Wer definiert eigentlich in der globalen Welt der Automatisierung „den Standard“? Die DKE? Die deutschen Hersteller oder einige wenige von ihnen? Das DIN? Die Cenelec? Die IEC? Die ISA? Die amerikanischen Hersteller oder einige wenige oder gar nur einer davon? Die deutschen Anwender oder einige wenige oder die Namur? Amerikanische Anwender? International operierende Anwender? Die GMA? Der Zufall? Transatlantische Herstellerzweckbündnisse? Wer weltweit am lautesten schreit? Wer das beste Marketing macht oder das meiste Geld dafür ausgibt? Ja: wer denn nun?

Denken Sie einmal darüber nach – Ihre Antwort interessiert mich sehr! Meine Antwort mag nicht allen gefallen. Ich versuche es trotzdem: Eigentlich sollten es ja „die Anwender“ sein, die „den Standard“ bestimmen. Denn in jedem „Kleinen Einmaleins der Unternehmensführung“ steht an erster Stelle der Satz: „Der Kundennutzen bestimmt die Lösung!“ In unserem Falle bestimmt also der, für den das Produkt oder die Lösung ersonnen, entwickelt, erprobt und eingeführt wurde. Also „der Anwender“.

Und wie sieht die Realität der letzten Jahrzehnte bis heute aus? Wurde beispielsweise im „Feldbuskrieg“ vor einer Dekade ein Anwender gefragt, wie er es gerne hätte? Und wenn einer gefragt wurde: Hat seine Antwort wirklich jemanden interessiert – wo man doch so lustig über den Atlantik hinweg „Normenkrieg“ (mit handfesten wirtschaftlichen Interessen) spielen konnte, und den man dann auch noch mit „EDDL versus FDT“ fröhlich fortsetzen durfte? Hat jemand die Anwender in den Prozessindustrien gefragt, welche „Wireless-Technologie“ sie für welche Anwendung haben wollen? Ist „Wireless Hart“ vielleicht von den Nutzern definiert worden? Und selbst wenn „die Anwender“ laut und vernehmlich sagen, was sie brauchen: Was passiert daraufhin? Meistens nichts. Beispiele:

  • Einheitliche Baulängen für Coriolis-Durchflussmesser;
  • Anforderungen aus der „Roadmap für Prozess-Sensoren“;
  • Namur-Empfehlung NE 105 zur Integration von Feldbusgeräten;
  • NE 107 zur Selbstüberwachung und Diagnose von Feldgeräten;
  • 14 verschiedene Ethernet-Konfigurationen für die Prozessindustrien;
  • FDI = FDT+EDDL+OPC UA (theoretisch 1+1+1=1, in Tat und Wahrheit wird in einigen Jahren (!) 1+1+1=3+x herauskommen);
  • „Basisinstrumentierung“, wie sie auf der Namur-Hauptsitzung 2007 von Dr. Brucker für Coriolis- und für Druckmessgeräte vorgestellt wurde;
  • … die Reihe kann beliebig fortgesetzt werden.

 

Nun will ich keineswegs geringschätzen, welch hervorragende Arbeit z.B. in den Namur-Arbeitskreisen geleistet wurde und wird, dokumentiert u.a. in den Namur-Empfehlungen (NE) und -Arbeitsblättern (NA). Auch nicht die Arbeit, die viele exzellente Fachleute ehrenamtlich in den einschlägigen Normungs- und Standardisierungsgremien und Interessengruppen national und international leisten. Aber es reicht nicht nachhaltig, davon bin ich überzeugt.

Es wird nicht reichen, um weiterhin den überragend hohen technischen Stand der deutschen Automatisierungstechnik im Weltmarkt als führend zu behaupten. Es wird nicht reichen, um den Takt in der Innovation bei den automatisierungstechnischen Lösungen weltweit zu schlagen. Aber genau das werden wir brauchen, nicht nur für die „Operational Excellence“ unserer Prozessindustrien und damit für den Wohlstand in Mitteleuropa, sondern auch für das Überleben (!) der heimischen automatisierungstechnischen Unternehmen sowie (!) der Lehre und Forschung an unseren Hochschulen. Es ist bezeichnend: Im aktuellen Leitbild der „VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik GMA“ („Die GMA steht an der Spitze des Fortschritts durch Automatisierung“) und in deren „Automatisierungstechnik 2010“ kommen die Worte „Normung“ oder „Standardisierung“ überhaupt nicht vor! Und in dem derzeit in Arbeit befindlichen Thesenpapier „Automation 2020“ hat „Standardisierung“ gerade mal eine halbe Seite (von 17). Und das, obwohl auch mit den VDI-Richtlinien wichtige Standardisierungsarbeit für die Automatisierungstechnik geleistet wurde und wird!

Nein, die Überlebenswichtigkeit der internationalen Standardisierung und Normung für unsere Volkswirtschaft ist m.E. noch nicht im Bewusstsein der Entscheider in Deutschland angekommen. Denn wäre sie es, dann würde anders (entschlossen, mit Mitteleinsatz, strategisch koordiniert, …) gehandelt werden. Wir überlassen (zu) viele Felder den einschlägigen amerikanischen Herstellern und fühlen uns anscheinend wohl mit dem Satz, den der Erfinder des Ethernet, Robert Metcalf, in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt haben soll: „Standards are great, everybody should have one“.
Immer noch glaube ich fest daran, dass die überbetriebliche, gemeinschaftliche und mindestens europäische Erarbeitung von Branchen- und Technologie-Roadmaps der richtige Weg ist. Damit anschließend effektiv genormt und standardisiert werden kann. Dazu braucht es selbstbewusste Unternehmer in starken Verbänden und Vereinigungen, die das initiieren, vorantreiben – und auch bezahlen. Dazu braucht es auch eine „öffentliche Hand“, die fordert und fördert.

Ich meine: Der nächste Kongress „Automation“ in Baden-Baden wäre ein geeigneter Resonanzboden, dies zu diskutieren und zu Beschlüssen zu kommen! Trauen wir uns?

dieter.schaudel@schaudelconsult.de

„Wurden die Anwender gefragt?“
„Die aktuellen Bemühungenwerden nicht ausreichen!“

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