Eine solche Integration ist aber nicht immer für alle Prozesse möglich – wohin also mit der kostbaren Wärmeenergie?
Hier kommen die ORCs ins Spiel. Der Begriff steht nicht für eine Meute fieser Fantasy-Unholde, sondern für „Organic Rankine Cycle“. Solche Anlagen verwandeln Wärme in elektrischen Strom nach einem ähnlichen Funktionsprinzip wie in Kohle- oder Atomkraftwerken. Dabei lässt Abwärme zunächst bei niedriger Temperatur ein Trägermedium verdampfen. Der Dampf expandiert und treibt einen Motor oder eine Turbine an. Ein Kondensator kühlt das Medium anschließend wieder ab und verdichtet es, so dass sich der Kreis schließt. Als Medium dienen allerdings andere Flüssigkeiten als das in Kraftwerken eingesetzte Wasser, stattdessen kommen beispielsweise Ethanol, Silikonöle oder Kältemittel zum Einsatz.
Auch lauwarm bringt noch Energie
Mit dieser Technik lässt sich ein weiterer Teil der ansonsten verlorenen Abwärme gewinnen und der Stromversorgung zuführen. Dies senkt langfristig Kosten und CO2-Emissionen. Das Verfahren stößt jedoch im sogenannten niederkalorischen Bereich an seine Grenzen. Was sich zunächst lauwarm anhört, ist allerdings immer noch bis zu 200 °C heiß, hat also auch noch eine Menge Energie. Um auch an diese Restwärme heranzukommen, haben sich Entwickler von Evonik auf die Suche nach neuen Trägermedien für den ORC-Prozess gemacht.
Entscheidend ist ein hoher Wirkungsgrad des Mediums, der stark von der Temperatur der Abwärme und bei der Kondensation abhängt. Bei der Suche nach
geeigneten Medien für den niederkalorischen Bereich konzentrierte sich das Entwicklerteam auf sogenannte isentrope Fluide, also solche Medien, deren Entropie beim Entspannen nahezu unverändert bleibt. Rund 200 solcher Fluide untersuchten die Entwickler in einer Simulation auf ihren Wirkungsgrad bei Temperaturen zwischen 100 und 250 °C. Die Suche war erfolgreich: Gleich eine ganze Reihe Fluide schnitt bei diesen vergleichsweise niedrigen Temperaturen deutlich besser ab als das etablierte Ethanol.
Selbst der höchste Wirkungsgrad ist allerdings in wirtschaftlicher Sicht nutzlos, wenn das Medium den Prozess nicht lange durchhält. In einem Praxistest unterzog das Team darum die neun vielversprechendsten Kandidaten verschiedenen Tests auf Dauer- und Temperaturstabilität. Dabei blieben noch zwei Medien übrig, die bei 150 °C stabil blieben und besonders hohe thermische Wirkungsgrade erzielten.
CO2-Bilanz wiegt Mehrkosten auf
Einer der beiden Stoffe hat in einer Demonstrationsanlage der Firma Devetec in Worms bereits gezeigt, was er kann: Im Temperaturbereich von 130 bis 150 °C erzielte das Medium im Vergleich zu Ethanol einen doppelt so hohen Wirkungsgrad. Damit ermöglichte es eine deutlich höhere Motorleistung. Hinzu kommt eine positive CO2-Bilanz: Legt man eine Anlage mit 250 kW Leistung und zehn Jahren Lebensdauer zugrunde, so wiegt bei 8.000 Betriebsstunden im Jahr die erzielte CO2-Ersparnis die höheren Rohstoffkosten des Mediums mehr als auf.
In weiterer Forschungsarbeit wollen die Entwickler prüfen, ob sich das Potenzial der ORC-Technologie noch weiter ausreizen lässt, etwa in Verbindung mit anderen Prozessen zur Abwärmenutzung. Die bisherigen Ergebnisse zeigen jedoch bereits, dass sich auch niederkalorische Abwärme effektiv und wirtschaftlich zurückgewinnen lässt. Bei Evonik, so heißt es im Unternehmen, sei die Technik ein wichtiger Baustein, um Abwärmeströme flexibel zu nutzen, Verbrauchsspitzen aufzufangen und sich für die Herausforderungen eines hoch volatilen Energiemarktes bestmöglich zu rüsten.