Mai 2015
  • Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen waren die Vorreiter der Bioökonomie; sie haben gezeigt, was möglich ist, aber auch, welche Tücken im Detail liegen.
  • Dank der „Tank-Teller"-Diskussion wird heute auch bei biobasierten Produkten viel stärker auf Nachhaltigkeit und Nutzungskonkurrenzen geachtet.
  • Selbst wenn Biofuels als Treibstoffe in den kommenden Jahren der Elektromobilität nur Nischen besetzen, sind sie für bestimmte Anwendungen fast unverzichtbar.

Das Ziel ist hoch gesteckt; immerhin brauchte die erdölbasierte Wirtschaft 150 Jahre, um dahin zu gelangen, wo sie heute steht. In Sachen Nachhaltigkeit ist die biobasierte Wirtschaft unschlagbar. Solange jedoch der niedrige Preis einer Ware weiter oben auf der Prioriätenliste steht als die Frage, wie viele Treibhausgase ihre Produktion mit sich bringt, bleibt der Wettbewerb hart. Weitere wichtige Faktoren bei der Frage, wie Industrie und Menschen künftig mit Energie und Chemierohstoffen versorgt werden können, sind Kohle aus China und Schiefergas aus den USA.

Der weltweite Bioethanol-Boom
Angelehnt an das Bild der Erdölindustrie werden Produktionsstätten für biobasierte Chemikalien oft „Bioraffinerien“ genannt. In einer Erdölraffinerie wird aus den Bestandteilen des Rohöls eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte hergestellt, während die heutige „Bioraffinerie“ oft nur ein Produkt kennt: Alkohol. Ethanol ist derzeit der wichtigste biobasierte Stoff und macht 90 % aller Produkte aus, die durch Fermentation erzeugt werden. Etwa 100.000 Mrd. l Ethanol wurden 2013 destilliert, wobei die USA mit 50.000 und Brasilien mit 25.000?Mrd.?l führend sind. Europa spielt im Ethanolmarkt mit 5.000 ?Mrd. l eine untergeordnete Rolle; Deutschland trägt dazu 852 Mio. l bei.

Steigende Lebensmittelpreise sind eine Frage der Verteilung
Die ersten Bioethanol-Anlagen gerieten in die öffentliche Diskussion, weil sie Mais als Rohstoff einsetzten –  Mais, aus dem auch Tortillas hätten produziert werden können. Das warf die Frage auf, ob es ethisch vertretbar sei, das Getreide in den Treibstofftank von Autos zu füllen, anstatt es auf dem Teller zu servieren. Diese Frage lässt sich schnell beantworten, wenn man betrachtet, welche Flächen für die Produktion von Biotreibstoffen eingesetzt werden: Ausgehend von 1.500 Mio. ha urbaren Landes wird die Ernte von 1,7 % dieser Fläche – 25 ?Mio. ha – für die Herstellung von Alkoholen verwendet. Selbst wenn die Alkohol-Industrie die prognostizierte Wachstumsrate von 4,4 % bis 2020 einhält, haben steigende Lebensmittelpreise ihre Ursache anderswo. Die Teller-oder-Tank-Diskussion war jedoch ein Anstoß dazu, Bioraffinerien der zweiten Generation zu entwickeln.

Bioraffinerien der zweiten Generation: Reststoffe als Substrat
In diesem Fall wird als Substrat das eingesetzt, was als Reststoff bleibt, wenn der wertvolle Teil der Ernte schon anderweitig genutzt wurde. Forstabfälle wie Äste und Zweige zum Beispiel, die übrig bleiben, wenn der Baumstamm auf dem Weg ins Sägewerk ist, oder etwa Stroh nach der Weizen- und Gerstenernte.

Diese holzigen Reststoffe bergen eine technologische Herausforderung. Im Gegensatz zu Mais oder Weizen, die hauptsächlich aus Stärke bestehen, enthält Stroh sehr viel Zellulose. Für die Hefen, die den Ausgangsstoff zu Alkohol vergären, ist Zellulose sehr viel schwieriger zu verarbeiten als Stärke. Ein zusätzlicher Schritt ist deshalb nötig, um die Zellulose mit Hilfe von Enzymen in ihre Zuckerbausteine zu zerlegen. Diese Verzuckerung im industriellen Maßstab darzustellen, war ein technologischer Durchbruch und geht nun in die großtechnische Anwendung.

Wachstumsmarkt Zellulose-Ethanol
In Deutschland steckt die Herstellung von Zellulose-Ethanol noch in den Kinderschuhen. Clariant beispielsweise betreibt in Straubing eine Demonstrationsanlage mit einer Jahreskapazität von 1,2 Mio. l. Seit 2013 wurden weltweit mehrere Großanlagen in Betrieb genommen: Beta Renewables wird 75 Mio. l/a in Crescentino, Italien, produzieren und DSM die gleiche Menge in Emmetsburg, Iowa, USA. Abengoaplant 95 Mio. l/a in Hugoton, Kansas, USA, und Dupont 113?Mio. l/a in Nevada, Iowa, USA. In Brasilien betreibt Raizen seine 83-Mio.-l/a-Anlage in Piricicaba mit Zuckerrohr-Stroh. Granbio hat für seine 79-Mio.-l/a-Anlage in Alagoas State, Brasilien, ein spezielles „Energierohr“ (energycane) entwickelt, das auf ausgelaugtem Weideland angebaut werden kann und nicht mit Zuckerrohr um Anbauflächen konkurriert.

Erst Kraftstoff, dann Rohstoff
Man sollte nicht vergessen, dass man mit Ethanol noch mehr machen kann als es im Fahrzeugmotor zu verbrennen. Auch, wenn es nicht auf der Liste der zwölf Plattformchemikalien steht, die 2004 zu „Topmolekülen“ nominiert wurden, ist Ethanol ein wichtiges Basismolekül für viele biobasierte Wertschöpfungsketten. Ethylacetat und Ethylacrylat sind daraus ebenso zugänglich wie Butanol, Isobuten und Butadien. Zwar sind momentan eine Reihe von Großprojekten zur Herstellung von biobasiertem Polyethylen oder Ethylenglykol aus Bioethanol gestoppt, weil derzeit billiges Schiefergas-Ethan preislich nicht zu schlagen ist, doch generell gilt: Am Ethanol als Zwischenprodukt führt in einer biobasierten Wirtschaft kaum ein Weg vorbei.

Biodiesel: von Null auf Hundert und
zurück in 30 Jahren

Es fällt auf, dass die großen Investitionen für Zellulose-Ethanol in den USA und Brasilien gemacht werden – oder anders betrachtet: die großen Investitionen werden nicht in Europa gemacht. Die Akteure der Bioökonomie, egal ob Unternehmer, Finanzierungsexperten oder Förderinstitutionen, sind sich einig: Um im Wettbewerb bestehen zu können, muss in Europa ein Umdenken in der Politik stattfinden. Investoren suchen Planungssicherheit auf lange Sicht, und genau das fehlt ihnen in Europa. Am Beispiel Biodiesel lässt sich nachvollziehen, wie abrupte Strategiewechsel eine florierende Industrie gefährden können.

Bioethanol dominiert den Biotreibstoffmarkt eindeutig, aber auch die Rolle des Biodiesels ist nicht zu unterschätzen. Die Weltjahresproduktion belief sich im Jahr 2010 auf 17,6 Mrd. l, zu denen die EU mit 9,1 Mrd. l mehr als die Hälfte beisteuerte. Deutschlands Anteil an der europäischen Produktion lag bei 26 % (2,350 Mrd. l), Frankreichs Anteil bei 22 % (1,996 Mrd. l). Die großtechnische Produktion von Biodiesel begann in Europa in den 1990ern und ist eine der großen Erfolgsgeschichten der Bioökonomie. Eine Steuerbefreiung für biobasierte Treibstoffe führte zu einem regelrechten Biodiesel-Boom. Doch als die Steuervorteile im Jahr 2008 zurückgenommen wurden, schrumpfte der Marktanteil von B100 (reinem Biodiesel) auf annähernd Null. Das Produktionsvolumen ist in den letzten Jahren nur deshalb konstant, weil Biodiesel zunehmend dem fossilen Diesel beigemischt wird.

Indirekte Landnutzungsänderung macht Biodiesel den Garaus
Biodiesel wird meist aus Pflanzenöl hergestellt, auch wenn tierische Fette ebenfalls eingesetzt werden können. In Deutschland wird der meiste Biodiesel aus Raps produziert, der auf etwa 1 Mio. ha Ackerfläche angebaut wird; Sojabohnen, Palmkerne und Kokosnüsse spielen eine untergeordnete Rolle im Rohstoff-Mix. Die Bedenken wachsen, dass der zunehmende Einsatz nachwachsender Rohstoffe in Europa zu Änderungen in der Landnutzung weltweit führen könnte. Solche Änderungen können direkt sein (dLUC, direct land use change), wenn etwa Regenwald abgeholzt wird, um neue Plantagen für die Palmölgewinnung anzupflanzen. Indirekte Landnutzungsänderung (iLUC) hat eine längere und komplexere Kette von Ursache und Wirkung. Die Europäische Kommission hat versucht, iLUC-Faktoren in ihren Empfehlungen zur Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie zu berücksichtigen. Die deutsche und europäische Biotreibstoffindustrie hat die Empfehlungen jedoch scharf kritisiert. Wenn diese Vorschläge in die Tat umgesetzt würden, würde Biodiesel bei der Berechnung der Treibhausgas-Emissionen schlechter gestellt als fossiler Diesel. „Die Einführung von iLUC-Faktoren bedeutet praktisch das Aus für pflanzenbasierte Biokraftstoffe“, stellt die Deutsche Union zur Förderung von Öl- und Proteinpflanzen (Ufop) in ihrem Jahresbericht 2012/13 fest.

Dies wäre aus einer Vielzahl von Gründen problematisch – einer davon ist Raps-Presskuchen. Dieser Rückstand der Rapsölproduktion ist eiweißreich und wird als Tierfutter geschätzt und genutzt. Fehlt der regional produzierte Presskuchen, so entsteht eine Eiweißlücke. Diese muss geschlossen werden, im schlimmsten Fall mit importiertem Sojamehl.

Abheben mit Algen
Die nächste Generation der Biotreibstoffe steht schon in den Startlöchern: Biofuels aus Mikroalgen. Zwar sind sich Fachleute weitgehend einig, dass die ausschließlich energetische Nutzung von Algen unwirtschaftlich ist; Algenkraftstoff für die Familienkutsche gilt als unwahrscheinliches Szenario. Aber für Luftfahrt und Schwerlastverkehr, für die die Elektromobilität keine Alternative darstellt, gelten Mikroalgen als Hoffnungsträger: Ihr Flächenverbrauch ist gering, die Landnutzungs-Problematik entfällt; sie brauchen zum Wachsen im Wesentlichen Luft und Licht, prinzipiell sind geschlossene Systeme realisierbar, in denen die Nährstoffverluste gering bleiben, die Verarbeitung ist einfacher als bei Landpflanzen mit Blättern und Stängeln, und sie lassen sich als Produktionsorganismen für bestimmte Öle optimieren. Erste Flüge mit Kerosin aus Algen, die Luftfahrtgesellschaften wie KLM, Lufthansa oder Air China in den letzten Jahren durchgeführt haben, sind denn auch mehr als Marketinggags. Sie belegen die Machbarkeit des Fliegens in der „Nach-Kerosin-Ära“.l

Dieser Beitrag basiert auf einem Trendbericht der Dechema

Biobased World ist das Fokusthema der Achema 2015 zur wachsenden Bioökonomie.Exponate dazu sind in allen Ausstellungsgruppen zu sehen.

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