Mitten im Wald: Am Chemiestandort Gendorf haben Störfall-Betriebe kein Problem, die nach Seveso III geforderten Abstände zur Wohnbebauung einzuhalten.

Mitten im Wald: Am Chemiestandort Gendorf haben Störfall-Betriebe kein Problem, dienach Seveso III geforderten Abstände zur Wohnbebauung einzuhalten. (Bild: Infraserv Gendorf)

  • Mit der Betonung ihres Geschäftszwecks als „Industriepark“ wollten sich die meisten Standortbetreiber ursprünglich die Option offenhalten, auch chemiefremde Unternehmen anzusiedeln.
  • Als Betreiber des „Chemiepark Gendorf“ betont Infraserv Gendorf nicht nur seine Wurzeln, sondern auch die künftige Ausrichtung.
  • Vor allem in der Entfernung zur nächsten Wohnbebauung sieht der Standort einen Vorteil, ermöglicht dies doch auch die Ansiedlung von Betrieben, die unter die Störfall-Verordnung (Seveso III) fallen.

Bayerns größter Chemiepark hat sich mehr Klarheit verordnet: Mit der Umfirmierung vom „Industriepark Werk Gendorf“ zum „Chemiepark Gendorf“ betont der Standortbetreiber nicht nur seine Wurzeln, sondern auch die künftige Ausrichtung.

Noch vor anderthalb Jahrzehnten gingen die Chemiepark-Gesellschaften in Deutschland genau den entgegengesetzten Weg: Mit dem Fokus ihres Geschäftszwecks als „Industriepark“ wollten sich die meisten Standortbetreiber die Option offenhalten, auch chemiefremde Unternehmen bis hin zu Gewerbe anzusiedeln. Das Ziel: nicht nur reichlich vorhandene Freiflächen irgendwie zu füllen, sondern vor allem die Strukturkosten auf möglichst viele Schultern zu verteilen.

Doch die Strategie ging in der Regel eher schlecht als recht auf: Wie soll man einem Metall- oder Textilverarbeiter als Ansiedler erklären, dass er für die nach Störfallrecht notwendige Werkfeuerwehr oder ein zweites Kanalsystem genauso Umlagekosten zahlen soll wie die am Standort vorhandenen chemischen Störfallbetriebe? Rund zwei Jahrzehnte nach der Öffnung ehemaliger Chemie-Werksstandorte in Westdeutschland hat sich die Situation nun geändert. Freie Flächen für die Ansiedlung von Chemieunternehmen sind zwar auch heute noch in den Industrie- und Chemieparks mehr oder weniger reichlich vorhanden, doch für die Ansiedlung von Betrieben, die der Störfallverordnung unterliegen, wird das Feld inzwischen relativ dünn.  Spätestens mit den neuen Abstandsregeln nach der aktualisierten Seveso-Richtlinie (Seveso III) wird die Ansiedlung solcher Produktionsanlagen in Chemieparks mit angrenzender Wohnbebauung schwierig.

Dienstleistungen des Chemiepark-Be- treibers ermöglichen es den Chemiepro- duzenten, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren.

Dienstleistungendes Chemiepark-Be-treibers ermöglichen es den Chemiepro-duzenten, sich aufihr Kerngeschäft zukonzentrieren.

Umfeld für Betriebe, die der Störfallverordnung unterliegen

Hier sieht Dr. Bernhard Langhammer, Standortleiter des Chemieparks Gendorf und Geschäftsleiter der Betreibergesellschaft Infraserv Gendorf, eine Chance für den bayerischen Standort. Dort sind alle erforderlichen Genehmigungen vorhanden. „Kaum ein Chemiepark in Deutschland verfügt über vergleichbar große Frei- und Erweiterungsflächen, die selbst für größere Ansiedlungen geeignet sind und dabei in weiter Entfernung zu den nächsten Siedlungen liegen“, so Langhammer. Wie auch in anderen Chemieparks ist in Gendorf die firmenübergreifende Vernetzung von Produktionsanlagen und Stoffen (Verbund) ein wichtiger Effizienz-Faktor. Dazu kommt das Angebot an Services, mit denen es der Standortbetreiber Produzenten ermöglicht, sich auf ihr Kerngeschäft zu fokussieren.

„Mit der Umbenennung in Chemiepark Gendorf wollen wir vor allem mehr Klarheit schaffen“, erklärt Langhammer. „Der Begriff ‚Werk‘ im alten Namen hat immer wieder verwirrt, denn Industriepark und Werk wurden oft als Gegensatz verstanden. Ein Werk steht ja eher für einen in sich geschlossenen Produktionsstandort, während ‚Park‘ Offenheit verspricht. Außerdem sind wir kein x-beliebiger Industriepark, sondern ein waschechter Chemiepark, in dem auch überwiegend Betriebe aus der Chemiebranche angesiedelt sind.“

In den vergangenen 15 Jahren floss rund eine Mrd. Euro in den Standort – sowohl in die Infrastruktur als auch in den Ausbau der Produktionsanlagen der Standortunternehmen. Zu den jüngsten Ansiedlungen zählen der PTFE-Spezialist Gore und der Industriegase-Produzent Linde. Kräftig investiert wird aber auch bei den bereits ansässigen Standortunternehmen in Gendorf: Für einen Investitionswert von rund 30 Millionen Euro nahm Clariant kürzlich eine neue Glucamid-Anlage in Betrieb, die nachwachsende Rohstoffen zur Herstellung von Pflege-, Spül und Pflanzenschutzmittel dient. Klöckner Pentaplast erweitert aktuell seine Kapazitäten für die Folienproduktion und expandiert damit an seinem Produktionsstandort in Gendorf. Über die Projekte und die Vision des Chemieparks der Zukunft sprach die Redaktion mit Dr. Bernhard Langhammer im CT-Interview.

Dr. Bernhard Langhammer, Geschäftsleiter der Infraserv Gendorf, „Künftig werden in einem Chemiepark und in Chemieunternehmen mehr standardisierte Prozesse ablaufen.“

Dr. Bernhard Langhammer,Geschäftsleiter der Infraserv Gendorf,„Künftig werden in einem Chemiepark und in Chemieunternehmen mehrstandardisierte Prozesse ablaufen.“

INTERVIEW mit Dr. Bernhard Langhammer, Geschäftsleiter Infraserv Gendorf
„Mehr standardisierte Prozesse in Chemieparks“

CT: Vom Industriepark „Werk Gendorf“ nun zum „Chemiepark Gendorf“ – was steckt strategisch hinter der Umfirmierung?
Langhammer:  Bei der Aufspaltung der Hoechst AG wurden die Standorte und ihre Betreibergesellschaften zunächst nur als notwendiges Übel gesehen. Der Begriff „Industriepark“ ermöglichte eine sehr breite Aufstellung. Später hat man festgestellt, dass dieses Konstrukt gar nicht so verkehrt ist. Das Servicegeschäft, das in den Werken vorher mehr oder weniger nebenbei betrieben wurde, konnte nun professionell aufgestellt werden. Außerdem hat der Wettbewerb zu Effizienzverbesserungen gezwungen. Allerdings haben wir mit der Zeit erkannt, dass unsere Infrastruktur vor allem für solche Unternehmen interessant ist, die eine anspruchsvolle Infrastruktur benötigen. Denn im Unterschied zu gewöhnlichen Industriegebieten bieten wir beispielsweise die komplette Versorgung mit Energie und Medien, spezielle Entsorgungsanlagen sowie eine auf chemische Produktionsbetriebe zugeschnittene Werk- und Lagerlogistik. Zusätzlich können Unternehmen von einem ausgeklügelten Produktions- und Rohstoffverbund und einem hohen Sicherheitsniveau profitieren. Wir sind daher nicht nur, aber vor allem für Chemieunternehmen als Produktionsstandort interessant. Deshalb tragen wir den Begriff „Chemiepark“ nun auch im Namen.

CT: Woher nehmen Sie heute das Vertrauen, dass Sie in Zukunft mit hochwertiger, teurer Chemiefläche wachsen können?
Langhammer: Weil bei uns die Rahmenbedingungen für kritische Produktionen in störfallrelevanten Anlagen stimmen. In Deutschland gibt es noch viele Störfall-Betriebe an Standorten mit angrenzender Wohnbebauung. Das würde heute so nicht mehr genehmigt werden. Der Druck, solche Produktionen von den Städten weg zu bekommen, wird weiter wachsen. Auch der Trend hin zur Spezialchemie kommt uns entgegen – denn im Gegensatz zur Produktion von Massenchemikalien spielt hier der Aspekt „Transport“ eine untergeordnete Rolle – da ist eher entscheidend, ob man ein professionelles Umfeld hat. In einem Umkreis von 30 km um Gendorf bietet die Region  – das Bayerische Chemiedreieck – 20.000 Chemie-Arbeitsplätze, 4.000 davon allein bei uns im Chemiepark.

CT: Für Clariant betreiben Sie ein GMP-Lager am Standort – gehört die Ansiedlung von Pharmaunternehmen zu Ihrer Zukunftsstrategie?
Langhammer: Ich möchte das nicht ausschließen. Denn die Pharmaindustrie ist ähnlich wie die Chemieindustrie eine äußerst innovative Branche, die ebenfalls höchste Ansprüche an Infrastruktur und Sicherheit stellt. Zusätzlich würde dies unseren Standort weiter diversifizieren. Wenn Unternehmen am Standort in unterschiedlichen Marktsegmenten aktiv sind, ist das nur positiv für die Zukunft, weil damit volatile Entwicklungen abgefedert werden können. Der eigentliche Vorteil eines Parks besteht ja schließlich darin, dass er einen Ausgleich schaffen kann. Hier hilft uns beispielsweise die Clariant sehr, weil das Unternehmen sowohl für den Konsumgütermarkt, als auch für die Automobil- und Pharmaindustrie produziert.

CT: Aktuell ist die Kapazitätserweiterung der Folienproduktoin durch Klöckner Pentaplast eine größere Investition am Standort. Was war bei der Standortentscheidung ausschlaggebend?
Langhammer: Klöckner Pentaplast ist als Kunststoffverarbeiter eigentlich kein Chemieunternehmen. Aber als ehemaliger PVC-Produktionsstandort haben wir hier die Profis, die die Technik beherrschen. Die Entscheidung fiel zwischen Portugal und Gendorf – und da gab wohl die Technologiekompetenz und das Kriterium Time-to-Market den Ausschlag für den Standort.

CT: Als Standortbetreiber haben Sie zuletzt in Ihr eigenes Stromnetz investiert und modernisieren nun das Kraftwerk. Ist der energiepolitische Rahmen für Ihre Investitionen stabil genug?
Langhammer: Das ist ein wunder Punkt. Da kann man nur auf die Vernunft und die Verantwortung der Politiker hoffen. Die EEG-Befreiung auf Eigenstrom ist beispielsweise nur bis 2017 geregelt. Die Chemieparks haben das Problem, dass sie als Parkbetreiber nicht mehr von der EEG-Abgabe befreit sind. Da aber die Eigenerzeugung befreit bleibt, hat sich uns die Chance eröffnet, energieintensive Medien wie Druckluft und Kühlwasser, die ja nichts anderes als umgewandelter Strom sind, ohne EEG-Umlage anbieten zu können. Aber es bleibt der EU-Vorbehalt der unerlaubten Beihilfe, der noch nicht ganz ausgeräumt ist. Ich gehe davon aus, dass man einen Kompromiss finden wird: Hier besteht ein gewisses Risiko für uns.

CT: Wie stellen Sie sich den Chemiepark in zehn Jahren vor?
Langhammer: Ich bin fest davon überzeugt, dass wir bis dahin dank unserer Freiflächen weiter gewachsen sind. Dabei wäre unser Wunsch, dass wir uns weiter diversifizieren und unsere Standortunternehmen für möglichst viele unterschiedliche Märkte produzieren. Was den Betrieb des Chemieparks betrifft, werden unsere Prozesse noch effizienter sein, auch weil unsere innovativen 4.0-Ansätze von heute Realität geworden sind. Wenn uns das alles gelingt, hat Gendorf als ein Produktions- und Innovationszentrum für die Chemieindustrie eine positive Zukunft.

CT: An was denken Sie konkret beim Begriff „Chemie 4.0“?
Langhammer: An Standardisierung, Modularisierung und Vernetzung. Bislang betreibt unsere Branche alle Anlagen als Unikate. Das wird langfristig nicht mehr funktionieren. Künftig könnten in einem Chemiepark und in Chemieunternehmen mehr standardisierte Prozesse ablaufen. Außerdem gibt es eine Tendenz in Richtung Modularisierung. Gerade Produkte der Spezialitätenchemie sind durch schnelle Marktbelieferung, hohe Qualitätsanforderungen und kleinere, aber häufig wechselnde Produktmengen gekennzeichnet. Durch eine Anlagen-Modularisierung kann der Entwicklungsprozess für chemische Verfahren beschleunigt und die Produktion von Kleinmengen vereinfacht werden. Die Digitalisierung und Vernetzung durch Industrie 4.0 trägt zusätzlich zur Erhöhung der Flexibilität von Produkten und Produktionsprozessen bei. Es steht uns sicherlich noch ein großer Wandel bevor, der auch die Chemiebranche betreffen wird.

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