Anlagenbau im Grünen

(Bild: Phattana – stock.adobe.com)

  • Der Anlagenbau hat als Lieferant emissionsarmer Technologien entscheidenden Einfluss auf das Erreichen von Klimazielen in der Industrie. Entsprechende Lösungen sind vorhanden, aber noch nicht im Markt etabliert.
  • Um klimafreundliche Lösungen für die langlebigen Anlagen der Prozessindustrie rechtzeitig zu etablieren, sind wirtschaftliche Anreize nötig. Regularien wie ein CO2-Preis können das Risiko neuer, klimafreundlicher Technologie wirtschaftlich rechtfertigen.
  • Wasserstoff gilt als Hoffnung für die Branche: Mit dem nachhaltigen Energieträger lassen sich viele Herausforderungen bewältigen, gleichzeitig eröffnet sich damit ein neues Marktsegment. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür sind ähnlich wie im Prozessanlagenbau.

Energieeffizienz und Nachhaltigkeit gehören zu den derzeit wichtigsten Themen der Prozessindustrie. Das Vortragsprogramm der versammelten Experten auf dem 7. Engineering Summit im November widmete einen der drei Veranstaltungstage der Diskussion um Nachhaltigkeit und Klimaneutralität im Großanlagenbau. Da der Anlagenbau die emissionsintensiven Industrien beliefert, sind diese Punkte verständlicherweise von Bedeutung: „Wir sind der Maschinenraum der Industrie; wir sind diejenigen, die Innovationen in den Markt bringen“, fasst Dr. Carola Kantz, Stellvertretende Geschäftsführerin der VDMA Arbeitsgemeinschaft Power-to-X for Applications, treffend zusammen: „Und obwohl unsere Emissionen eher gering sind, ist der Hebel, Emissionen mit unseren Produkten zu senken, riesig.“

Neue Technologie bedeutet Risiken

Energieeffiziente und folglich Emissionen senkende Technologien, um diesen Hebel anzusetzen, sind bereits vorhanden. In diesem Punkt sind sich die Anlagen- und Maschinenbauer einig. Allerdings, und auch darin gibt es unter den Anbietern keinen Dissens, herrscht noch großer Nachholbedarf beim „in den Markt bringen“. Zwar ist das Interesse der Industrie an energieeffizienten und emissionsarmen Lösungen groß, bestätigt Dr. Andreas Bormann, Vice President und Head of Product Line Sustainable Chemistry beim Anlagenbauer Technip FMC: „Praktisch alle unsere Kunden fragen, wie sie Nachhaltigkeit fördern können.“

Dass die notwendigen Lösungen noch nicht großflächig implementiert werden, hat mehrere Gründe. Neuartige Technologien stellen gegenüber altbewährter Technik immer ein Risiko für den Betreiber dar. Ohne nennenswerte Referenzprojekte fällt es schwerer, dieses Risiko zu entkräften: „Viele Technologien sind fertig und vorhanden, aber sie sind schwierig zu referenzieren und in den Markt zu bringen, weil Kunden nicht Versuchskaninchen sein wollen“, erklärt Bormann.
Erschwerend kommt hinzu, dass moderne und klimafreundliche Technologie in der Regel mit beträchtlichem Investitionsaufwand verbunden ist und sich oft vergleichsweise langsam amortisiert. „Wir hadern noch mit der Wirtschaftlichkeit“, bestätigt Martina Birk, Enviro-Beauftragte des Abfüllanlagen-Herstellers Krones. „Neue Technologien sind teurer oder erfordern zusätzliches Equipment. Bei den aktuellen Preisen für Strom und Wärme ist es schwierig darzustellen, dass sich eine Anlage in drei bis vier Jahren amortisiert. Für die meisten Kunden liegt das Limit bei circa zwei Jahren Amortisationszeit.“

Achema Pulse Media
„Hydrogen – the gamechanger“: Jürgen Nowicki (links) beim Achema Pulse Media Preview im Online-Interview mit Moderator Martin Kloss. (Bild: CHEMIE TECHNIK)

Die wirtschaftlichen Anreize fehlen

Allein mit energieeffizienteren Anlagen wird sich das von der EU gesteckte Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ohnehin nicht erreichen lassen, auch da sind sich die Experten weitgehend einig. Nötig sei vielmehr eine Transformation der gesamten Industrie, führte zum Beispiel Philipp D. Hauser, Projektleiter Industrie im Projekt Agora Energiewende, in seiner Keynote auf dem Engineering Summit aus. Den großen Verursachern von CO2-Emissionen, namentlich der Stahl-, Zement- und Chemieindustrie, könnte sonst ausgerechnet die Langlebigkeit ihrer Anlagen zum Verhängnis werden. Bei einer Lebensdauer einer Anlage von 30 bis 50 Jahren sind diese Industrien schon jetzt auf effiziente und langfristig wirtschaftliche Technologien angewiesen: „Der Kunde muss also darauf bauen, dass die Wirtschaftlichkeit über die Jahre steigt“, erklärt Bormann. Er nennt auch eine Möglichkeit, wie sich dies unter anderem bewerkstelligen ließe: „Etwa durch Faktoren wie den CO2-Preis.“

Solche politischen Maßnahmen spielen eine wichtige Rolle, damit angebotene Technologien wirtschaftlich werden: „Die Randbedingungen müssen es möglich machen, Technologien, die heute noch nicht diese Wirtschaftlichkeit zeigen können, in den Markt zu bekommen“, unterstreicht Helmut Knauthe, Head of Technology, Innovation & Sustainability bei Thyssenkrupp Industrial Solutions. „Niemand kauft eine neue Technologie, wenn sie nicht wettbewerbsfähig zu den klassischen Technologien ist.“ Voraussetzung für eine Transformation der Industrie ist daher, dass die Politik mit entsprechenden Regularien wirtschaftliche Anreize für derartige Investitionen in die Zukunft schafft. Dass dies möglich ist, haben beispielsweise die Erfahrungen aus der Kunststoffindustrie gezeigt. Hier haben politisch durchgesetzte Recyclingquoten nicht nur den Einsatz an wiederverwertetem Material bereits deutlich gesteigert, sondern auch die Industrie selbst zu einer größeren Akzeptanz und selbst gesteckten Zielen bewegt.

Zu wenig grüner Strom

Ein weiteres Nadelöhr auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist der vergleichsweise hohe Energiebedarf der Prozessindustrie beziehungsweise das Fehlen nachhaltiger Möglichkeiten, um diesen zu decken. Viele der emissionsarmen Technologien sind auf „grünen Strom“ angewiesen. Dieser steht bislang nicht in ausreichender Menge zur Verfügung und begrenzt so die Möglichkeiten zur Dekarbonisierung. Die aktuell größte Hoffnung in diesem Bereich ist der Einsatz von Wasserstoff als Energieträger. Das Potenzial dieser emissionsfreien Technologie wird derzeit so intensiv diskutiert, dass bereits von einer „Wasserstoff-Revolution“ die Rede ist.

Allerdings kommt diese Hoffnung auch mit weiteren Herausforderungen: Die wasserstoffbasierte Industrie krankt derzeit noch an ähnlichen Problemen wie Anlagenbau und Prozessindustrie. Der größte Teil des schon jetzt enormen Wasserstoffbedarfs der Welt deckt sich aus „grauem“ Wasserstoff, der unter hohen CO2-Emissionen durch Dampfreformierung aus fossilem Erdgas gewonnen wird. Regenerativ erzeugter „grüner“ Wasserstoff macht weniger als fünf Prozent aus.

Engineering Summit
Beim Summit Talk des online veranstalteten 7. Engineering Summit diskutierten (v.l.n.r.) Armin Scheuermann (Moderation, Chefredakteur CHEMIE TECHNIK), Martina Birk (Enviro-Beauftragte, Krones), Dr. Andreas Bormann (Vice President, Head of Product Line Sustainable Chemistry, Technip FMC), Dr. Carola Kantz (Stellvertretende Geschäftsführerin, VDMA Arbeitsgemeinschaft Power-to-X for Applications) und Helmut Knauthe (Head of Technology, Innovation & Sustainability, Thyssenkrupp Industrial Solutions) über Wege zum klimafreundlichen Anlagebau. (Bild: CHEMIE TECHNIK)

Henne-Ei-Problem

Die Ursachen, aber auch die Chancen für Anlagenbauer sind ähnlich, erklärte Jürgen Nowicki, CEO von Linde Engineering und Sprecher der VDMA-Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau jüngst auf der Preview-Veranstaltung zur Online-Messe Achema Pulse. Er beschreibt eine Art Henne-Ei-Problem: So sei Wasserstoff beispielsweise in der Mobilität lange vergleichsweise unattraktiv geblieben, weil es kaum Tankstellen für Wasserstofffahrzeuge gebe. Gleichzeitig seien Wasserstofftankstellen kaum lohnenswert, solange durch die wenigen Wasserstofffahrzeuge nur geringer Bedarf besteht. Gerade in der Mobilität sieht Nowicki aber das Potenzial, Wasserstoff als Treibstoff und Energieträger zu etablieren – „Also haben wir in den Aufbau von Tankstellen investiert.“ Auch hier sind es also die mutigen Anfangsinvestitionen, die sich erst langfristig rentieren werden, aber zur Transformation der Industrie dringend nötig sind. Dann jedoch liegt in diesem Marktsegment für Anlagenbauer ein enormes Potenzial. So beschreibt Nowicki das Wasserstoffgeschäft von Linde aktuell als „winzig, aber exponentiell wachsend“. Er erwartet, dass sich der steigende Bedarf eines Tages tatsächlich mit grünem Wasserstoff decken lässt, und auch er bestätigt: „Die Technologie ist vorhanden“. Bis die ebenfalls grüne Energieversorgung als wichtige Voraussetzung sichergestellt ist, sind grauer und blauer Wasserstoff notwendige Brückentechnologien.

Was bei vorhandener Technologie fehlt, ist die Wirtschaftlichkeit: „Die Herausforderung ist, dass grauer Wasserstoff zu billig oder grüner Wasserstoff zu teuer ist“, so Nowicki. Zwar könnten einfache Vorgaben wie ein regulierter Wasserstoffpreis nicht die Lösung sein, da dies zu viele andere Industriezweige bedrohen würde. Aber um aus zahlreichen angekündigten guten Absichten auch tatsächliche Projekte werden zu lassen und den Wasserstoffmarkt zu erschließen, bedarf es zusätzlicher Sicherheiten und Investitionsanreize.

Sie möchten gerne weiterlesen?