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Die Prüfung von PLT-Sicherheitseinrichtungen stört den Anlagenbetrieb – Anlagenbetreiber wünschen sich deshalb möglichst lange Prüfzyklen. (Bild: pichitstocker AdobeStock)

  • Mit dem Namur-Arbeitsblatt NA 106 wurden die Prüfstrategien für PLT-Sicherheitseinrichtungen um die „Flexible Prüfung“ erweitert.
  • Dadurch ist es möglich, eine für den Betrieb optimale Prüfstrategie zu entwickeln.
  • So können Prüfintervalle gezielt verlängert werden, um die Anlagenverfügbarkeit zu erhöhen.

Wer Komponenten der Prozessleittechnik nutzt, um Anlagen abzusichern, der muss diese Geräte regelmäßig prüfen. Denn nur so lassen sich gefährliche Fehler erkennen, die zum Versagen einer PLT-Sicherheitseinrichtung führen könnten. Bis heute sind in der Chemie überwiegend Prüfintervalle von einem Jahr gängige Praxis. Dabei wünschen sich besonders Betreiber von Konti-Anlagen deutlich längere Prüfintervalle, die den Revisionszyklen der Gesamtanlage entsprechen: fünf, acht oder noch mehr Jahre. Neben der Produktivität und Verfügbarkeit einer Anlage, die durch die Prüfung von Sicherheitseinrichtungen beeinträchtigt wird, geht es schließlich auch um die Kosten der Prüfungen an sich.

Dass Prüfungen von PLT-Sicherheitseinrichtungen in den Unternehmen unterschiedlich gehandhabt werden, hat verschiedene Gründe. „Unterm Strich kann man sagen, dass Betreiber, die häufig prüfen, manchmal mit weniger Prüftiefe arbeiten als die, die ihre Einrichtungen in größeren Abständen prüfen“, berichtet Dirk Hablawetz, BASF, Leiter des Namur-Arbeitskreises 4.5 „Funktionale Sicherheit“. Hablawetz bewertet die Situation so: „Das ist nicht falsch, jedes Prüfungsvorgehen hat seine Vor- und Nachteile und muss zur Anlage und den eingesetzten Geräten passen. Aber das Ziel ist immer, funktionshemmende Fehler aufzudecken.“

Mit dem Namur-Arbeitsblatt NA 106 wurden die bislang in der Praxis genutzten Prüfstrategien „Durchgängige Prüfung“ und „Teilsystembasierte Prüfung“ um eine dritte Variante – die „Flexible Prüfung“ – erweitert. Letztere soll dazu dienen, Anlagen möglichst lange und ohne Unterbrechung aufgrund von Prüfungen der PLT-Sicherheitseinrichtungen betreiben zu können. „Die Verlängerung eines ununterbrochenen Anlagenbetriebes stand bei der Gestaltung der NA 106 ganz oben auf der Agenda. Ich denke, dies ist uns gelungen“, ist Hablawetz überzeugt. Im September 2018 veröffentlicht, nennt das Arbeitsblatt detailliert Vorgehensweisen, enthält Prüfpläne und beschreibt die Methodik, mit der die flexible Prüfung von Feldgeräten in PLT-Sicherheitseinrichtungen realisiert werden kann. Dabei richten sich die Prüfungen vor allem auf das Auffinden systematischer Fehler.

Systematische Fehler sind in der Praxis bedeutender als zufällige

05013, G-FTT/ES Meeting, AP Manfred Gröschel

"Die Verlängerung unterbrechungsfreier Produktion durch flexiblere Prüfungen stand bei der Gestaltung der NA106 ganz oben auf der Agenda." Dirk Hablawetz, BASF, leitet den Namur-Arbeitskreises 4.5 „Funktionale Sicherheit“

Mit der Forderung der IEC-Norm 61511 nach einem rechnerischen SIL-Nachweis wurde in den vergangenen Jahren vor allem eine andere Fehlerart betont, die bei der wiederkehrenden Prüfung ebenfalls gefunden werden soll: die zufälligen Gerätefehler. Häufig wurde darüber vergessen, dass die Ursachen für das Versagen von Sicherheitseinrichtungen meist von anderen Faktoren wie Prozesseinflüssen oder menschlichen Fehlern herrühren – man spricht hier von systematischen Fehlern. Diese werden bei den rechnerischen SIL-Nachweisen nicht berücksichtigt, obwohl sie von entscheidender Bedeutung sind.

Systematische Fehler entstehen beispielsweise durch Verschmutzungen, Verstopfungen, Korrosion, Abrasion, falschen Einbau, fehlerhafte Parametrierung oder eine falsche Geräteauswahl. „Wenn man sich die IEC 61511 anschaut, dann stellt man fest, dass es darin zu 95 % um die Frage der Vermeidung systematischer Fehler geht. Die Beherrschung zufälliger Fehler, zum Beispiel der Gerätezuverlässigkeit, ist in wenigen Kapiteln mit klaren Regeln beschrieben“, so Hablawetz. Die alleinige Fokussierung auf rechnerische SIL-Nachweise führt so schnell zu sicherheitstechnisch nicht optimalen und teilweise sogar fragwürdigen Festlegungen: „NA 106 hat auch zum Ziel, dem zu begegnen.“

Die flexible Prüfung von Feldgeräten in PLT-Sicherheitseinrichtungen nach NA 106 basiert auf einer Kombination verschiedener Freiheitsgrade. Diese sind:

  • Separierung der Prüfung von einzelnen Sensoren, Aktoren und des Logiksystems,
  • individuelle Prüfintervalle,
  • Prüfmodule und
  • eine definierte Prüftiefe.

Im Gegensatz zur oft durchgeführten durchgängigen Prüfung können prinzipiell auch mehrere Prüfmodule individuell pro Feldgerät festgelegt werden, sodass sich ein zeitlich gestaffeltes Prüfkonzept ergibt. Dadurch ist es möglich, die Prüfung selbst so zu optimieren, dass die Anlagenverfügbarkeit steigt – und dies bei gleichbleibender Sicherheitsintegrität. Beispielsweise, indem Sensoren redundant ausgeführt und öfters Auf-/Zu-Prüfungen von Ventilen im laufenden Betrieb durchgeführt werden. So können die großen Prüfungen, bei denen Geräte ausgebaut werden müssen, verschoben werden.

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"Wir haben das Verfahren bereits im Einsatz und damit erreicht, dass wir die Betriebszeit einiger unserer großen kontinuierlich betriebenen Anlagen um 20 % verlängern konnten." Udo Menck, Global Functional Safety Manager bei Dow Deutschland

Die NA106 harmoniert mit der VDI/VDE 2180 Teil 3 vom September 2019. Dort sind die nötigen Berechnungsformeln für die PFD-Berechnung bei Anwendung der flexiblen Prüfung zu finden. Der Namur-Arbeitskreis empfiehlt beispielsweise, einfache Geräte auszuwählen, oder Geräte, die eine zuverlässige und umfangreiche geräteinterne Diagnose bieten. Andere Lösungen sind die ebenfalls heute schon installierten externen Diagnoseeinrichtungen, die durch den Anwender installiert werden, beispielsweise indem die Signale redundanter Messungen verglichen werden.

Für eine flexible Prüfung enthält NA 106 Vorschläge für einen Prüfplan, der aus drei Prüfmodulen besteht: startend bei einer wenig aufwendigen Zwischenprüfung (Modul 0), über eine Wiederholungsprüfung mit nahezu 100 % Prüftiefe (Modul 1) bis hin zum Gerätetausch am Ende der Gebrauchsdauer der eingesetzten Geräte, die dann als 100-%-Prüfung betrachtet werden kann (Modul 2). Das Arbeitspapier beschreibt diese Prüfmodule und deren einzelne Prüfschritte samt Akzeptanzkriterien und die so erreichbare Prüftiefe.

Der Anwender kann sich nach seinen Bedürfnissen einen Prüfplan aus den drei Prüfmodulen individuell zusammenstellen. Des Weiteren sind Checklisten zur Überprüfung systematischer Einflüsse enthalten. „Wir haben das Verfahren bereits im Einsatz und damit erreicht, dass wir die Betriebszeit einiger unserer großen kontinuierlich betriebenen Anlagen um 20 % verlängern konnten“, benennt Udo Menck, Global Functional Safety Manager bei Dow Deutschland, den konkreten Nutzen für das Unternehmen.

Neben Änderungen bei der Redundanz von Geräten, die in den Sicherheitseinrichtungen eingesetzt werden, konnte dies vor allem durch die Nutzung des Vollhubtest (Full Stroke Test) Prüfmoduls bei Ventilen erreicht werden. Menck: „Wie immer in der funktionalen Sicherheit war Teamarbeit mit dem Betrieb, der Wartung und der Planung nötig, um ein paar heilige Kühe zu schlachten. So ermöglicht der Betrieb jetzt kurze Zwischenprüfungen an Stellen, die vor dem Projekt nicht denkbar gewesen wären. Durch die gesamtheitliche Betrachtung über die gesamte Betriebszeit, konnten sehr gute Lösungen gefunden werden, um die Anforderungen von Betrieb und Sicherheit zu erfüllen.“

Bei der BASF hat das Konzept flexibler Prüfzyklen bereits Einzug in den Planungsprozess neuer Anlagen gefunden: Ausgehend von der Frage, wie lange eine neue Anlage ununterbrochen produzieren soll, werden Sicherheitskonzept und PLT-Sicherheitseinrichtungen entsprechend ausgelegt. An der Stelle mahnt Dirk Hablawetz zur Vorsicht vor der Nutzung berechneter Prüfintervalle: „Wenn man Prüfzyklen ausschließlich aus der PFD-Berechnung ableitet, dann können Intervalle im zweistelligen Jahresbereich entstehen. Das hat mit der Realität nichts zu tun“, erklärt Hablawetz mit Blick auf systematische Fehler.

Und Udo Dehner, Corporate Global Competence Leader Functional Safety bei DSM, ergänzt: „Bei der Verlängerung von Prüfintervallen sind neben den rechnerischen und systematischen Aspekten der Funktionalen Sicherheit auch noch weitere Aspekte wichtig, die berücksichtigt werden müssen. Dies sind beispielsweise rechtliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel Vorschriften aus der Betriebssicherheitsverordnung, Technische Regeln Betriebssicherheit (TRBS), Behältertechnik, Medienberührung und so weiter. Diese legen die Länge der Prüfzyklen unter Umständen ganz formell auf feste Abstände fest.“ Und abhängig von betrieblichen oder behördlichen Vorgaben können auch Änderungen bei Freigabe- und Genehmigungsabläufen notwendig sein, um Prüfzyklen zu flexibilisieren.

Potenzial ist da, Bedarf muss geweckt werden

Bild 2 Flexible Prüfung von Feldgeräten

Die drei Prüfmodule bei der flexiblen Prüfung unterscheiden sich in Frequenz und Prüftiefe. Bild: Namur

Aus Sicht von Michael Kartenberg, Leiter Automation & Process Management bei Evonik, besteht ein weiterer Nutzen der flexiblen Prüfung darin, „dass wir Voraussagen treffen können, wann wir Ventile ausbauen müssen. Dazu kommt die Erkenntnis, dass nicht alle Ventile gleichzeitig geprüft werden sollten, sondern jedes für sich separat.“ Obwohl die Frage nach verlängerten Prüfzyklen für PLT-Sicherheitseinrichtungen bereits seit einigen Jahren diskutiert wird, herrscht in der Praxis nach wie vor überwiegend die Meinung, dass jährlich geprüft werden soll. Die CHEMIE TECHNIK hat dies bereits 2016 in einer breit angelegten Anwenderumfrage herausgearbeitet. Seither hat sich – abgesehen von Ausnahmen – offenbar wenig daran geändert. „Den Betriebsleitern bei uns ist inzwischen bekannt, dass man Prüfintervalle verlängern kann, wenn man die NA 106 anwendet. Doch bislang sehen wir bei uns noch keine Anforderungen aus den Betrieben, dies tatsächlich zu tun“, berichtet Kartenberg. „Das ist in vielen Unternehmen so“, bestätigt Arbeitskreisleiter Hablawetz, „dennoch machen sich viele nun darüber Gedanken, welchen Nutzen sie aus einem flexiblen Prüfkonzept ziehen können.“

Konrad Estermaier von der Wacker Chemie in Burghausen sieht noch weiteren unmittelbaren Nutzen: „Wir profitieren schon konkret davon, dass die NA 106 Angaben zur Prüftiefe macht. Außerdem haben sich die darin enthaltenen Checklisten systematischer Fehler in der Praxis als extrem hilfreich erwiesen.“

Zur Namur.

 

CT-Umfrage: Funktionale Sicherheit in der Prozessindustrie

 

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