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Die Digitalisierung der Betriebstechnik wird künftig unter die Verantwortung der Unternehmens-IT gestellt. Das hat Konsequenzen – auch für die Anlagenlieferanten. (Bild: Alexander Limbach – Adobe Stock)

  • Die Chemie stellt derzeit wieder verstärkt die Frage nach dem Nutzen der Digitalisierung.
  • Dieser soll mit neuen Geschäftsmodellen in der Zukunft erreicht werden .
  • Im Anlagenbau ist von diesen bislang noch wenig zu sehen.

Digitalisierung ist ein Hype-Thema, das seit der Ausrufung der vierten industriellen Revolution in den Jahren 2011 bis 2013 kontinuierlich an Fahrt gewonnen hat. Denn mit der Vision „Industrie 4.0“ haben Automatisierung und Digitalisierung die rein technische Ebene verlassen und wurden strategische Management-Themen. Die Hoffnung: Die Industrie will eigene Plattform-Modelle analog zu den Silicon-Valley-Größen Google, Amazon & Co. entwickeln und dadurch nicht nur die Grundlage für neue Geschäftsmodelle schaffen, sondern auch ihre Zukunft sichern.

So will beispielsweise der Chemieriese BASF in den Jahren 2019 bis 2021 rund 400 Mio. Euro in Maßnahmen zur Digitalisierung stecken. Auch beim Pharma- und Pflanzenschutzmittel-Konzern Bayer kündigt sich eine „digitale Revolution“ an: Die Digitalisierung der Betriebstechnik (Operational Technology, OT) wird künftig unter die Verantwortung der Unternehmens-IT gestellt. Das hat Konsequenzen – auch für die Anlagenlieferanten. Diese tun gut daran, sich auf die künftigen Forderungen ihrer Kunden in der Prozessindustrie einzustellen.

Namur formuliert Anforderungen an die Lieferanten

Formuliert werden diese Anforderungen unter anderem von der Namur – der Interessensvereinigung Automatisierungstechnik der Prozessindustrie. In dem vor 70 Jahren von Unternehmen der deutschen Großchemie gegründeten Verein organisieren sich immer mehr Technik-Entscheider und Abnehmer von Automatisierungstechnik. Die Organisation setzt auch international immer stärker die künftigen Standards der Automatisierung und OT. Zu den jüngsten Entwicklungen und künftigen Anforderungen an die Lieferanten von Prozesstechnik gehören modular aufgebaute und modular automatisierte Produktionsanlagen (Stichwort: Module Type Package, MTP) sowie der Wunsch nach mehr Informationen aus dem Prozess, die über die künftige Namur Open Architecture (NOA) und nach deren Informationsmodell gewonnen werden sollen. Allerdings stellt auch die Großchemie derzeit wieder verstärkt die Frage nach dem Nutzen der Digitalisierung. Die Stimmungslage folgt dabei dem klassischen, vom Beratungsunternehmen Gartner schon vor Jahren formulierten „Hype Cycle neuer Technologien“: Demnach erklimmen diese zunächst den steilen „Gipfel der überzogenen Erwartungen“, um danach in das „Tal der Enttäuschungen“ abzusteigen. Erst darauf folgt der Wiederaufstieg zum „Plateau der Produktivität“.

Im Falle der Digitalisierung soll dieses mit neuen Geschäftsmodellen in der Zukunft erreicht werden – beispielsweise mit neuen Lieferketten und Servicemodellen in Richtung der Abnehmer, für die Technologien wie MTP und NOA die Grundlage schaffen sollen. Auf dem jüngsten Namur-Treffen im November 2019 zeigte sich allerdings, dass die Technik-Protagonisten auch in ihren an sich solventen Unternehmen immer stärker unter Rechtfertigungsdruck geraten. So hat sich die die Anwendervereinigung vorgenommen, den wirtschaftlichen Nutzen der Digitalisierung künftig stärker in den Vordergrund zu stellen.

Anlagenbau will effizienter werden

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Dass die Digitalisierung der Industrie in Europa nur schleppend vorankommt, hat verschiedene Ursachen – darunter die Unkenntnis über mögliche Vorteile und Profitabilität. Bild: JackF – Adobe Stock

Je weiter man sich in der Wertschöpfungskette vom Geschäft mit den Endkunden entfernt, desto schwieriger wird es für die beteiligten Unternehmen, den Nutzen aus Digitalisierung zu definieren. Aus Sicht des Anlagenbaus, der die Anlagen für Chemie- und Pharmaunternehmen plant, lässt sich die Frage noch relativ einfach beantworten: Die digitale Planung sorgt für Effizienzgewinne im Engineering und schafft die Voraussetzung für die Übergabe der digitalen Planungsunterlagen an den Endkunden: Dieser kann dann einen digitalen Zwilling seiner Anlage erhalten, der künftig zur Prozessoptimierung genutzt werden soll.

In einer Umfrage unter den Unternehmen des deutschen Großanlagenbaus hat der Maschinen- und Anlagenbau-Verband VDMA im vergangenen Jahr ermittelt, dass die Unternehmen des Anlagenbaus den Nutzen aus Digitalisierung in erster Linie aus weiteren Einsparungen im Engineering ziehen wollen. Von neuen Geschäftsmodellen ist dagegen noch wenig zu sehen. Bislang, so das Ergebnis der VDMA-Umfrage, ist der Umsatzanteil durch die Digitalisierung in den Mitgliedsunternehmen des Anlagenbaus allerdings noch relativ niedrig. Auch hier ist die Erkenntnis, dass der Mehrwert aus der Digitalisierung dargestellt werden muss, um neuen digitalen Produkten zum Durchbruch zu verhelfen.

Noch schwieriger wird es für die Lieferanten von Anlagenkomponenten, die einen Mehrwert aus der Digitalisierung und neuen digitalen Produkten erst definieren müssen. So wundert es nicht, dass die meisten Unternehmen den unmittelbaren Nutzen im Hinblick auf die Technik vor allem in einem steigenden Automatisierungsgrad sehen – und das ist auch folgerichtig: Denn Sensoren und Steuerungstechnik sorgen für die Datengrundlage, auf der die Digitalisierung der Produktionsanlagen aufsetzt.

Doch auch bei vor- und nachgelagerten Prozessen der Beschaffung von Anlagenkomponenten kann die Digitalisierung Nutzen stiften. So lassen sich Prozesskosten mit digitalen Abläufen in der Beschaffung massiv reduzieren. Auf der Kehrseite der Medaille stehen die Konsequenzen für das Personal: So sehen einer Studie des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos unter 500 Chemiebeschäftigten in Europa zufolge 58 % der Beschäftigten in der Verwaltung und Buchhaltung der Chemieunternehmen ihren Job durch die Digitalisierung gefährdet. In der Produktion rechnen 43 % mit Jobverlusten.

Kompetenzen in Sachen Digitalisierung fehlen

Dass die Digitalisierung der Industrie in Europa nur schleppend vorankommt, hat – so die Prognos-Studie – verschiedene Ursachen. Allen voran fehlende Digitalisierungskompetenzen im Unternehmen, dichtauf gefolgt von der Unkenntnis über mögliche Vorteile durch die Digitalisierung und deren Profitabilität. Noch deutlicher als bei den Unternehmen der Prozessindustrie zeigt sich dies bei deren Zulieferern: So waren sich beispielsweise auf dem Anlagenbau-Kongress Engineering Summit im November 2018 die meisten Beteiligten einig: Der größte Nutzen aus Digitalisierung entsteht im späteren Betrieb der Anlage. Für die Zulieferer selbst bedeutet Digitalisierung meist erst einmal die Verbesserung eigener Prozesse mit häufig ungewissem Return on Invest.

Doch datengetriebene Methoden könnten künftig auch vom Anlagenbau für neues Geschäft in der Betriebsphase genutzt werden. Motiviert werden bislang aber auch im Schüttgutanlagenbau und in der Schüttguttechnik alle Beteiligten vor allem durch die Drohkulisse: „Was wird aus meinem Unternehmen, wenn ich nicht digitalisiere?“ Diese treibt bei der unbestimmten Frage nach digitalen Angeboten vor allem die Angst, mit falschen Investitionen den Fortschritt zu verschlafen.

Allerdings sind es nicht nur langfristige Unternehmensstrategien, die aktuell unter dem Vorzeichen Digitalisierung angepackt werden, sondern auch ganz konkreter Nutzen aus Technik: Datenbrillen ermöglichen es beispielsweise, im Service der Anlagen und Maschinen Reisekosten zu sparen. Der Spezialist sitzt im heimischen Büro und unterstützt vom Bildschirm aus den Anwender oder das Servicepersonal vor Ort, in dem er diesem per Video sozusagen über die Schulter schaut.

Tools für stabiles Service-Geschäft

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Datengetriebene Methoden könnten künftig auch vom Anlagenbau für neues Geschäft in der Betriebsphase genutzt werden. Bild: Production Perig – Adobe Stock

Augmented oder Virtual Reality werden zudem dazu genutzt, um Maschinen in der Planungsphase virtuell in eine existierende Umgebung zu platzieren, um so einen realitätsnahen Eindruck zu gewinnen. Zudem lassen sich solche Techniken auch im Verkauf der Maschinen und Anlagen gewinnbringend oder als Unterscheidungsmerkmal im Wettbewerb einsetzen. Auf diese Weise können auch Angebotserstellung, 3D-Planung im CAE-Modell und späterer Anlagenservice digital miteinander verzahnt werden, wodurch nicht nur Einsparungen, sondern auch Mehrwert und die Basis für neue Geschäftsmodelle entstehen. Denn im Gegensatz zum Projektgeschäft und dem Verkauf einzelner Maschinen trägt ein stabiles Servicegeschäft zu einem besser planbaren Unternehmensumsatz bei. Zudem ermöglichen neue datenbasierte Wartungskonzepte und -services den Anlagen- und Komponentenlieferanten, sich über die Betriebsphase enger mit den Anlagenbetreibern zu verzahnen. Langfristig können sie so Bestandteil der Wertschöpfungskette oder Wertschöpfungsplattform werden – und sich auf diese Weise unverzichtbar machen.

Wie Anlagenbauer und Maschinenhersteller in der Schüttguttechnik das Thema Digitalisierung angehen, wird Thema auf der Messe Solids sein, die vom 1. bis 2. April 2020 in Dortmund stattfindet. Mehr Informationen unter www.solids-dortmund.de

 

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