- Als Enabler der Energiewende hat der Anlagenbau aktuell keine Zukunftssorgen.
- Zu den Herausforderungen zählen der Fachkräftemangel und steigende Preise.
- Bei den Zukunftsmärkten dominieren USA und Europa, China verliert an Bedeutung.
Energiekrise, Inflation, Transformation der Wirtschaft und der Energiesysteme – auch der Anlagenbau bewegt sich aktuell in einem sehr dynamischen Umfeld. Doch wie kaum eine andere Branche können Engineering-Unternehmen den Wandel nicht nur aktiv gestalten, sondern auch massiv von den notwendigen Umbaumaßnahmen in der Wirtschaft profitieren. Aber schlägt sich das auch in den Auftragsbüchern der Branche nieder? Und welche Herausforderungen muss die Branche aktuell meistern?
Diese und weitere Fragen haben wir in einer aktuellen Umfrage unter rund 1.500 Fach- und Führungskräften im Anlagenbau gestellt. Die Redaktion der CHEMIE TECHNIK und die Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA verfolgen damit zwei Ziele: einerseits ein aktuelles Stimmungsbild der Branche zu zeichnen, andererseits Impulse für den kommenden Engineering Summit, dem Networking-Kongress der Branche, zu sammeln. Denn aktuell gestalten wir das Programm der Veranstaltung, die am 19. und 20. September in Darmstadt stattfinden wird. 63 Befragte hatten zum Redaktionsschluss Mitte Februar geantwortet und uns ihre Einschätzung der aktuellen Lage mitgeteilt.
Anlagenbau ist Enabler der Energiewende
Wenig erstaunlich: Die überwiegende Mehrheit der Befragten (87 %) stimmt der Aussage zu, dass der Anlagenbau ein wichtiger Enabler für die Energiewende ist. Denn egal ob neue Verfahren, LNG, Wasserstoff, Energie-Infrastruktur oder der Ausbau der erneuerbaren Energien – die anstehende Transformation ist ein Mammut-Projekt mit gigantischen Proportionen. Und der Anlagenbau kann hier seine Kernkompetenz einbringen: das Skalieren von Technologien in den großtechnischen Maßstab und die professionelle Planung und Abwicklung von Projekten.
Interessant ist zudem die Feststellung, dass für zwei Drittel der Befragten die Dekarbonisierung der Industrie bereits heute ein wesentlicher Treiber für das Geschäft ist. Und fast ebenso viele Befragte (56 %) stellen fest, dass neue Energien ein wichtiges Betätigungsfeld sind.
Um diese Aussage einordnen zu können, lohnt sich ein Blick in die Teilnehmerstruktur: Angeschrieben waren Fach- und Führungskräfte aus den klassischen (deutschen) Zielgruppen der VDMA-Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau und insbesondere ehemalige Teilnehmer des Engineering Summit. Und das sind überwiegend Vertreter aus dem Chemie- und Metallurgie-Anlagenbau sowie dem Kraftwerksbau.
Engineering Summit 2023
Der Engineering Summit ist die zentrale Networking-Veranstaltung des europäischen Anlagenbaus. Der Kongress wird vom 19. bis 20. September zum inzwischen neunten Mal stattfinden und dient als Plattform für den Austausch unter Führungskräften des Anlagenbaus. Auf dem kommenden Engineering Summit, der von der Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA sowie der CHEMIE TECHNIK gemeinschaftlich veranstaltet wird, werden Aspekte der Dekarbonisierung, Transformation der Energiesysteme sowie Aspekte der Anlagenbau-Ressourcen und Technologien im Vordergrund stehen. Veranstaltungsort ist Darmstadt. Weitere Informationen unter www.engineering-summit.de
Erstaunlich ist zudem die Tatsache, dass bereits knapp die Hälfte der Teilnehmer (48 %) an Aufträgen im Bereich Kreislaufwirtschaft arbeitet. Ein klares Indiz dafür, dass es unter anderem die Chemie damit ernst meint, ihre Prozesse fit für die zirkuläre Wirtschaft zu machen. Allerdings zeigt sich ebenfalls, dass sich die Branche bislang kaum selbst Nachhaltigkeitsziele in den Projekten setzt – dabei hat der Anlagenbau sowohl bei der Planung als auch bei der Abwicklung große Stellhebel im Hinblick auf den CO2-Footprint der eigenen Tätigkeit und den Ressourcenbedarf.
USA und Europa gewinnen an Bedeutung
Interessiert hatte uns beim Entwickeln des Fragebogens auch die Einschätzung des deutschen Anlagenbaus im Hinblick auf die Folgen des amerikanischen Inflation Reduction Act. Mit einem 430 Mrd. Dollar schweren Investitionsprogramm will die US-Regierung unter anderem Projekte im Bereich Klimaschutz und Energieversorgung in den USA fördern und wird aller Voraussicht nach einen enormen Boom im Projektgeschäft auslösen. Allerdings rechnen bislang lediglich 21 % der Befragten damit, dass sich der IRA positiv auf das eigene Geschäft auswirken wird. Konterkariert wird diese Einschätzung von den Antworten auf die Frage, welche Märkte an Bedeutung gewinnen oder verlieren werden. Dort liegen die USA in der Einschätzung nach steigender Bedeutung ganz vorne – gefolgt von Europa, Asien ohne China, Indien und Deutschland. Als klarer Verlierer in der Bedeutung für den deutschen Anlagenbau wird China gesehen, aber auch Mittel- und Südamerika sowie Afrika werden in Summe eher mit sinkender Bedeutung beurteilt.
Ein Dauerbrenner für Engineering-Unternehmen ist der Ausbau des Service-Geschäfts. Die Hälfte der Befragten gab an, dass dieses wichtiger wird. Ein Trend, der sich bereits seit mindestens zehn Jahren abzeichnet: Service-Aufträge in der Betriebszeit einer Anlage bieten die Chance, unabhängiger vom volatilen Auftragseingang im Projektgeschäft zu werden.
Eher mehr als weniger Aufträge
Doch aktuell scheint es um die Auftragslage der Unternehmen des Anlagenbaus nicht schlecht bestellt zu sein. Denn das beherrschende Thema bei den aktuellen Herausforderungen der Branche ist der Mangel an Fachkräften. Und dieser wird sich aller Voraussicht nach noch weiter verschärfen. Denn mit 29 von 63 Befragten rechnet knapp die Hälfte der Unternehmen mit einem in 2023 weiter steigenden Auftragseingang. 40 % rechnen mit einem stagnierenden Geschäft und lediglich 14 % gehen für 2023 davon aus, weniger Aufträge zu erhalten. Insgesamt wird ein Mangel an Aufträgen bei der Frage nach den aktuellen Herausforderungen an letzter Stelle genannt.
Zu schaffen macht der Branche allerdings die Inflation: Steigende Preise für Zulieferungen, Energiepreise sowie Preisschwankungen und Materialmangel gehören zu den Top 5 der aktuellen Herausforderungen im Projektgeschäft. Knapp ein Drittel der Unternehmen reagiert auf diese Entwicklungen und insbesondere auf Lieferkettenprobleme mit „Nearshoring“, d. h. der bevorzugten Beschaffung in Deutschland und Europa. Ebenfalls ein Drittel der Befragten gab an, bei der Beschaffung verstärkt auf eine „second source“-Strategie zu setzen.
Anlagenbau will künstliche Intelligenz nutzen
Natürlich interessierte uns in der Befragung auch die Einschätzung neuer und digitaler Technologien für das Projektgeschäft. Und hier lassen sich klare Indizien für den Reifegrad einzelner Technologien erkennen. Um das Bild der Gartner-Hypecycle-Systematik zu bemühen: Standardisierung, Modularisierung und remote Audits scheinen inzwischen das Plateu der Produktivität erreicht zu haben. Logischer nächster Schritt sind virtuelle Inbetriebnahmen und Führungen durch die Anlage. Zukunftsmusik ist dagegen der Einsatz autonomer Fahrzeuge sowie von Drohnen und Robotern – wobei Letztere bereits bei einem Drittel der Befragten eingesetzt werden. Künstliche Intelligenz setzt bereits ein Viertel der Befragten ein, mehr als die Hälfte plant den Einsatz von KI, womit die künstliche Intelligenz aktuell das vielversprechendste Zukunftsfeld beim Einsatz neuer Technologien im Anlagenbau ist.
Fazit: Die Aktuelle Umfrage von CHEMIE TECHNIK und VDMA zeichnet ein positives Bild der Branche, deren wesentliche Herausforderung aktuell im Fachkräftemangel besteht. Der Anlagenbau profitiert schon heute von der Transformation der Energiemärkte und der Wirtschaft insgesamt und hat bereits konkrete Aufträge zur Dekarbonisierung in den Büchern. Wie der Anlagenbau die Transformation auf breiter Front unterstützten kann und die aktuellen Herausforderungen bewältigt, werden die Führungskräfte der Branche auf dem kommenden Engineering Summit am 19. und 20. September in Darmstadt diskutieren.