März 2014
  • Steht der Schiefergas-Boom vor einem jähen Ende, wie europäische Politiker und auch Chemiemanager derzeit zum Teil hoffen?
  • Die Zahlen zeichnen ein anderes Bild: Die EIA hat im vergangenen Jahr ihre Prognose für globale Schiefergasvorkommen von 187,5 auf 206,7 Billionen Kubikmeter nach oben korrigiert.
  • Derzeit operieren Förderunternehmen in den USA aufgrund des niedrigen Gaspreises am Rande der Wirtschaftlichkeit. In Argentinien und China soll die Förderung massiv steigen, in Europa regt sich massiver Widerstand.

Das Vorkommen, auf dem die wirtschaftlichen Hoffnungen der argentinischen Regierung liegen, könnte der weltweit größte Schiefergas- und -ölfund sein. Die Reserven in „Vaca Muerta“ summieren sich nach Schätzungen der US-Energiebehörde EIA auf etwa das halbe Volumen der riesigen Vorkommen, die derzeit in den USA ausgebeutet werden. Dass sich die Förderaktivitäten in Argentinien bislang noch auf niedrigem Niveau bewegen, liegt vor allem an der politischen Unsicherheit für Investoren. Doch auf Dauer wird der Gasschatz der „Toten Kuh“ nicht ungehoben bleiben. Erst vor wenigen Wochen unterzeichnete der US-Energiekonzern Chevron mit der staatlichen Ölgesellschafft YPF ein Abkommen, das Investitionen von zunächst 1,24 Mrd. US-Dollar vorsieh.

Ein Klacks gegenüber dem dreistelligen Milliardenbetrag, der in den vergangenen zehn Jahren allein in den USA in die Förderung von Schiefergas investiert wurde. Doch es sind nicht nur die klassischen Ölgesellschaften, die sich bei der Erschließung von Schiefergasfeldern engagieren. In den USA investieren neben wenigen Ölmultis vor allem hierzulande kaum bekannte Unternehmen in Fördereinrichtungen – und sehen sich aufgrund des dabei entstandenen Überangebots an Gas und dem in Folge gesunkenen Gaspreises inzwischen massiven wirtschaftlichen Problemen gegenüber. Denn der Wert ihres Produktes ist gegenüber 2008 um drei Viertel gefallen. Im vergangenen Jahr kostete amerikanisches Erdgas durchschnittlich rund 3 USD/MMBtu. 5 bis 8 Dollar sind allerdings notwendig, um die Investitionen in die Förderung rentabel darstellen zu können.

Im Januar schlug deshalb das Wall Street Journal Alarm: Zahlen des Beratungsunternehmens IHS belegen, dass die Investitionen in Fracking-Bohrtürme im vergangenen Jahr massiv zurückgegangen sind: Die Explorateure gaben nur noch 3,4 Mrd. Dollar für entsprechendes Equipment aus – die Hälfte der Ausgaben von 2012, und lediglich ein Zehntel der Aufwendungen im Jahr 2011.

Die Situation erinnert an den kalifornischen Goldrausch im 19. Jahrhundert: Dort verdienten nicht die Goldgräber das Geld, sondern die Schaufelverkäufer. Die Rolle Letzterer übernehmen in den USA Stromerzeuger oder Chemieunternehmen: Diese profitieren derzeit massiv von den im globalen Wettbewerb sensationell günstigen Konditionen für Primärenergie. 

Steht der Schiefergas-Boom also vor einem jähen Ende, wie europäische Politiker und auch Chemiemanager derzeit zum Teil hoffen? Die Zahlen zeichnen ein anderes Bild: Die EIA hat im vergangenen Jahr ihre Prognose für globale Schiefergasvorkommen von 187,5 auf 206,7 Billionen Kubikmeter nach oben korrigiert – das entspricht etwa dem vierhundertfachen Gasverbrauch in Europa. China, Heimat der größten Schiefergasvorkommen der Welt, will bis 2015  jährlich rund 6,5 Mrd. Kubikmeter fördern. 2020 sollen es bereits 100 Mrd. Kubikmeter pro Jahr sein. Zum Vergleich: In den USA wurden 2011 rund 170 Mrd. Kubikmeter Schiefergas gefördert.

Platzt die Schiefergas-Blase demnächst?
Die Investitionszurückhaltung im vergangenen Jahr könnte eine einfache Reaktion sein, wie sie in sogenannten Schweinezyklen vorkommt: Sobald der Gaspreis wieder steigt, werden neue Explorationsanlagen wieder interessant. Dazu kommt, dass die Produktion einer Bohrstelle im Vergleich zu klassischen Gasvorkommen relativ schnell zurückgeht und deshalb immer neue Förderanlagen notwendig sind. Experten schätzen, dass diese innerhalb von 30 Monaten um bis zu 90 Prozent fällt. Kritiker des Gas-Frackings prophezeien dem amerikanischen Schiefergas-Boom deshalb bereits ein jähes Ende. So erwartet der kanadische Geowissenschaftler David Hughes, dass der Förder-Peak in den großen Vorkommen Bakken und Eagle Ford bereits 2016 erreicht werden wird. Um die aktuelle Förderung aufrecht zu erhalten, müssten nach Analysen von Hughes jährlich 42 Mrd. Dollar investiert werden – bei einem Gaspreis von weniger als 3 USD/MMBtu betrug der Wert des in 2012 geförderten Schiefergases nur knapp 33 Mrd. Dollar.

Und auch an der Größe der Vorkommen bestehen Zweifel. Noch im vergangenen Jahr hatte US-Präsident Barack Obama gejubelt, dass die USA über Erdgasvorräte für 100 Jahre verfüge. Kritiker wie die Analystin Deborah Rogers halten solche Schätzungen für maßlos überzogen. Sie hält diese von Produzenten konstruiert, die versuchen, ihren Börsenwert mit solchen Angaben hoch zu halten. Auch die positiven Auswirkungen auf die Industrie – vor zwei Jahren wurde den USA das Aufblühen der Industrie mit bis zu einer Million neuen Arbeitsplätzen vorhergesagt – sind bislang nicht erkennbar: Die von der OECD erhobenen Zahlen für Exporte und Importe zeigen bislang gegenüber Westeuropa und den BRIC-Staaten keinen überproportionalen Aufschwung.

China mit ehrgeizigen Förderplänen
Doch es gibt auch Indizien, die in die andere Richtung zeigen: So scheint der australisch-britische Bergbauriese BHP Billiton an die Langfristigkeit der amerikanischen Gas-Bonanza zu glauben. Der Konzern gab im Dezember bekannt, bis Ende des Jahrzehnts jährlich 4 Mrd. USD investieren zu wollen, um die Produktion aus seinen Schiefergas- und -ölvorkommen in den USA zu steigern. Und auch staatliche Ölunternehmen aus China kaufen sich bei nordamerikanischen Fracking-Spezialisten ein. Ihnen geht es neben dem Geschäft in Nordamerika aber vor allem um die Technologie.

Gemeinsam mit dem Ölkonzern Exxon Mobil will beispielsweise der chinesische Energieriese Sinopec in der Provinz Sichuan ein 3.600 Quadratkilometer großes Gebiet auf förderbare Schiefergas- und -ölvorkommen untersuchen. Zusammen mit Shell wurde bereits vor zwei Jahren die Gründung eines Joint Ventures vereinbart, das zum Ziel hat, die Effektivität der Gasbohrungen zu verbessern. Die Anstrengungen beginnen sich bereits auszuzahlen: Im Januar gab die Regierung bekannt, dass im vergangenen Jahr die Schiefergas-Produktion in China gegenüber dem Vorjahr verfünffacht werden konnte – 200 Mio. Kubikmeter  wurden demnach aus dem Boden geholt. Die chinesische Führung will diese Entwicklung durch großzügige Genehmigungen, Steuerbefreiungen auf Ausrüstung und Fördergelder für Explorationsunternehmen weiter befeuern.

Dämpfer in Europa
Aber während der Ferne Osten vor einem Fracking-Boom steht, haben die deutlich bescheideneren Erwartungen in Europa in der jüngsten Vergangenheit einige Dämpfer erhalten. Die optimisitischen Prognosen der US-Energiebehörde hatten 2011 in Polen eine wahre Fracking-Euphorie ausgelöst und die Hoffnung genährt, sich mit geschätzten 5 Mio. Kubikmetern an Schiefergas-Reserven unabhängig von russischen Gaslieferungen machen zu können. Inzwischen haben sich einige Großkonzerne allerdings bereits wieder aus Polen zurückgezogen: So entdeckte Exxon Mobil bei Probebohrungen einen ungewöhnlich hohen Anteil an inertem Stickstoff im Schiefergas, der die Kalkulation zunichte macht. Dazu schrecken fehlende gesetzliche Rahmenbedingungen potenzielle Investoren ab.

Obwohl es jüngst nicht zu der erwarteten Verschärfung von Fracking-Rahmenbedingungen durch die EU-Kommission gekommen ist, sträuben sich in Europa Regierungen und weite Teile der Bevölkerung gegen geplante Schiefergasvorhaben. In Italien und Frankreich ist Fracking verboten, in Deutschland sind die Widerstände groß und auch in Großbritannien, wo die Regierung die Schiefergasförderung vorantreiben will, regt sich erbitterter Widerstand aus der Bevölkerung. Zu spüren bekommt diesen beispielweise das australische Energieunternehmen Dart Energy, das in Schottland massiv von Fracking-Gegnern bekämpft wird. Der Gasproduzent will am Firth of Forth Methan aus Kohlevorkommen ausbeuten.

Eine Petitesse der besonderen Art ist der Einstieg des französischen Energiekonzerns Total in Großbritannien: Das Staatsunternehmen hat im Januar eine 40-Prozent-Beteiligung an zwei Schiefergas-Explorationslizenzen in Mittelengland erworben. Zuhause per Gesetz beim Fracking zur Untätigkeit gezwungen, will der französische Staatskonzern bis 2015 zum größten Öl- und Gasproduzenten Britanniens werden.

Fazit: Die Datenlage zu den Schiefergasfunden ist auch nach Jahren noch schwierig zu überblicken. Die massive Förderung in den USA hat den Gaspreis vor Ort so stark unter Druck gebracht, dass die Exploration inzwischen sogar unwirtschaftlich wird. Ein Ende des Schiefergasbooms bedeutet das aber noch nicht. Derzeit profitieren vor allem die Verbraucher – darunter Chemie und Energiewirtschaft – von der Situation. Wie lange das aber so bleiben wird, ist noch nicht abzusehen.

Gasimporte
US-Schiefergas für europäische Cracker

Lässt sich der amerikanische Schiefergasboom nach Europa importieren? Geht es nach den Plänen des Schweizer Chemiekonzerns Ineos lautet die Antwort „Ja“. Das Unternehmen will 365 Mio. Euro investieren, um seinen Petrochemie-Standort im schottischen Grangemouth für die Verarbeitung von amerikanischem Schiefergas umzurüsten. Dort betreibt das Unternehmen einen der wenigen Ethancracker in Europa, der bislang mit Gas aus versiegenden Quellen in der Nordsee betrieben wurde. Trotz der Kosten für die Verflüssigung von Ethan in den USA, dem Transport mit LNG-Tankschiffen und der Regasifizierung in Grangemouth hält das Ineos-Management den Betrieb für profitabel. Ab 2016 soll erstes Gas aus Amerika in Schottland angelandet werden. Calum MacLean, Vorsitzender von Ineos UK: „Ich rechne damit, dass Ineos mit seinen zwei Gas-Crackern in Grangemouth und Rafnes, Norwegen, in der Lage sein wird, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der USA nach Europa zu bringen.“

einen Kommentar von CT-Redakteur Philip Bittermann zur Fracking-Diskussion finden Sie hier.  

Die Schätzungen der US-Energiebehörde EIA zu Schiefergasvorkommen finden Sie hier.

Weitere Daten und Fakten zu Fördervolumina und Gaspreisen finden Sie hier und hier.

Einen kritischen FAZ-Beitrag zum Fracking-Hype finden Sie hier.

 

Im Rahmen einer Artikelserie analysieren wir in Exlusivbeiträgen in der CHEMIE TECHNIK die aktuellen Entwicklungen im Öl- und Gasmarkt und deren Auswirkungen auf die Chemie:

CT1-2/2014: Trendbericht Öl- und Gasindustrie hier

CT1-2/2014: Trendbericht Anlagenbau-Projekte Chemie, Öl und Gas hier.

CT3: Wie Schiefergas die Energielandkarte prägt (hier


CT4: Konsequenzen des amerikanischen Öl- und Gasbooms für die Chemie
CT5: Was treibt den Öl- und Gaspreis?
CT6: Anlagenbau-Megaprojekte
CT7: Special „Equipment für die Öl- und Gasindustrie“

Die Trends im Anlagenbau Öl und Gas sowie der Chemie sind auch Thema des 3. Engineering Summit (1.-2. Juli 2014, Mannheim). Mehr Infos unter http://www.engineering-summit.de/

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