Nächste Ausfahrt - Maybe

3D rendered Illustration. Highway Sign - the next exit maybe the right one.

  • Ob ein Projekt erfolgreich umgesetzt werden kann, steht und fällt mit der Organisation auf Kundenseite.
  • Auftraggeber sollten ihre Ziele und Anforderungen klar definieren.
  • Oft werden Projekte durch zu spät eingebundene Stakeholder torpediert.
Aerial view Petrochemical plant at night, Oil refinery plant at night.

Je größer ein Projekt, desto höher die Anforderungen an die Projektorganisation. Bild: Kalyakan – stock.adobe.com

Hunderte involvierte Ingenieure und Facharbeiter, Terrabyte an projektrelevanten Daten, eine Vielzahl von Lieferanten, Projekt-Laufzeiten zwischen drei und fünf Jahren und Investments in dreistelliger Millionenhöhe – nicht nur Engineering-Experten können sich vorstellen, wie viel bei solchen hochkomplexen Großprojekten schiefgehen kann.

Der vielzitierte Flughafen Berlin-Brandenburg ist das bislang abschreckendste und leider immer noch aktuelle Beispiel eines gescheiterten Großprojektes, wenn auch mit rund 6,6 Mrd. EUR Investitionsvolumen zugegebenermaßen deutlich größer. Wer die Literatur zum Flughafen Berlin auf Wikipedia studiert, erkennt einen Kardinalfehler, der sich von Anfang bis Ende durchzieht: Immer wieder haben verfahrensbeteiligte Interessengruppen während der Projektlaufzeit die Anforderungen verändert und umgeworfen – bis am Ende keiner mehr wusste, welches Ziel überhaupt erreicht werden soll.

Aus dem BER-Desaster lässt sich auch für den Bau verfahrenstechnischer Großanlagen Grundsätzliches lernen: Ob ein Projekt erfolgreich umgesetzt werden kann, steht und fällt mit der Organisation auf Kundenseite. Wie sauber ein Kunde die Projektplanung aufsetzt, entscheidet darüber, ob sich Probleme häufen und am Ende die Kosten explodieren.

Werfen wir also einen Blick darauf, welche Faktoren in den Phasen der Konzeptplanung, Beschaffung, Lieferung/Montage und Inbetriebnahme eine wesentliche Rolle spielen, um unter Kosten- und Zeitdruck dennoch die steigenden Qualitätsanforderungen im verfahrenstechnischen Anlagenbau zu erfüllen.

Exakte Leistungsbeschreibung als A & O

Es beginnt damit, dass Kunden ihre Ziele und Anforderungen klar definieren und in exakten Beschreibungen von Leistung und Projektumfang festhalten müssen. Das klingt wie eine Binse. Doch in der Praxis schleichen sich nicht selten Unklarheiten ein. Und wenn plötzlich Nebenziele in den Vordergrund rücken, sind Probleme vorprogrammiert.

Unklarheiten entstehen beispielsweise dann, wenn nicht alle Interessengruppen von vornherein in den Prozess eingebunden werden. Dazu zählen auf Konzernseite etwa Konzernstrategen, operative Geschäftsführung, Einkauf, Technik, Forschung sowie Marketing und Kommunikation. Hat der Bau einer Anlage politische Dimensionen oder sind Bürger betroffen, so müssen auch diese Stakeholder in die Kommunikationsplanung mit einbezogen werden.

In der Praxis steht das Zeitdruck-Argument oft einer optimalen Planung gegenüber. Doch wer denkt, aus Zeitgründen auf einen sauberen Planungsprozess verzichten zu können, bekommt die Quittung in der Regel hinterher. Zu spät Eingebundene torpedieren dann das laufende Projekt mit ihren Änderungsforderungen. Das kostet Zeit, Termine verschieben sich, nicht einkalkulierte Kosten entstehen, und am Ende leidet die Anlagenqualität.

Die Basisplanung bestimmt die Einkaufsstrategie

Nur eine saubere Vorarbeit ermöglicht es, darauf eine adäquate Einkaufs- und Vergabepolitik aufzusetzen. Je klarer Leistung, Ziele und Kosten von Anfang an beschrieben werden, desto stringenter ergibt sich daraus die Wahl der geeigneten Beschaffungsstrategie.

Mehrere Entscheidungskriterien beeinflussen dabei die Art und Weise, wie die verschiedenen Vergabepakete am Ende geschnürt werden. So spielt nicht nur die gewünschte Qualität von Anlagenteilen eine Rolle, sondern auch die Frage, wieviel Verantwortung ein Kunde innerhalb des Projektes selbst tragen will – bei der Koordination von Terminen, Schnittstellen, Handlungsabläufen und Engineering. Grundsätzlich muss ein Kunde sich auch klar darüber sein, inwieweit er bereit ist, Wissen weiterzugeben und Intellectual Property mit Anlagelieferanten zu teilen.

Der Weg zur adäquaten Vergabepolitik

Die Spannbreite reicht von der Vergabe

  • einzelner Anlagenkomponenten wie Messgeräte oder Armaturen (Einzelvergabe)
  • über den Einkauf vorgefertigter, rein mechanischer Anlagenteile, die der Kunde selbst verschaltet (Skid),
  • die Ausschreibung von Anlagenteilen inklusive kompletter Instrumentierung und Programmierung (Package Unit)
  • bis hin zu komplett verschalteten Teilanlagen, die für den Kunden individuell gefertigt und mit funktionierender Prozesssteuerung vom Hersteller ausgeliefert werden (Teilanlage).
Loading tank trucks technology on the terminal

Komplette Teilanlage vergeben, Anlage aus Skids oder aus Einzelkomponenten aufbauen – die Vergabepolitik entscheidet ebenfalls über den Projekterfolg. Bild: Jiri Dolezal – stock.adobe.com

In dem einen Extrem behält der Kunde Know-how, Abwicklung und Engineering weitestgehend in der eigenen Hand, hat damit aber auch den größten Aufwand. Im anderen Extrem übergibt er die meiste Verantwortung dem Lieferanten. Damit hat er zwar weniger Aufwand, gibt aber Engineering-Leistungen und Intellectual Property nach außen.

In der Praxis wird man für jedes einzelne Projekt mit allen Varianten spielen, um die bestmögliche Vergabe-Kombination herauszuarbeiten – abhängig davon, wie viel der Kunde bereit ist, auszugeben. Als Faustregel kann gelten: Je mehr Risiko und Verantwortung auf die Lieferanten verlagert wird, desto höher sind am Ende die Kosten. Grundsätzlich sei davor gewarnt, Lieferanten in den vertraglichen Rahmenbedingungen an den unteren preislichen Rand zu drängen. Eine zu knappe Kalkulation erzeugt erfahrungsgemäß ständig neue Nachforderungen und damit erhöhtes Claim-Management – eine ungute Kultur, die sich letztlich im gesamten Projekt niederschlägt.

Die Einkaufs- und Vergabestrategie bestimmt wiederum Terminplanung und Handlungsabläufe im Construction Management. Lieferumfänge sollten idealerweise zeitlich und räumlich so aufgeteilt werden, dass sich Lieferanten und Montage nicht gegenseitig in die Quere kommen.

Erfolgsfaktoren im Construction-Management

Eine gut geplante und für alle Beteiligten verständliche Koordination der Schnittstellen ermöglicht, dass die Arbeit Hunderter Monteure, Schweißer und Rohrleitungsleger aufeinander aufbauen kann – ohne sich gegenseitig zu behindern. Das macht die Baustelle sicherer und vermeidet Arbeitsunfälle.

Am Ende stellt die Inbetriebnahme einer Anlage die Nagelprobe für eine gelungene Planung dar. Sie ist die Paradedisziplin eines jeden Verfahrensingenieurs. Vielfältige und komplexe Aufgaben müssen dabei gleichzeitig und unter hohem Druck bewältigt werden – von Behördengenehmigungen über Anlagentests, Betriebsfähigkeit der IT-Systeme, Kalibrierung von Messgeräten bis hin zu TÜV-Prüfungen und Fragen der Arbeitssicherheit.

Gerade in der Phase der Inbetriebnahme ist es unabdingbar, in einem klaren Organigramm festzuhalten, wer im Projekt für welche Bereiche verantwortlich, weisungsbefugt und zur Freigabe berechtigt ist – und Weisungsvorgaben so zu schulen, dass sie auch von allen verstanden werden. In der Praxis schieben sich die verschiedenen Planungsphasen aus Zeitgründen oft ineinander: Während sich ein Anlagenteil schon im Bau befindet, sind andere noch in der Vergabephase und wieder andere werden bereits in Betrieb genommen. Dabei haben sich agile Methoden wie zum Beispiel das Lean Site Management bewährt – auch für die Phase der Inbetriebnahme.

Nur eine integrierte und schlüssige Inbetriebnahmestrategie hilft, Chaos und Kollisionen von Anfang an zu vermeiden. Sie zieht sich als organisatorisches Grundgerüst durch alle Gewerke und fungiert als Klammer für alle Abläufe zwischen Vergabe, Montage und Inbetriebnahme. Dabei sollte von hinten nach vorne geplant werden: Welche Produkte oder Verfahrenseinheiten zuerst benötigt werden, beeinflusst Einkaufsstrategie und Bauplanung einer Anlage.

Technisch gehört es dabei inzwischen zum Standard, die gesamte Planung in einem 3D-Modell abzubilden, einzelne Bausequenzen zu erstellen und per VR-Brille die gesamte Anlage virtuell zu besichtigen.

Engineering 4.0 löst die Excel-Tabelle ab

Die Überlappung von Planungs- und Bauphasen macht die Realisierung verfahrenstechnischer Großanlagen komplexer denn je. Über Excel-Tabellen lassen sich Workflow und Schriftwechsel dabei nicht mehr organisieren. Es braucht datenbankbasierte, zentrale Dokumentmanagement-Tools, um die mehr als 100.000 Dokumente eines Großprojektes zu verwalten. Zugriffsberechtigte laden dort alle relevanten Dokumente hoch. Änderungen und Freigaben zuständiger Ingenieure und Projektleiter sind transparent über Workflows nachvollziehbar. So hält man Reporting und Kennzahlen auf dem aktuellen Stand und verhindert, dass doppelgleisig und womöglich auf Basis veralteter Dokumente gebaut wird.

Portrait Ingenieur in der Industrie // portrait of a successful engineer in mechanical engineering in industry

Projekte werden von Menschen gemacht – deshalb bleibt der Mensch ein zentraler Erfolgsfaktor. Bild: industrieblick – stock.adobe.com

Noch arbeiten die einzelnen Gewerke mit jeweils unterschiedlichen Software-Lösungen. Diese werden in absehbarer Zukunft jedoch in eine homogene Software-Landschaft integriert werden. Alle Planungs- und Steuerungsteams werden über mobile Geräte von verschiedenen Standorten darauf zugreifen können und eine Vor-Ort-Präsenz beim Kunden weitgehend überflüssig machen.

Mensch bleibt zentraler Erfolgsfaktor

Abschließend bleibt zu sagen: Selbst wenn Konzeptplanung, Beschaffungsstrategie, Baumanagement und Inbetriebnahme perfekt organisiert und die technischen Tools auf dem neuesten Stand sind – am Ende werden Projekte von Menschen gemacht. Menschen sind ein zentraler Erfolgsfaktor – wenn sie gut ausgebildet, motiviert und in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen.

Wie Sie bei der Terminplanung in industriellen Projekten Murphys Gesetz umgehen, können Sie in diesem Artikel lesen:

Anforderungen an die Terminplanung in industriellen Projekten

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