Mai 2014
 
  • Industrielle Kläranlagen sind oft jahrzehntelang in Betrieb. Irgendwann fehlt es an nötigen Ersatzteilen - oder der Betreiber muss seine Anlage an aktuelle Standards anpassen.
  • Mit einer Funktionsbaustein-Bibliothek kann der Betreiber seine Anlagen nach und nach aktualisieren, ohne viel Geld auf einmal investieren oder die Anlage anhalten zu müssen.
  • Hat der Betreiber in ein neues Leitsystem investiert, stellt sich die Steuerung auf ein neues Protokoll um. Die Außenstationen können bestehen bleiben, und die Kläranlage wird nach und nach moderner.

Wenn der Ersatzteilmarkt schwindet
Ein entscheidender Nachteil solcher Youngtimer – und ebenso auch älterer industrieller Anlagen wie Klärwerke – ist jedoch die sich stetig verschlechternde Versorgung mit Ersatzteilen. Dies liegt unter anderem daran, dass sich das Produzieren und Vorhalten solcher Komponenten bei sinkenden Einsatzzahlen aus wirtschaftlichen Gründen nicht lohnt. Oder es gibt den jeweiligen Hersteller nicht mehr. Als Beispiel sei AEG genannt. Seit 1996 existiert das Unternehmen in seiner damaligen Form nicht mehr. Trotzdem sind in zahlreichen, auf eine lange Nutzungsdauer ausgelegten industriellen Kläranlagen und anderen Applikationen noch immer Komponenten der Firma in Betrieb. Im Gegensatz zum PKW-Umfeld hat sich für derartige Geräte allerdings kein Ersatzteilmarkt gebildet. Die Reparatur einer älteren Kläranlage würde also erhebliche Kosten verursachen. Vor diesem Hintergrund muss der Betreiber nach anderen Lösungen suchen, um sein System weiterhin funktionsfähig zu halten. Gleichzeitig sind die laufenden Prozesse nicht zu unterbrechen.

Abwärtskompatibel
Eine Möglichkeit, die für einen Youngtimer-Fan im PKW-Sektor nicht in Betracht kommen wird, ist die Anschaffung einer vollständig neuen Lösung. In der Industrie sind die Mitarbeiter auf die bestehende Anlage geschult und können deshalb im Störungsfall schnell reagieren. Abgesehen von einer kompletten Neuanschaffung, die häufig aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen nicht zu realisieren ist, kann der Betreiber industrielle Kläranlagen nicht für einen längeren Zeitraum außer Betrieb setzen. Es gibt nur ein kleines Zeitfenster für den Stillstand. Erneuert der Betreiber Anlagenteile erst dann, nachdem sie ausgefallen sind, ist es zu spät. Je nach Budget kann er jedoch frühzeitig unterschiedliche Modernisierungsmaßnahmen durchführen.
Auch nach 25 Jahren benötigt der Youngtimer-PKW noch Benzin, um sich fortzubewegen. Im Gegensatz dazu haben sich die für die Lauffähigkeit einer industriellen Kläranlage notwendigen Kommunikationsprotokolle in den Jahren gewandelt. Bestehende Komponenten kann der Betreiber allerdings nicht einfach durch neue Geräte ersetzen, wenn diese das bisherige Protokoll nicht unterstützen. Das bedeutet, dass die Steuerungstechnik sowohl den vorhandenen als auch den neuen Übertragungsstandard ermöglichen muss. AEG-Steuerungen nutzen beispielsweise das zeitkritische Seab-1F-Protokoll zur Weiterleitung der Daten. Die Bezeichnung steht dabei für „Serieller Anlagenbus für die Fernwirktechnik“.

Platz gespart
Bei Seab-1F fragt das Leitsystem nacheinander jeden Teilnehmer ab, um eine Änderung der Messwerte und Meldungen zu erhalten sowie Befehle oder Sollwerte an die Außenstationen zu senden. Das Protokoll ist dadurch charakterisiert, dass es keine Anfangs- und Endkennung verwendet, wie bei aktuellen Kommunikationsstandards. Das Leitsystem erfragt die Daten von einer Außenstation, die innerhalb eines festen Zeitraums antworten muss. Trifft die Antwort Millisekunden zu früh oder zu spät ein, gilt die Station als gestört. Anschließend fragt das Systemalle restlichen Gewerke ab, bis die gestörte Station wieder antworten kann.
Die Funktionsbaustein-Bibliothek Resynet-1F von Phoenix Contact integriert moderne Steuerungstechnik in existierende Seab-1F-Systeme. Die Bibliothek ist Bestandteil des Fernwirksystems Resy+. Auf Basis dieser Lösung kann der Betreiber seine Kläranlage mit geringem Aufwand modernisieren, indem er die defekte SPS durch eine Kleinsteuerung der 100er Leistungsklasse aus der Inline-Produktfamilie ersetzt. Je nach Applikationsanforderung erweitert der Anwender den ILC 1xx dann um I/O-Baugruppen und das Kommunikationsmodul IB IL RS Uni. Die Spannungsversorgung übernimmt ein Netzteil aus der Quint-Serie, das aufgrund der eingebauten SFB-Technologie eine hohe Anlagenverfügbarkeit ermöglicht. Eine präventive Funktionsüberwachung visualisiert kritische Betriebszustände und meldet sie der Steuerung, bevor Fehler auftreten. Die vorhandenen Modems werden lediglich mit dem Inline-Kommunikationsmodul verbunden. Mit der Retrofit-Lösung spart der Betreiber zudem Platz im Schaltschrank.
Durch den Einsatz der Funktionsbaustein-Bibliothek lassen sich die Funktionen der Steuerung gemäß der Norm IEC 61131-5 umsetzen. Da die verschiedenen Protokoll-Bibliotheken stets nach dem gleichen Look-and-Feel aufgebaut sind, muss der Integrator über keinerlei Seab-1F-Kenntnisse verfügen. Auch für den Mitarbeiter im Leitstand ändert sich nichts.

Passt sich an

Neben der weiteren Verwendung des bestehenden Systems bringt der Austausch defekter Anlagenteile durch eine Lösung des Herstellers drei entscheidende Vorteile mit sich: Anlagenverfügbarkeit, Erweiterbarkeit und Flexibilität. Als Beispiel sei wieder der Besitzer des Youngtimer-PKW herangezogen. Er wird das ursprünglich in seinem Wagen installierte Radio irgendwann gegen ein Modell mit CD-Player und modernen Schnittstellen austauschen, um Songs vom Smartphone abspielen zu können. Für die Zielsuche setzt er statt der Straßenkarte ein Navigationssystem ein. Analog dazu ermöglicht das modulare Inline-System in industriellen Kläranlagen eine hohe Anlagenverfügbarkeit. So kann der Betreiber beispielsweise eine Außenstation einfach um ein GPRS-Modem erweitern, das Alarmmeldungen per SMS oder E-Mail an das Service-Personal sendet. Außerdem kann der Betreiber weitere I/O-Daten aufnehmen, indem er Inline-Module an die Kleinsteuerung anreiht. Das System passt sich flexibel geänderten Rahmenbedingungen an. Ferner kann der Anwender gemäß verfügbarem Budget sukzessiv modernisieren, bis er nur noch das Leitsystem ablösen muss. In Kombination mit der Funktionsbaustein-Bibliothek des Systems unterstützen die Steuerungen des Herstellers nahezu jedes Protokoll. Die neu eingebaute Technik ermöglicht somit den flexiblen Wechsel auf verschiedene moderne Kommunikationsstandards. Sobald der Betreiber dann in ein neues Leitsystem investiert hat, nutzt die Steuerung statt Resynet-1F eine andere Resy+-Bibliothek und stellt sich so auf das neue Protokoll um. Ein Umbau der Außenstationen ist nicht mehr notwendig. Wird Seab-1F gegen eine auf der IEC 60870-5-104 basierende Lösung ausgetauscht, können sogar die vorhandenen Übertragungswege verwendet werden. Lediglich die FKS-Modems muss der Betreiber durch industrielle Shdsl-Standleitungsmodems erneuern. Auf diese Weise kann er die Kläranlage über einen geplanten Zeitraum mit dem jeweils verfügbaren Budget komplett modernisieren.

Die Software
Durchgängiges Fernwirken über vielfältige Kommunikationsverbindungen

Die Software-Lösung Resy+ ermöglicht ein durchgängiges Fernwirken, wobei die Daten sowohl über Ethernet als auch via Standleitung, Wählverbindung, SMS, GSM, GPRS oder Funk übertragen werden. Als Basis der Fernwirklösung fungieren modulare Inline-Steuerungen in verschiedenen Leistungsklassen, die sich um die jeweils erforderlichen Standard- und Funktionsklemmen erweitern lassen. Anschließen lassen sich maximal 8.192 lokale I/O-Punkte. Die Inline-Controller werden mit der Software PC Worx gemäß IEC 61131-3 programmiert. Wichtiger Bestandteil des Tools ist eine Funktionsbaustein-Bibliothek für die Konfiguration der Fernwirkverbindung. Zum Parametrieren der Fernwirktechnik und Programmieren der Steuerungsfunktion benötigt der Anwender somit nur eine Software. Diese unterstützt eine Vielzahl von Protokollen wie die Fernwirkstandards IEC 60870-5-101 und 60870-5-104, Modbus TCP/RTU und ODP (Open Data Protocol), sodass die Steuerung mit fast allen modernen Leitsystemen kommunizieren kann.

Die Technik im Hintergrund
Von der alten auf eine neue Sprache umsetzen

Als Bestandteil der Funktionsbaustein-Bibliotheken des Fernwirksystems Resy+ bildet Resynet-1F das Kommunikationsprotokoll Seab-1F in einer Sprache gemäß IEC 61131-3 ab. Auf diese Weise kann der Anwender die Bibliothek in Projekte integrieren. Zum Aufbau einer Seab-1F-Unterstation wird eine Kompaktsteuerung ILC 1xx um das Inline-Modul IB IL 24 RS Uni erweitert. Die Klemme, die die Bibliothek bei der Umsetzung der hohen Anforderungen an das Zeitverhalten unterstützt, dient als Schnittstelle zwischen der SPS und Seab-1F. Parametriert werden kann die Vorlaufzeit TV, Pausenzeit TP, Nachlaufzeit TN, Wartezeit Slave TWS und Wartezeit Master TWM. Um eine hohe Kompatibilität zu erreichen, hat der Hersteller unterschiedliche Objekte in Resynet-1F eingefügt, die sich auf verschiedene Arten parametrieren lassen: bis zu 256 permanente oder zeitlich einstellbare Befehle, je 255 Echtzeitmeldungen oder Meldungen, 510 8-Bit-Messwerte sowie je 255 16-Bit-Messwerte, Sollwerte und Zählwerte.

Ifat 2014 Halle A5 –  427/526

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