digitales Labyrinth
Namur Dr. Hanisch_d_2019

"Die Namur zieht sich nirgends zurück, sondern das Gegenteil ist der Fall: Wir verbreitern unseren Scope." Dr. Felix Hanisch, Vorstandsvorsitzender der Namur

CT: Vor rund fünf Jahren waren die Prozessautomatisierer noch gern gesehene Gesprächspartner des Managements, wenn es um das Thema Industrie 4.0 ging. Hat sich das inzwischen geändert?
Hanisch: Ich bin mir nicht sicher, ob die Automatisierer mit dem Start der Industrie 4.0 tatsächlich mehr Gehör gefunden haben oder ob wir nur die Hoffnung hatten, Gehör zu finden. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, dass es falsch ist, Industrie-4.0-Themen ausschließlich durch die IT-Brille zu betrachten. Um wahrgenommen zu werden, müssen die Automatisierer ihre 30 Jahre Erfahrung in Sachen Digitalisierung einbringen und ihren Wertbeitrag sichtbar machen. Immerhin haben wir schon bewiesen, dass wir Digitalisierung können! Wir sehen jetzt aber, dass verschiedene Namur-Mitgliedsfirmen mit unterschiedlichen Ansätzen versuchen, Automatisierungs-/OT- und IT-Kompetenz zu bündeln oder zu integrieren. Deshalb meine ich: wir müssen uns des Themas annehmen.

CT: Auf der Namur-Hauptsitzung haben Sie gemeinsam mit Jens Kroneis, BASF, gezeigt, dass sich die klassischen Zuständigkeiten zwischen OT und IT ändern. Bei Bayer wird die OT in die IT integriert werden. Werden die Prozessautomatisierer der Namur sich damit aus Themen zurückziehen und der IT das Feld überlassen?
Hanisch: Mitnichten – das war nicht die Aussage unseres Vortrags. Wir haben versucht deutlich zu machen, dass sich die Lieferanten-Landschaft verändert: Klassische IT-Player drängen mit Produkten auch in den OT-Bereich – nehmen Sie nur die Beispiele Amazon Web Services, die testweise Edge-Devices in die Produktionsumgebung bringen, oder Microsoft, die mit der Hololens inzwischen klar auf industrielle Applikationen zielen. Die reden in unseren Unternehmen erst einmal nicht mit den Automatisierern, sondern mit ganz anderen Abteilungen. Welche Anforderungen aber in den Betrieben bestehen und wie die Produkte dafür weiterentwickelt werden sollten, diese Kompetenz liegt aber bei uns Prozessautomatisierern. Als Namur müssen wir uns gegenüber diesen Lieferanten als kompetente Partner positionieren. Dazu müssen wir für diese Player erst einmal sichtbar werden. Wir wollen also nichts aufgeben, aber müssen anerkennen, dass wir neue Gesprächspartner haben werden. Bei Bayer wollen wir das noch stärker bündeln: Alles was mit Nullen und Einsen zu tun hat, soll aus einer Organisationseinheit geliefert werden. Damit werden auch die Kolleginnen und Kollegen, die in der Namur aktiv sind, Teil der IT-Organisation.

Felix Hanisch

Dr. Felix Hanisch leitet seit 2017 die Abteilung Industrielle Automatisierung bei Bayer. Der Chemieingenieur (TU Dortmund und Lehigh University, USA) promovierte an der TU Dortmund im Bereich Prozessführung und begann seine Karriere 2001 bei Bayer. Es folgten Stationen als Prozessleittechniker bei Bayer in Leverkusen, Dormagen und Houston, Texas, sowie Leitungsaufgaben bei Bayer Materialscience (heute: Covestro). Mit der Ausgliederung von Covestro aus dem Bayer-Konzern übernahm Felix Hanisch die Verantwortung für den Bereich Global Process Control Technology. Felix Hanisch ist seit 2018 Vorsitzender des Vorstands der Namur, der internationalen Anwendervereinigung für Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.

Grafi

Drei Szenarien beschreiben die mögliche Rollenverteilung zwischen IT und OT in der Digitalisierung von Unternehmen der Prozessindustrie. Bild: Namur

CT: Wenn die OT Teil der IT wird, muss die Namur wahrscheinlich ihren Nutzen den neuen Kollegen und Chefs erst einmal deutlich machen …
Hanisch: So ist das. Die Namur will ihre Aufgaben nach vorne gerichtet weiterführen. Wir müssen definieren, welche Themen aus der IT eine hohe Produktionsrelevanz haben, und wir sollten uns mit anderen Kollegen in der Industrie zu diesen Themen austauschen. Dafür ist die Namur aus meiner Sicht das geeignete Forum – eher als eine Bitkom oder andere Verbände aus dem klassischen IT-Bereich. Außerdem sind wir tief in der Produktion verwurzelt: welche Digitalprojekte schaffen wirklich nachhaltig Werte in der Produktion? Was ist digitaler Gimmick und was ist wirklich Teil einer digitalen Transformation? Ilona Sonnevend hat das auf der Hauptsitzung klasse dargestellt!

CT: Welche neuen Themen sehen Sie für die Namur?
Hanisch: Das sind einerseits Themen, die eher operativ technischer Natur sind. Beispielsweise Fragestellungen der Cloudlösungen, welche Plattformen funktionieren mit einer OT Applikation und wie stellen wir sicher, dass Schnittstellenprobleme vermieden werden. Viele Firmen sind derzeit damit beschäftigt, die nächste SAP-Generation mit der Hana-Cloud einzuführen. Dabei stellt sich dann die Frage, welche Teile der Automatisierungspyramide wie gemappt werden sollen und wie die Schnittstellen zu unterlagerten Systemen aussehen. Die engere Verzahnung der Produktion in die Lieferkette hinein müssen wir gemeinsam mit der IT anschauen. Es sind aber auch organisatorische Fragen: wie im Vortrag mit Jens Kroneis aufgezeigt, wählen unterschiedliche Firmen unterschiedliche neue Strukturen um OT und IT abzudecken. Was lernen wir in diesem Prozess, was bewährt sich, was muss wie verbessert werden? Das hängt sicher-lich auch stark mit dem jeweiligen Produktportfolio zusammen. Deshalb kann es viel Sinn machen, dass ein LifeScience-Konzern sich hier anders aufstellt als beispielsweise ein Spezialchemiehersteller.

CT: Im Namur-Vorstand haben Sie im vergangenen Jahr eine neue mögliche Organisations-Erweiterung diskutiert, in der auch bezahlte Aktivitäten vorgesehen sind. Was hat es damit auf sich?
Hanisch: Bei manchen Themen, die wir in der Namur bearbeiten, fehlen uns die Ressourcen, um diese in dem dafür notwendigen Tempo und in der Breite und Tiefe bearbeiten zu können. Nehmen Sie nur die derzeit aktuell bearbeiteten Themen MTP, NOA und das dazu notwendige Datenmodell. Hier könnten projektbezogene Task-Force-Teams – auch mit bezahlten Kräften – sinnvoll sein, um mehr Geschwindigkeit zu erreichen. Für 2020 wollen wir dazu eine Idee entwickeln, wie sich das organisatorisch aufstellen und finanztechnisch abbilden lässt.

CT: Derzeit entstehen bei vielen Lieferanten sogenannte M+O-Apps, die im Rahmen der NOA-Struktur bereitgestellt werden sollen. Würde die Namur als Betreiber einer solchen App-Plattform nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: dem Plattform-Wildwuchs ein Ende setzen und gleichzeitig noch eine Erlösquelle erschließen?
Hanisch: Ich glaube, dass wir als Anwenderverband kein guter Produktentwickler oder Plattformbetreiber sein können. Der administrative und operative Aufwand für so etwas ist nicht zu unterschätzen – das merken wir beispielsweise bei unserem Webtool Namur-Smart, mit dem wir Störungen an PLT-Sicherheitseinrichtungen erfassen. Außerdem glaube ich, dass es im Hinblick auf NOA-Apps ganz sinnvoll sein kann, von der Agilität unterschiedlicher Anbieter zu profitieren.

CT: Lieferanten gehen mit ihren Lösungen direkt an die Betriebe, und die Bereitschaft zum Ausprobieren steigt. Wie kann die Namur sicherstellen, dass ihre Expertise auch in solchen Prozessen berücksichtigt wird?
Hanisch: Wir müssen vermeiden, dass wir Prozessautomatisierer nur die Gralshüter sind für alles, was schwierig und kompliziert ist. Vielmehr sollten wir zeigen, dass durch unsere Mitarbeit für den Betrieb eine spürbar bessere Lösung entsteht. Dazu gehört, dass wir über die Ergebnisse unserer Projekte reden. Den IT-Lieferanten, die sich einen OT-Schwerpunkt setzen, wollen wir klar machen, dass sie ihre Ideen mit den kompetentesten Experten der deutschen Prozessindustrie besprechen können. Dadurch bekommen wir gemeinsam bessere Produkte schneller in unsere Anlagen, um diese effizienter, sicherer und flexibler zu betreiben.

Auch gegenüber den Beratungshäusern wollen wir diese Stellung einnehmen. Andernfalls besteht aus meiner Sicht die Gefahr, dass die Prozess-automatisierer aufs Abstellgleis geraten und als die ewig Gestrigen gesehen werden. Kai Dadhe von der Evonik hat auf der Namur-Hauptsitzung 2018 gezeigt, dass der nächste Level der Automatisierung darin bestehen sollte, die gesamte Lieferkette zu automatisieren und dass die Produkti-on ein voll integrierter Teil dieses „Regelkreises Lieferkette“ werden sollte. Dazu werden wir ganz maßgeblich beitragen!

Integration von OT und IT: Budgetschonende Pilotierungsangebote – ANZEIGE

Um Enterprise-Applikationen in wirksame, vorteilhafte Anwendungen für alle Benutzergruppen der Unternehmen überführen zu können, ist eine Integration der OT in die IT unumgänglich.

Um Enterprise-Applikationen in wirksame, vorteilhafte Anwendungen für alle Benutzergruppen der Unternehmen überführen zu können, ist eine Integration der OT in die IT unumgänglich. Bild: Phoenix Contact

Um Enterprise-Applikationen in wirksame, vorteilhafte Anwendungen für alle Benutzergruppen der Unternehmen überführen zu können, ist eine Integration der OT in die IT unumgänglich. IT und OT rücken somit nicht nur abteilungsmäßig immer weiter zusammen, sondern müssen neben der zwischenmenschlichen Wellenlänge auch in puncto der rein technischen Sprachen, also der Physik und Protokolle, vernetzt werden. Gerade im dominierenden Brownfield der europäischen Großindustrie sind Standards wie RS232, Profibus, Modbus RTU, HART oder beliebige physikalische Messgrößen fit für die IT zu machen. Das bedeutet einen einfachen, rückwirkungsfreien Abgriff, Transport und eine gut sortierte Umsetzung auf OPC UA.

Bei der NAMUR-Hauptsitzung 2019 hat Phoenix Contact viel positives Feedback für die vorgestellten Use Cases „Online As Built Dokumentation für HART-Geräte“ und „Monitoring von Rotation Equipment“ sowie die damit einhergehende enge Zusammenarbeit mit IoT-Anbietern, Anlagenbetreibern, Leitsystemanbietern, Systemintegratoren und Geräteherstellern erhalten. Bei jeder Anwendung war die Vermittlung zwischen Projektteam und IT-Abteilung zentraler Bestandteil. Hier wurde die Wichtigkeit des „Dolmetschens“ klar. Nur so ist die Integration zwischen IT und OT gelungen.

Für eine flächendeckende Multiplikation der Erkenntnisse sind die Einstiegshürden jedoch nicht zu unterschätzen, die sich trotz wachsender Bereitschaft zum Ausprobieren zeigen. Die Anforderungen bestehen in einem budgetschonenden Auftakt mit möglichst kleinem Team und großem Nutzen sowie der späteren Skalierbarkeit oder gegebenenfalls auch einem günstigen Ausstieg. Aus diesem Grund schnürt Phoenix Contact für sämtliche IoT-Projekte klar strukturierte Pilotierungsangebote, die für jeden Betreiber sogar ohne Sonderbudget unterjährig zu stemmen sind, und begleitet ihn im gesamten Projekt. Die oft gescheute Koordination von zahlreichen internen und externen Partnern reduziert sich auf ein Minimum, indem so viel wie möglich aus einer Hand erledigt wird. Von der Konzeption über Hardware- und Software-Engineering, Installation und Integration bis zur Einweisung des Personals sowie der Qualitätskontrolle nutzt Phoenix Contact sein Partnernetzwerk und sorgt so dafür, dass der Betreiber sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren kann.

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