Peter Terwiesch (2007)

Dr. Peter Terwiesch ist bei ABB Leiter der Division Industrieautomation, "Die Digitalisierung schafft das Bewusstsein, dass Anwender und Anbieter über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage enger miteinander zusammenarbeiten."

Zur Person
Peter Terwiesch

Der Elektroingenieur Dr. Peter Terwiesch startete seine Karriere bei ABB 1994 als Wissenschaftler und Projektmanager. Nach verschiedenen Stationen in der Forschung und Entwicklung von ABB – unter anderem als Chief Technology Officer – wurde Terwiesch 2011 Region Manager für Zentraleuropa und Vorstandsvorsitzender der deutschen ABB AG. Seit 2015 verantwortet Terwiesch im ABB-Vorstand die Division Industrieautomation (bis 2016: Prozessautomation), zu der auch die 2017 übernommene B&R gehört.

CT: Mit ABB Ability hat ABB eine breit angelegte Initiative gestartet, um das industrielle Internet der Dinge in die Praxis zu überführen. Wie wird das IIoT die Prozessautomation in den kommenden Jahren verändern?
Terwiesch: Wir sind auf einer Reise, die in verschiedenen Teilen der Prozessindustrie in leicht unterschiedlichen Ausprägungen und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten abläuft. Ausgangspunkt sind oft lokal gesteuerte, isolierte Prozesseinheiten. Über das heute bereits erreichte Etappenziel vernetzt verbundener Betriebe geht es dann hin zu dem, was wir Collaborative Operation über Standorte hinweg nennen. Dort sind nicht nur Systeme miteinander vernetzt, sondern mit den vernetzten Systemen werden auch Menschen und Expertise so vernetzt, dass man über Funktions- und Standort-, Disziplinen- und Unternehmensgrenzen hinweg zusammenarbeiten kann. Die Reise geht von „isoliert“ über „vernetzt“ sowie „kollaborativ“ bis hin zu größerer Autonomie. Das alles mit dem Ziel, die Produktivität weiter zu steigern. Klar ist, dass die von diversen Experten und Gremien ausgerufenen Produktivitätssteigerungen von bis zu 30 % durchaus realistisch sind. Automatisierung hat dabei die Rolle, den Menschen und Entscheider immer besser zu unterstützen.

CT: Welche Rolle spielt die Automatisierung neben den übergeordneten Systemen?
Terwiesch: Die Informationen aus den Automatisierungssystemen bleiben wichtig, aber wir reden nicht mehr ausschließlich von Informationen, die aus Feldgeräten kommen, sondern die Automatisierung wird in wachsendem Umfang betriebswirtschaftliche Kennzahlen und externe Daten nutzen. Diese kommen nicht allein aus dem klassischen Automatisierungssystem. Zurzeit passiert viel an der Schnittstelle zwischen IT und OT, hier sehe ich noch viel Potenzial für Innovationen.

CT: In den vergangenen Jahren hat die chemische Industrie diese Produktivitätssteigerungen selbst realisiert, indem sie Technik eingekauft und automatisiert hat. Wie wird wird sich Industrie 4.0 auf die Zusammenarbeit zwischen Automatisierungslieferanten und Anwendern auswirken?
Terwiesch: Wir erleben in einer ganzen Reihe von Prozessindustrien, dass die Digitalisierung die Zusammenarbeit von Anbieter n und Anwendern intensiviert. Digitalisierung wird oft einseitig mit der Betriebsphase verbunden – das greift zu kurz. Wir stellen fest, dass Digitalisierung zu einer engeren übergreifenden Zusammenarbeit in allen Phasen des Lebenszyklus einer Anlage führt. Auch große Betreiberfirmen werden künftig in der Betriebsphase nicht mehr alles selbst machen. Gerade den kleineren Standorten und Unternehmen erschließt die Informationstechnologie Skalenvorteile und Technologien, die man sich selbst gar nicht leisten könnte. Auch Unternehmen, die groß genug sind, um spezialisierte Abteilungen zu unterhalten, werden sich in Zukunft fragen, welche Kombination von Eigenleistung und Partnerschaft für sie optimal ist.

CT: Im April hat ABB ein erstes Collaborative Operations Center in Deutschland eröffnet. Zielen Sie damit vor allem auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen?
Terwiesch: Das Serviceangebot richtet sich an alle, die es nutzen wollen. Das Collaborative Operations Center in Mannheim ist unser erstes in Deutschland, aber unser fünfzehntes weltweit. Wir haben das Konzept der Collaborative Operations in verschiedenen Teilen der Welt und in unterschiedlichen Branchen mit sehr guter Marktresonanz etabliert. Die Unterschiede in der Nutzung sind zwischen den Branchen dabei fast größer als zwischen den Unternehmen verschiedener Größen. Kunden mit geografisch stark isolierten Anlagen setzen diese Konzepte sehr viel schneller ein als Kunden in entwickelten Regionen. Es ist auch möglich, Dienstleistungen nur für bestimmte Anlagenteile oder in bestimmten Funktionen zu erbringen, in denen dem Kunden die notwendigen Ressourcen fehlen.

CT: Zurück zu den 30 %: Wo sehen Sie für die Prozessindustrie den wesentlichen Hebel?
Terwiesch: Die 30 % sind ein plakativer Durchschnittswert – je nach Anlage wird das mehr oder weniger sein. Am Ende geht es bei der Prozessautomatisierung immer wieder um Sicherheit, Produktivität und Energieeffizienz. In diesen drei Dimensionen muss es Fortschritte geben. Bei der Produktivität geht es darum, Anlagen kontrolliert näher an ihren Grenzen zu fahren, ohne diese Grenzen zu verletzen. Dabei kann es auch darum gehen, die Potenziale, die beim Produktwechsel bestehen, zu heben. Der nächste Schritt besteht darin, den Anlagenfahrer so zu unterstützen, dass er einen größeren Verantwortungsbereich übernehmen kann. Die Automation muss den Menschen genau dazu befähigen. Energie ist in vielen Bereichen der Prozessindustrie ein wichtiger Produktionsfaktor und hat einen wesentlichen Einfluss auf die erzielte Marge. Es geht also darum, die Anlage so zu betreiben, dass sie flexibel ist, die Verfügbarkeit steigt, und der Energieeinsatz sinkt. In all diesen Bereichen lassen sich dank der Digitalisierung Verbesserungen erzielen. Darüber hinaus haben sich auch oft die Ziele für die Prozessführung verändert. Ein typisches Beispiel sind Kraftwerke. Vor wenigen Jahren setzte man auf Grundlastkraftwerke mit weitgehend ausgereiztem Wirkungsgrad. Heute bedienen viele dieser Anlagen einen zuhnemend volatileren Markt – die Zielgrößen sind andere, heute ist Flexibilität gefragt. Der Effekt der Automatisierung auf einen dennoch wirtschaftlichen Betrieb ist hier immens.

CT: Ein weiteres Trendthema ist die Modularisierung: Wird die Prozessautomatisierung künftig zwingend modular sein?
Terwiesch: Ich glaube, das ist kein Entweder-Oder. Es gibt Prozesse, die davon profitieren, weil deren Markt Flexibilität honoriert. Dort wird die modulare Automation eine wichtige Rolle spielen. Es wird auf der anderen Seite auch in der Zukunft Anlagen geben, die nicht besonders modular sein werden und bei denen die Stoff- und Wärmeintegration sowie der Verbundgedanke eine wichtigere Rolle spielen. Es geht darum, für jede Anlage die richtige Automatisierung zu finden.

CT: In a nutshell: Wie wird die Rollenverteilung zwischen Anbietern von Prozessautomatisierung und Anwendern in der Zukunft aussehen?
Terwiesch: Die Digitalisierung schafft das Bewusstsein, über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage enger miteinander zusammenzuarbeiten. Das wird auch genutzt werden – von der Planung über die Realisierung bis in die Betriebsphase. Ich erlebe, dass Digitalisierung nicht nur Technik ist, sondern am Ende die Menschen mitnehmen muss.

Zur Technik: Collaborative Operations

Collaborative Operations Center in MannheimIm April hat ABB ein neues Collaborative Operations Center in Mannheim eingerichtet. ABB Ability Collaborative Operations ist ein Service-Modell, das Menschen in Produktionsanlagen und Unternehmenszentralen mit Experten des Automatisierungsanbieters verbindet. Ziel ist es, die Profitabilität von Anlagen durch Effizienzsteigerungen zu erhöhen. ABB bündelt dort Branchenwissen, cloudbasierte Lösungen und digitale Dienstleistungen und stellt diese in einem 24/7/365-Konzept bereit. Dazu werden Asset- und Betriebsinformationen rund um die Uhr gesammelt, vernetzt und analysiert, um Aktionen zur Leistungssteigerung zu identifizieren, zu kategorisieren und zu priorisieren. Die Leistungen reichen von komplexen Optimierungslösungen zur Produktivitätssteigerung über vorrausschauende Zustandsüberwachung und Energieoptimierung bis hin zu Cybersecurity-Modulen und -Maßnahmen.

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