- Seit Juni 2014 haben die Preise für die amerikanische Sorte WTI und die Nordseesorte Brent um fast ein Drittel nachgegeben.
- Durch die Schieferölproduktion in den USA hat das Ölkartell Opec an Marktmacht und damit Einfluss auf die Preisentwicklung verloren.
- Auch für das kommende Jahr rechnen die Prognostiker der IEA sowie bei Goldman Sachs nicht mit steigenden Preisen.
Die Gurus in Sachen Ölpreisprognose sitzen in New York und Paris. Auf der einen Seite beschäftigen sich die Analysten des Investmentbankers Goldman Sachs intensiv mit den Markttrends in Sachen Ölproduktion und -preis, auf der anderen Seite beobachtet die Internationale Energieagentur IEA in der französischen Hauptstadt die langristigen Entwicklungen sehr genau. Beide lagen in der Vergangenheit mit ihren Prognosen häufig richtig und beide haben nun jüngst ihre kurz- bis mittelfristigen Erwartungen veröffentlicht.
Seit Wochen schon zeigen sich auch gut informierte Beobachter verwundert, dass der Preis für Rohöl unbeeindruckt von kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak und in der Ukraine sowie anderen geopolitischen Unwägbarkeiten nur eine Richtung kennt: abwärts. Seit Juni gaben die Preise für die amerikanische Sorte WTI und die Nordseesorte Brent um fast ein Drittel nach. Mitte November notierte das Fass WTI bei 75 US-Dollar. Auf diesen Wert hat Goldman Sachs nun auch seine Prognose für das erste Quartal 2015 korrigiert – zuvor waren die Analysten von 90 Dollar ausgegangen. Auch die IEA erwartet für das kommende Jahr weiter fallende Preise.
Verschwörung gegen Russland oder Markt-Kalkül?
Die Gründe sind so vielschichtig wie auch die Konsequenzen. Seitens der russischen Regierung, deren Haushalt massiv vom Ölexport als Devisenbringer abhängt, wurde bereits eine Verschwörung zwischen den USA und den Ölförderern im Mittleren Osten vermutet. Besonders wahrscheinlich ist das allerdings nicht. Denn zuletzt hatte vor allem Saudi Arabien den Ölpreis durch die Ankündigung unter Druck gesetzt, die Preise für US-Kunden senken zu wollen, während europäische und asiatische Abnehmer mehr zahlen sollen.
Obwohl die saudische Regierung einen Ölpreis jenseits der 90 US-Dollar pro Fass braucht, um ihren Staatshaushalt ausgleichen zu können, fürchtet der weltgrößte Ölproduzent um seine globalen Marktanteile und will sich deshalb mittelfristig auch mit einem Ölpreis von 80 Dollar zufrieden geben. Denn in den vergangenen Jahren hat sich die USA durch Schieferöl-Fracking zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber aufgeschwungen, der sich anschickt, die Produktionsmengen der Saudis in den kommenden beiden Jahren zu toppen.
Bei einem WTI-Preis von 75 Dollar wird die Produktion in den USA wieder zurückgehen, erwartet Goldman Sachs. Bereits jetzt haben mit den Unternehmen Conoco Phillips und Continental Resources zwei der Platzhirsche im US-Frackinggeschäft angekündigt, ihre Investitionen in die Exploration zurückfahren bzw. einstellen zu wollen. Da die Produktion von Schieferöl pro Bohrloch um jährlich 20 bis 50 Prozent zurückgeht, könnte das Mengenwachstum in den USA sogar kurzfristig deutlich sinken – ware da nicht ein anderer Faktor: durch technische Fortschritte ist es den Produzenten in den vergangenen fünf Jahren gelungen, die Produktionskosten um ein Drittel auf derzeit etwa 60 Dollar pro Fass zu senken. Und je größer der Preisdruck, desto kreativer die Sparbemühungen.
Während die Deutsche Bank schätzt, dass bei einem Preis von 80 Dollar pro Fass rund 40 Prozent der Schieferölförderung unrentabel werden, geht man bei Conoco Phillips davon aus, dass es erst nach einem Jahr für kleinere Schieferölexplorateure finanziell eng werden wird.
Sinkende Rohstoffpreise für deutsche Chemieunternehmen?
Der niedrige Ölpreis macht aber nicht nur den Erzeugern in den USA zu schaffen. Weltweit setzt dieser Fördernationen zu und vergrößert deren Staatsdefizit – allen voran die Länder Iran, Venezuela, Nigeria und Russland. Auch in den USA haben Investoren auf einen steigenden Ölpreis oder zumindest auf eine große Differenz zwischen Öl- und Gaspreis gesetzt. So zum Beispiel der südafrikanische Sasol-Konzern, der in Louisiana für 16 Mrd. Dollar eine GTL-Anlage zur Produktion von Flüssigkraftstoffen aus Schiefergas plant.
Für die deutsche Chemie, deren Rohstoffkette auf Öl basiert, und für die eine große Preisdifferenz zwischen Erdgas und Erdöl einen Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz in den USA bedeutet, sollte die Entwicklung eigentlich Entlastung bringen. Denn mit 34 Prozent Anteil an den Produktionskosten bilden Rohstoffe den größten Kostenblock deutscher Chemieunternehmen. Beim Branchenverband VCI rechnet man allerdings nicht mit großen Effekten: „Der sinkende Ölpreis führt mit etwas Zeitverzug dazu, dass die Rohstoffkosten der Chemieunternehmen zurückgehen. Beim Naphtapreis ergibt sich bislang in diesem Jahr für die chemisch-pharmazeutische Industrie eine Kostenentlastung von rund 2 Prozent. Da die Kunden der Chemiebetriebe fordern, dass solche Kostennachlässe zügig weitergegeben werden, verbessern sich die Gewinnmargen durch den Ölpreis nur kurzfristig“, sagt VCI-Chefvolkswirt Dr. Henrik Meincke und ergänzt: „Kurzfristig werden die Ölpreise nicht so schnell weiter fallen. Ende 2015 wird das Ölpreisniveau voraussichtlich wieder höher sein – bei rund 100 Dollar je Barrel. Die Extrem-Szenarien von weit höheren Preisen, die noch vor ein, zwei Jahren diskutiert wurden, halten wir mittelfristig für unwahrscheinlich.“
Auch die europäische IEA erwartet keine baldige Rückkehr zu alten Höchstständen beim Ölpreis. Langfristig, so die Schätzungen der IEA, wird der Bedarf allerdings steigen: 2040 werden täglich 104 Mio. Fass Öl notwendig sein, um den Bedarf der Abnehmer zu decken – im Vergleich zu heute ein Plus von 15,5 Prozent. Um diese bereitzustellen, müssten der IEA zufolge jährlich 900 Mrd. US-Dollar in die Exploration von Öl und Gas investiert werden.
Eine Zahl, die angesichts der jüngsten Ankündigungen der Ölmultis fraglich erscheint. Diese hatten in den vergangenen zehn Jahren massiv in die Förderung investiert und damit zur derzeitigen Öl-Schwemme beigetragen. Doch inzwischen haben fast alle Branchengrößen angekündigt, ihre Investitionen zurückfahren zu wollen.
Fazit: Die Preise für die Rohölsorten WTI und Brent kennen seit Juni nur noch eine Richtung: abwärts. Auch für das kommende Jahr rechnen die führenden Prognoseinstitute nicht mit einem neuen Preisanstieg. Das verringert den Anreiz für die Produzenten, in die Exploration neuer Vorkommen zu investieren. Langfristig wird der Bedarf allerdings steigen – und könnte dann so einen neuen „Schweinezyklus“ in Gang setzen.
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