Belloni: „Das bedeutet einen hohen Aufwand.“
Eine Erfahrung, die auch der global tätige Großanlagenbauer Technip macht. Mit 38.000 Mitarbeitern aus 109 Nationen und Standorten in insgesamt 48 Ländern bedeutet das Erreichen einheitlicher Qualitätsstandards eine große Herausforderung. Insbesondere auch vor dem Hintergrund eines rasanten Wachstums: Innerhalb von 15 Jahren hat der Engineeringkonzern seinen Personalstamm vervierfacht. „Unser Topmanagement treibt uns voran, um weltweit eine effiziente Zusammenarbeit sicherzustellen“, verdeutlicht Marie-Christine Charrier, CTO bei Technip. Dabei helfen klare Zuständigkeiten: „Sobald die detaillierte Auslegung einer Anlage in unseren Entwicklungszentren abgeschlossen ist, unterstützt ein Teil des gleichen Teams die Arbeiten auf der Baustelle“, erklärt Charrier und ist sich sicher: „Der Erfolg unserer Projekte und unseres Unternehmens hängt entscheidend von den Mitarbeitern ab.“
Modularisierung und Standardisierung helfen das Ergebnis zu verbessern
Dass nicht nur standardisierte Arbeitsprozesse und Qualitätssicherungsmaßnahmen die Wettbewerbsfähigkeit voranbringen, wird am Beispiel des Kraftwerksanlagenbaus deutlich: Hier konnten in den vergangenen Jahren vor allem Anbieter aus China und Südkorea signifikante Anteile erobern. Die Frage, was Wettbewerber aus Südkorea in den vergangenen Jahren so erfolgreich gemacht hat, wurde auf dem 3. Engineering Summit von Thomas Wehrheim, COO von Doosan Lentjes, eindrucksvoll beantwortet: die konsequente Standardisierung und Modularisierung von Anlagen. Das geht so weit, dass einzelne Systempakete als standardisiertes „Produkt“ gesehen werden. Wie groß das Potenzial ist, zeigt eine aktuelle Studie des VDMA mit dem Beratungsunternehmen Maexpartners: Demnach kann durch konsequente Modularisierung und Standardisierung im Anlagenbau das unternehmerische Gesamtergebnis um bis zu zehn Prozent gesteigert werden.
Die Beispiele und Trends zeigen: Das „Abenteuer Anlagenbau“ bietet auch heute noch jede Menge Herausforderungen. Und: Die Branche macht sich mit deutscher Gründlichkeit daran, technologische und organisatorische Grenzen weiter zu verschieben und neue Geschäftsfelder wie den Service anzugehen. „Angesichts der vielgestaltigen Herausforderungen ist der Weg auf die Erfolgsspur zwar steinig und arbeitsintensiv, jedoch ist mir um die Zukunft des deutschen und westeuropäischen Anlagenbaus nicht bange“, resümiert Linde-Vorstand Aldo Belloni: „Gerade die Erfolge im Nordamerika-Geschäft zeigen, dass sich Technologiekompetenz auszahlt.“ Top3914
Zum Event
Engineering Summit
Mit dem bereits 3. Engineering Summit, an dem im Juli über 310 Führungskräfte aus dem Anlagenbau teilgenommen haben, hat sich die Veranstaltung als der Networking-Event der Branche etabliert. Der Kongress wird von den Kooperationspartnern VDMA und CHEMIE TECHNIK gemeinsam im anderthalbjährigen Turnus veranstaltet. Der 4. Engineering Summit wird vom 1. bis 2. Dezember 2015 in Mannheim stattfinden.
Hier gelangen Sie zur Webseite des Engineering Summit.