1 Phoenix Contact

Zur Digitalisierung von existierenden Anlagen sollen weitgehend Daten dienen, die in den Feldgeräten bereits vorhanden sind. Das erfordert sowohl Hardware- als auch logische Verbindungen. (Bild: Phoenix Contact)

  • Daten aus Feldgeräten lassen sich nur dann zur Digitalisierung nutzen, wenn sie mit Kontext angereichert werden.
  • Neben der Verbindungstechnik geht es deshalb um die semantische Verknüpfung von Daten und Informationen.
  • Mit einem dreistufigen Ansatz will Phoenix Contact dazu beitragen, dass die Namur Open Architecture anwendbar wird.

Mehr Effizienz in der Produktion, weniger Energieeinsatz und eine vorausschauende Wartung bei geringerem Engineering-Aufwand: Diese drei Wünsche sind nur einige Beispiele dafür, welchen Nutzen sich die Prozessbetreiber von der Digitalisierung erhoffen. Mit der Namur Open Architecture hat die Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik in der Prozessindustrie – kurz „Namur“ – einen Weg skizziert, wie in Zukunft schnelllebige Technik der IT-Welt dazu genutzt werden kann, ohne die leittechnische Struktur einer Anlage zu überfrachten.

Doch wie können Informationen rückwirkungsfrei aus bestehenden Anlagen gewonnen werden? Wie lassen sich vorhandene Feldgeräte dafür verwenden, um beispielsweise Wartungsinformationen zu Geräten oder zusätzliche Aussagen über Prozesszusammenhänge zu erlangen? Der Schlüssel dazu liegt in den Feldgeräten, die in den bestehenden Anlagen bereits verbaut sind. Denn obwohl es schon seit vielen Jahren digitale Bussysteme wie Foundation Fieldbus oder Profibus PA gibt, beherrscht aktuell nach wie vor analoge Technik die Szene. „In 80 % der Anlagen wird auch heute noch das 4…20-mA-Signal genutzt. Die Geräte verfügen in der Regel über Hart-Funktionen, doch diese sind in den Sensoren und Aktoren meist gestrandet und werden nicht verwendet“, berichtet Wilfried Grote, Global Industry Manager Chemicals and Pharmaceuticals bei Phoenix Contact.

Wilfried Grote

"Kontextualisierung durch Geräteinformationen führt zu semantischen Daten, aus denen Spezialisten Anwendungen für die vorausschauende Wartung entwickeln können." Wilfried Grote, Global Industry Manager Chemicals and Pharmaceuticals bei Phoenix Contact

Erschwerend kommt hinzu, dass die einzelnen per Hart-Protokoll verschlüsselten Parameter zum Teil unterschiedlich und auch herstellerspezifisch sind. „Darin stecken sehr interessante Informationen für die Diagnose von Geräten, aber ebenso von Anlagen, die man für eine vorausschauende Wartung einsetzen könnte“, ist Grote überzeugt: „Wir wollen auf der Namur-Hauptsitzung zeigen, dass sich Hart-Daten auslesen lassen und kontextualisiert bereitgestellt werden können.“ Kontext bedeutet in diesem Zusammenhang, dass beispielsweise Informationen der Messstelle, wie die Seriennummer des Gerätes, verknüpft werden mit externen Datenbanken, in denen Informationen abgelegt sind, wie die Hart-Signale eines spezifischen Gerätes zu interpretieren sind. Erst dieses „Mapping“ erlaubt es, Prozess- und Diagnosedaten für weiterführende Auswertungen zu nutzen.

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In der Praxis ist dies bislang auch deshalb nicht möglich, weil die As-Built-Dokumentation in der Regel unvollständig ist, wenn sie nach der Inbetriebnahme einer Anlage nicht lückenlos weitergeführt wird – zum Beispiel dann, wenn defekte Geräte ausgetauscht wurden, die zwar Messwerte liefern, aber nicht exakt den zuvor eingebauten entsprechen. „Es gibt in der Praxis wenig Transparenz über den Anlagenzustand und die Assets. Um den Nutzen der Digitalisierung zu heben, ist die Transparenz der Assets über deren Zustand jedoch unverzichtbar“, ist Grote überzeugt.

Abgleich zwischen Planungswerkzeug und Datenbank mit Gerätebeschreibungen

Der Schlüssel dazu liegt in den Gerätebeschreibungen, die heute entweder als EDD, als FDT-DTM oder FDI-Package zur Verfügung gestellt werden. Den Abgleich zwischen „As Planned“ und „As Built“ stellen sich die Automatisierungsspezialisten aus Blomberg wie folgt vor: Zwischen dem Planungs- bzw. CAE-Werkzeugen und den in der Anlage vorhandenen Geräten findet ein automatischer Abgleich statt. Die per Hart-Kommunikation übermittelte Seriennummer eines Geräts wird über die in einer zentralen Datenbank existierende Gerätebeschreibung mit den Geräteeigenschaften verglichen. Die ebenfalls per Hart-Kommunikation übertragene TAG-Nummer eines Geräts ermöglicht es, die angereicherten Informationen zu einem Gerät der im CAE-Werkzeug hinterlegten Messstelle zuzuordnen.

Mit einer offenen Architektur werden die über ein Prozess-Interface ausgelesenen Felddaten kontextualisiert. Bild: Phoenix Contact

Mit einer offenen Architektur werden die über ein Prozess-Interface ausgelesenen Felddaten kontextualisiert. Bild: Phoenix Contact

Für die lesende Kommunikation wird einerseits ein Hart-Gateway, andererseits ein Edge Device genutzt. „Wir sehen Enhanced Connectivity als ein System, das aus einer Architektur von drei Schritten besteht: dem Prozess-Interface, über das Daten rückwirkungsfrei ausgelesen werden, der Kontextualisierung, bei der Daten aggregiert und strukturiert bereitgestellt werden, und der Informationsverarbeitungsebene, in der Informationen aufbereitet werden, um sie beispielsweise für die vorausschauende Wartung zu verwenden”, erklärt Wilfried Grote.

Wo die Informationsebene realisiert wird, wird derzeit zum Teil kontrovers diskutiert: Cloud-Lösungen werden von Unternehmen der Großchemie vor dem Hintergrund der IT-Sicherheit und des Know-how-Schutzes kritisch betrachtet. Komplexe Algorithmen sollen daher künftig nicht nur in Cloud-Systemen, sondern auch direkt im Edge- oder Connectivity-Gateway verarbeitet werden. Dazu will der Hersteller sein aktuel-les PLCnext-System nutzen. Applikationen, wie zum Beispiel eine Motor- oder Pumpenüberwachung, werden über einen App-Store zur Verfügung gestellt und können entweder in Cloud-Systeme oder in das Edge-Gateway gelangen und mit niedrigem Engineering-Aufwand verwendet werden.

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Neu an diesem Ansatz ist nicht nur, dass Informationen aus der Feldebene zugänglich werden, ohne die leittechnische Struktur zu belasten, sondern ebenfalls die Verknüpfung mit externen Datenbanken und die Möglichkeit, diese Informationen beispielsweise in Cloud-Applikationen zu nutzen. Zudem erlaubt der NOA-Ansatz offene Prozessschnittstellen, die nicht mehr herstellerspezifisch sind. Das Datenmodell für NOA, „PA DIM“ genannt, wird von den Anwendern selbst gemeinsam mit den Herstellern erarbeitet und basiert auf dem existierenden Profil Profibus PA 3.0.

Tiefere Einblicke in den Zustand der Anlage mit weniger Aufwand gewinnen

Das Enhanced Connectivity System besteht aus den drei Ebenen Prozess-­Interface, Kontextualisierung der Daten und der Informationsverarbeitungsebene. Bild: Phoenix Contact

Das Enhanced Connectivity System besteht aus den drei Ebenen Prozess-­Interface, Kontextualisierung der Daten und der Informationsverarbeitungsebene. Bild: Phoenix Contact

Eingesetzt werden soll die neue Konnektivität beispielsweise für die Überwachung von Motoren und Pumpen (Rotating Equipment): Längst verwenden beispielsweise Insellösungen zur Überwachung von Pumpen und Kompressoren Informationen wie die Stromaufnahme, die Wirkleistung und Phasenverschiebung, um Aussagen über den Zustand der Maschine zu gewinnen. Dies könnte zwar theoretisch ebenso mit Leitsystemen oder Wartungskonsolen umgesetzt werden, doch die Integration in die Leittechnik sowie die Installation zusätzlicher Sensoren scheitert oft an dem dafür entstehenden Aufwand: Neben den Anforderungen an die Hardware geht es auch um die Einbindung in das Leitsystem und die notwendige Dokumentation. „Die Namur Open Architecture ermöglicht es uns, diesen Aufwand deutlich zu reduzieren“, ist Grote überzeugt und sieht darin ebenfalls eine Option, mit weiteren Low-Cost-Sensoren tiefere Einblicke in den Zustand von Maschinen und Anlagen zu erhalten.

Die neue Offenheit erlaubt es dem Verbindungstechnik-Spezialisten aus Blomberg eigene Monitoring-Lösungen für unterschiedliche Anwendungsfälle zu entwickeln. „Wir verstehen uns nicht als künftige Systemintegratoren für Großanlagen, sondern wollen verschiedene Applikationen und Lösungen gemeinsam mit den Anwendern erarbeiten, die den Betrieb von Prozessanlagen erleichtern helfen“, so Grote. Die Apps sind dabei nicht nur neue Software-Funktionen, sondern sollen gleichzeitig dabei unterstützen, die Komplexität der erweiterten Konnektivität zu kapseln.

Der Anbieter arbeitet derzeit an drei Pilotprojekten, in denen NOA und der „Enhanced Connectivity“ genannte Ecosystem-Ansatz Realität werden sollen: In einer Testanlage der IGR bei Bilfinger im Industriepark Höchst wird der Einsatz einer generischen Hart-Diode untersucht: Hart-Diagnosedaten aus dem Feld werden NOA-konform ausgelesen und per Edge-Computing aggregiert. Dabei wird auch die Verwendung weiterer Apps für Cloud-Lösungen ergründet. In einem anderen Pilotprojekt wird analysiert, wie die Nutzung des MTP-Konzepts sowie der erweiterten Konnektivität helfen kann, den Engineering-Aufwand zu reduzieren. Und schließlich geht es in einem Pilotprojekt bei der BASF um die Umsetzung der Open Process Automation, OPAF – einem von Exxonmobil initiierten Ansatz, bei dem Prozessautomation in Zukunft auf komplett offenen Standards basieren soll und proprietäre Leittechnik vermieden wird.

So lassen sich Hart-Daten rückwirkungsfrei sowie NOA-konform für Monitoring- und Optimierungszwecke ohne Programmieraufwand nutzbar machen. Bilder: Phoenix Contact

So lassen sich Hart-Daten rückwirkungsfrei sowie NOA-konform für Monitoring- und Optimierungszwecke ohne Programmieraufwand nutzbar machen. Bilder: Phoenix Contact

Für das Enhanced Connectivity-Projekt plant der Automatisierungs- und Verbindungstechnikhersteller drei Ausbaustufen. Zunächst wird das Hart-Signal zwischen Feldgerät und Leitsystem abgegriffen. Dazu setzt der Hersteller eine eigene Schneidklemme ein, mit der die 4…20-mA-Leitung „angezapft“ wird, ohne die Verfügbarkeit des Feldgeräts zu beeinträchtigen. In der ersten Ausbaustufe wird ein Hart-IP-Gateway verwendet, um Diagnoseinformationen auszulesen und in Cloud-Applikationen zu nutzen. In der zweiten Ausbaustufe wird dem Hart-IP-Gateway das Edge-Gateway nachgeschaltet, das Daten aggregiert und in das Apps geladen werden können. Das Edge-Gerät übermittelt zudem Informationen via OPC UA in die Cloud oder an ein bestehendes Monitoring- und Überwachungssystem. In der dritten Ausbaustufe wird ein IIOT-Server von Codewrightseingesetzt, um den Abgleich der „As Built“- mit den „As Planned“-Informationen zu bewerkstelligen.

„Durch Enhanced Connectivity wird NOA anwendbar und können Daten aus dem Feld einfach für die Prozessoptimierung und vorausschauende Wartung verwendet werden“, resümiert Wilfried Grote „Das Enhanced Connectivity-System sammelt Daten ein, bringt diese in einen Kontext und stellt sie auf der Informationsebene bereit. Dort können dann weitere Analysen sowie komplexere Algorithmen – auch durch Drittanbieter – ausgewertet werden.“

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