Helmut Schuller verfügt über 35 Jahre Erfahrung im Industrie- und Anlagenbau und in der Softwareindustrie. Er begann seine berufliche Laufbahn als Maschinenbauingenieur bei einem österreichischen Anlagenbauunternehmen. Nach Positionen in verschiedenen Unternehmen unter anderem im Vertrieb übernahm Schuller 2004 die Geschäftsführung von Aveva in Deutschland. Als 2017 Schneider Electric die Mehrheitsanteile an Aveva erwarb, gründete er im Juli 2018 sein eigenes Unternehmen Schuller & Company. Seit Beginn ist er für Strategie, Vertrieb, Finanzen und HR tätig sowie für die Ausrichtung des Unternehmens auf Expansion und Wachstum.
CT: Sie sind seit vielen Jahren im Bereich Engineering-Software unterwegs. Mit welchem Typ Mensch haben wir es im Anlagenbau zu tun?
Helmut Schuller: Naturgemäß sind es Ingenieure. Ingenieure sind traditionell eher konservativ, gewissenhaft und mögen keine Experimente. Das ist gut so, weil es um sicherheitsrelevante Industrieanlagen geht. Es geht um Betriebssicherheit und das Vermeiden von Störfällen – das treibt diese Menschen am meisten an. Dasselbe gilt im Pharmasektor, wo es zwar kreativ zugehen kann, wenn es um neue Rezepte und höhere Wirkungsgrade geht, die Anlagen jedoch gleichzeitig ausfallsicher und störungsfrei sein müssen. Das zwingt zu einer gewissen Zurückhaltung bei neuen Ansätzen und Ideen. Man muss Ingenieure mit fachlichen, fundierten Argumenten überzeugen, nicht mit netten Sprüchen.
CT: Wo sehen sie die aktuellen Herausforderungen im Bereich Personal und wie schätzen Sie diese ein?
Schuller: Wenn ich einen 25 Jahre alten Spezialisten für ein bestimmtes Segment mit 40 Jahren Berufserfahrung suche, werde ich den nicht finden. Man muss bereit sein, in Mitarbeitende zu investieren, statt „fertige“ Experten vom Arbeitsmarkt zu holen. Es gibt weniger Studierende auf dem heimischen Markt als vor zehn oder 20 Jahren. Darum muss die Bereitschaft, Seiteneinsteiger oder Fachkräfte aus anderen Ländern zu suchen, vorhanden sein.
Nüchtern betrachtet gab es auch in der Vergangenheit nur selten den Fall, dass man einen „fertigen“ Experten eingestellt hat. Vielleicht wurde mal jemand vom Wettbewerb, einem Lieferanten oder Kunden abgeworben, der in der jeweiligen Thematik schon drin war, aber auch früher musste man Studienabgänger neu im Unternehmen einführen. Es ist demnach kein neues Konzept, dass man in Mitarbeitende investieren muss. Zudem ist es wichtig, sich die Außenwirkung eines Unternehmens bewusst zu machen, beispielsweise zu zeigen, dass man mit der Zeit geht und nicht an Prozessen festhält bloß, weil es schon immer so gemacht wurde. Auch viele große Unternehmen treten jung und dynamisch auf, obwohl sie seit Jahrzehnten im Geschäft sind. Das beginnt bei einer attraktiv gestalteten Webseite und beim Bespielen verschiedener Social-Media-Kanäle – wenn man diese Linie nicht fahren möchte, wird es schwieriger, Menschen auf sich aufmerksam zu machen und für sich zu begeistern.
Diskussion auf dem Engineering Summit
Helmut Schuller diskutiert mit weiteren Teilnehmern auf dem Netzwerk-Kongress Engineering Summit zum Thema „Zwischen klassischer Karriere und der Suche nach dem (Lebens)-Sinn – was erwarten Nachwuchs-Talente heutzutage vom Anlagenbau?“
Weitere Infos zur Veranstaltung und zur Anmeldung finden Sie auf www.engineering-summit.de.
CT: Können Sie das noch ein bisschen ausführen? Was hat sich in den letzten Jahren geändert und welche Entwicklungen sind schon länger dagewesen?
Schuller: Im Engineering gab es eine Abwanderung. Früher haben große Anlagenbauunternehmen das klassische EPC also Engineering, Procurement und Construction abgedeckt. Heute ist es im deutschsprachigen Raum oft auf E und P reduziert, das C gibt es kaum noch. Dadurch hat sich sowohl das Arbeitsvolumen als auch die Anzahl der Arbeitsplätze verändert. Vor etwa 20 Jahren gab es doppelt so viele Mitarbeitende bei halbem Umsatz, der im Jahr generiert worden ist. Heute gibt es nur halb so viel Personal, aber das Auftragsvolumen hat sich verdoppelt. IT-Systeme haben geholfen, diesen Wandel zu ermöglichen, und sind gleichzeitig eine neue Anforderung, die Mitarbeitende erfüllen müssen, um im Anlagenbau arbeiten zu können. Die heutige Infrastruktur erlaubt es uns, viel mobiler und flexibler unterwegs zu sein; das ist meiner Meinung nach etwas, das sich massiv verändert hat.
CT: Sie haben 2018 Ihr Unternehmen gegründet und mittlerweile 70 Mitarbeitende. Können Sie einige Strategien darlegen, wie Sie fähiges Personal finden?
Schuller: Meine oberste Prämisse ist, dass es egal ist, wo die Menschen wohnen, weil die Arbeitskraft und das Wissen zählen. Ich will die Talente da fördern, wo sie sind und sie nicht zwingen umzuziehen, wenn sie das nicht möchten. Wir nutzen Social Media zum Rekrutieren und haben bisher keinen Headhunter verwendet. Außerdem arbeite ich mit Referenzen und über die persönliche Ansprache. Darum frage ich oft meine Gesprächspartner – egal ob Kunde oder Partner – ob sie geeignete Kandidaten kennen, die zu uns passen würden. Bisher hat dieser Weg für uns gut funktioniert.
CT: Sie sind bei jedem Einstellungsgespräch immer noch selbst dabei: Was ist Ihnen bei einem Bewerber oder einer Bewerberin wichtig?
Schuller: Ich halte es da wie gute Fußballtrainer: Es geht nicht darum, viele einzelne Stars zu haben, sondern ein gutes Team formen zu können. Demnach sollte jeder, der dazu kommt, ein guter Teamplayer sein, was nicht bedeutet, dass diese Person einfach mitschwimmt, sie darf und soll durchaus Ecken und Kanten haben. Außerdem muss der Respekt und Umgang mit Kollegen stimmen. Fachliche Aspekte sind wichtig, aber für mich ist die Bereitschaft, Neues zu lernen, entscheidender. Spaß daran zu haben, etwas Neues zu entdecken, ist essenziell. Wenn jemand diese Bereitschaft hat, kann ich damit arbeiten. Wer nicht bereit ist, sich mit neuen Systemen und Methoden auseinanderzusetzen, passt nicht zu uns, auch wenn er die fachlichen Voraussetzungen hat.
CT: Gibt es manchmal Konflikte, weil ein Bewerber nicht alle Fertigkeiten von der Hochschule mitbringt, oder würden Sie sagen, dass eine Person in jeden Job reinwachsen kann?
Schuller: Um mich an dieser Stelle einmal selbst als Beispiel zu nehmen: Ich bin Maschinenbauer und kein Industrieanlagenbauer. Ich habe mich in diese Thematik eingearbeitet, indem ich mir auch verschiedene Abteilungen wie den Vertrieb und die Geschäftsführung angeschaut habe. Es ist wichtig, dass Berufseinsteiger einen guten Paten haben, der die Fachsprache und Thematik kennt. Wir haben einen guten Mix aus alten Hasen und jungen Leuten. Diese Mischung ist wichtig, um Wissen zu vermitteln sowie Glaubwürdigkeit und Vertrauen beim Kunden zu gewinnen.
CT: Es wird viel über die verschiedenen Altersgruppen und Generationen wie Babyboomer und Generation Z diskutiert. Beobachten Sie aus Ihrer Erfahrung hier auch große Unterschiede?
Schuller: Ich habe das Gefühl, der Unterschied in der Arbeitsweise zwischen den Generationen ist eher ein Klischee, das bedient wird. Entscheidend ist, ob jemand für etwas begeistert werden kann. Wenn junge Leute Spaß an ihrer Arbeit haben, dann sind sie motiviert. Ich weigere mich, eine ganze Generation in einen Topf zu werfen und wie im Falle von Generation Z zu sagen, dass diese keine Lust hätte, zu arbeiten. Wir haben im Unternehmen beispielsweise Mitarbeitende, die ursprünglich aus der Spieleentwicklung oder anderen Segmenten kommen. Es geht darum, Freiräume zu bieten und nicht alles nach einem starren Schema zu machen. Am Ende zählt das Ergebnis und nicht, wann oder wie etwas gemacht worden ist.
CT: Können Sie noch weitere Punkte nennen, wie man als Unternehmen für die junge Generation attraktiv sein kann?
Schuller: Ich denke, jeder hat Spaß daran, etwas Gutes im Leben zu tun, darum ist es wichtig, den Zweck eines Unternehmens herauszustellen. Der Anlagenbau ist ein spannendes Thema, weil er für die Zukunft unserer Welt und unseres Lebens verantwortlich ist. Wir brauchen Energie, sauberes Wasser und so weiter. Man ist also in einem Umfeld tätig, das unseren Lebensstandard sichert. Die Branche schafft die Voraussetzungen dafür, und dieses Bewusstsein zu vermitteln hilft, die Branche für junge Menschen attraktiv zu machen. Es ist vielleicht nicht so kreativ wie Modedesign, aber der Anlagenbau tut viel Gutes für die Welt. Darum sollte jeder, der zum Umweltschutz etwas beitragen möchte, sich nicht auf die Straße kleben, sondern sich eher einen Arbeitsplatz im Anlagenbau suchen.