Juli 2015

Dass Ben van Beurden ein Mitglied einer grünen Partei ist, scheint eher unwahrscheinlich. Der Niederländer ist Vorstandschef des Öl- und Gasproduzenten Shell. Dass van Beurden seines Jobs müde ist, steht auch nicht zu vermuten – denn erst im vergangenen Jahr rückte er an die Konzernspitze auf. Dennoch hat der Shell-Manager unlängst, und noch vor dem G7-Treffen prognostiziert, dass das globale Energiesystem bis zum Ende des Jahrhunderts kein Kohlendioxid mehr emittieren wird. Trotzdem würden die Öl- und Gasvorkommen von Shell nicht zu „Stranded Assets“ werden. Ein Widerspruch in sich?

Fakt ist, dass der Energiehunger der Welt wächst. Im vergangenen Jahrzehnt  ist der Bedarf jährlich um durchschnittlich 2,1 Prozent gewachsen. Und obwohl Zeitungen wie „Die Welt“ im Juni angesichts eines Rückgangs des Wachstums auf 0,9 Prozent in 2014 bereits den „Beginn der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft“ ausgerufen hatten – vom Abschied von fossilen Energieträgern kann noch lange keine Rede sein.

Die Fakten dazu liefert eine aktuelle Studie des Energiekonzerns BP: Demnach war Erdöl auch 2014 mit einem Anteil von 32,6 Prozent der wichtigste globale Energieträger. Allerdings mit fallender Bedeutung. Auch bei der Kohle – dem mit einem Anteil von 30 Prozent zweitwichtigsten Primärenergieträger – hat sich der Verbrauchszuwachs im vergangenen Jahr deutlich verlangsamt – von +2,9 % in 2013 auf nur noch +0,4 % in 2014. Auch der Erdgasbedarf ist um lediglich 0,4 % gestiegen. All dies, obwohl die Weltwirtschaft unvermindert gewachsen ist.

Ob sich der Welt-Energiebedarf zwischen 2010 und 2035 verdoppeln wird, wie in den vergangenen Jahren von Marktforschern prognostiziert, scheint zwar unwahrscheinlich, aber ohne fossile Energieträger wird sich der dennoch wachsende Energiehunger nicht stillen lassen. In der Logik von Energiekonzernen wie Shell soll deshalb so schnell wie möglich zwischen „bösem Kohlenstoff“ (solchem aus Kohle) und „weniger bösem Kohlenstoff“ aus Erdöl und Erdgas unterschieden werden. Kohlekraftwerke emittieren bei gleicher Stromproduktion doppelt so viel Kohlendioxid wie Gaskraftwerke. Vor diesem Hintergrund steht auch eine aktuelle  Entscheidung des norwegischen Parlaments: Dieses hat Ende Mai beschlossen, dass der weltgrößte Staatsfonds keine Anteile mehr an Unternehmen kaufen darf, die mehr als 30 Prozent ihrer Einnahmen mit Kohle erzielen. Nicht nur Bergwerksunternehmen, sondern auch Kraftwerksbetreiber könnten hiervon betroffen sein: Sowohl an RWE als auch an E.on halten die Norweger Aktien. Dass diese Politik auch auf Öl- und Gasproduzenten ausgeweitet wird, scheint zumindest für den genannten Staatsfonds unwahrscheinlich – schließlich speist sich dieser zum größten Teil aus den norwegischen Ölvorkommen.

Liegt das Heil in der CCS-Technologie?
Der Unterschied zur Kohle bringt auch Shell-Chef van Beurden zu der Überzeugung, dass die konzerneigenen Vorkommen nicht zu „Stranded Assets“ verkommen werden. Schon deshalb, weil der Zuwachs an erneuerbaren Energien – die man ebenfalls forcieren will – nach wie vor so gering ist, dass diese im globalen Energiemix immer noch lediglich einen Anteil von einem Prozent ausmachen. Und weil Energie ein wesentliches Element zur Sicherung und Steigerung des Lebensstandards ist, gleichzeitig aber CO­2-Emissionen vermieden werden müssen, führt laut Shell kein Weg an der Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid (CCS) im ganz großen Stil vorbei.

Interessant ist an den jüngsten Entwicklungen zweierlei: erstens, dass die Finanzwelt mehr und mehr klimapolitische Aspekte als hartes Entscheidungskriterium akzeptiert, und zweitens, dass die Dekarbonisierungs-Diskussion in atemberaubender Geschwindigkeit von der Politik in die Niederungen der Industrie hinunter sinkt. In Verbindung mit der Ende November anstehenden Klimakonferenz in Paris entsteht hier ein – verglichen mit früheren Diskussionen – bis lang noch nie dagewesenes Moment für Veränderungen.

Die Rede von Shell-Chef Ben van Beurden zur Dekarbonisierung

Podcast des Guardian mit Interview zum Thema

Artikel zu den Schwerpunkten des Podcast-Interviews.

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