CT: Wie definieren Sie Ihre Rolle als Corporate Engineering?

Deibel: Unsere Kunden, die Betreiber der BASF-Anlagen, legen Wert darauf, dass ihre Anlage auf den jeweiligen Verwendungszweck hin optimiert ist. Dafür erstellen wir die Konzeption und dokumentieren diese im so genannten Basic Engineering. Unseren Wettbewerbsvorteil ziehen wir daraus, dass unsere Anlagen entweder technologisch besser oder kostengünstiger als die der Wettbewerber sind. Die Anlagen sind dann meistens Unikate.

Für die Abwicklung der Projekte und das Design der Detailkomponenten stützen wir uns auf die Spezialisten im Markt, die natürlich überwacht werden müssen. In Zahlen gesprochen: 60Prozent aller Ingenieurleistungen, die wir brauchen, um die Anlage zu erstellen, kaufen wir zu.

CT: Dennoch legen Sie vergleichsweise großen Wert darauf, die Auswahlentscheidung für die Anlagenkomponenten selbst zu treffen.

Deibel: Teil des Auftrages durch unsere Kunden ist, mit Qualitätssicherungssystemen dafür zu sorgen, dass das, was wir einkaufen, unseren Anforderungen auch wirklich entspricht. Das heißt, wir müssen die Serviceleistungen, die wir einkaufen, aber auch die Ausrüstungskomponenten von der Auftragsvergabe bis hin zur Baustelle überwachen – sowohl im Hinblick auf die Qualität, als auch auf das Preis-Leistungs-Verhältnis.

CT: Hat sich diese Philosophie im Laufe der Zeit geändert?

Deibel: Eigentlich nicht. Vor etwa zehn Jahren wurde bei uns sehr intensiv darüber diskutiert, ob man die Auswahl nicht dem Kontraktor überlassen soll. Wir haben dabei unser Lehrgeld bezahlt und gelernt, dass dieser Ansatz nicht sehr Erfolg versprechend ist. Denn die Gewährleistung im Hinblick auf Produktionsausfall und Umsatzverlust hat in solchen Projekten natürlich Grenzen. Unserer Erfahrung nach ist es besser, den EPC-Kontraktor intensiv zu begleiten. Dies tun wir beispielsweise mit sehr detaillierten Spezifikationen – natürlich abgestuft nach kritischen und weniger kritischen Komponenten.

CT: Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Eigenschaften eines Lieferanten?

Deibel: Erstens Kompetenz, zweitens Referenzen und drittens finanzielle Solidität. Das prüfen wir intensiv.

CT: Eine für den Betreiber optimale Anlage setzt die intensive Rückkopplung zwischen Planer und Betrieb voraus. Wie erreichen Sie diese?

Deibel: In unseren Personalentwicklungsplänen wird sichergestellt, dass Ingenieure zwischen Betrieb und Planung wechseln. Aber viel wichtiger ist, dass es in unserem Projekt-Workflow immer wieder Haltepunkte gibt, an denen ein Austausch mit den Experten aus den Betrieben, der Forschung oder anderen Bereichen wie der Sicherheitstechnik stattfindet. Dort stellen Experten Fragen zum Projekt und in der Folge werden weitere Anforderungen für das Projektteam definiert. So stellen wir sicher, dass aktuelle Erkenntnisse aus den Betrieben einfließen. Wir nennen das Ganze Value Improving Practise.

CT: Hinterfragen Sie im Gegenzug auch das Projekt an sich?

Deibel: Ja – da können wir es uns als Owner‘s Engineers leisten, frech zu sein und erst einmal zu fragen: Wird die Anlage überhaupt gebraucht? Können wir das Ziel nicht auch durch eine Debottleneck-Maßnahme woanders erreichen? Bei diesem so genannten Projekt Catcher sitzen wir mit der Forschung, aber auch mit Marketingleuten zusammen und hinterfragen die eigentliche Aufgabenstellung. Wir werden bereits sehr früh in Forschungsprozesse eingebunden und versuchen, schon das Design von Miniplant-Anlagen im Hinblick auf eine großtechnische Umsetzung mit zu beeinflussen. Denn die frühe Konzeptionsphase wirkt sich entscheidend auf die Kosten aus.

CT: In Ihrem „Modular Plant Concept“ propagieren sie einen modularen Aufbau von Großanlagen. Widerspricht das nicht der Aussage, dass optimierte Anlagen immer Unikate sind?

Deibel: MPC bedeutet nicht zwangsläufig, mehrere Standard-Produktionsstraßen nebeneinanderzustellen. Das Konzept basiert auf der Überlegung, dass es betriebswirtschaftlich nicht immer sinnvoll ist, im Sinne der Economy of Scale eine riesige World-Scale-Anlage zu bauen. Sobald diese angefahren wird, brechen häufig erst einmal die Preise ein. Mit modularen Anlagen versuchen wir, den Kapazitätszuwachs so zu gestalten, dass diese dem Markt folgt. Mit diesem auf betriebswirtschaftlichen Betrachtungen basierenden Konzept haben wir beispielsweise unsere MDI-Anlage in Antwerpen geplant und immer wieder sehr kostengünstig ausgebaut. Während wir das Anlagenkonzept erstellen, überlegen wir uns ganz bewusst: Was müssten wir machen, um die Kapazität der Anlage beispielsweise in fünf Jahren um 25 % zu erweitern?

CT: Über welche Schlüsselqualifikationen oder persönliche Eigenschaften muss der Ingenieur der Zukunft verfügen?

Deibel: Machen wir uns nichts vor – in der Herangehensweise, wie wir Anlagen planen, hat sich seit dem Bau der ägyptischen Pyramiden eigentlich kaum etwas geändert. Wohl aber beim Berufsbild des Ingenieurs: Der Trend geht weg vom Spezialisten, wie ihn die frühere Arbeitsteilung erfordert hat. Rationalisierung und notwendige Produktivitätssteigerungen führen zu einem steigenden Bedarf an breit ausgebildeten Allroundern. Dieser muss so viel Detailwissen besitzen, um Überwachungsfunktionen wahrnehmen zu können, nicht mehr.

Und dann brauchen wir auch zunehmend Ingenieure, die kontaktstark sind, Verhandlungsgeschick und auch kaufmännische Fähigkeiten besitzen. Wir müssen uns juristisch in ein Vertragswerk hineinversetzen können und uns mit Themen wie Claim Management auseinandersetzen. Soziale Kompetenzen werden immer mehr gefragt. Also wenn ich die Wahl zwischen einem hochbegabten, aber in sich gekehrten Spezialisten und einem mittelmäßigen Ingenieur mit exzellenten Kontaktfähigkeiten habe, würde ich Letzteren nehmen. Als ich hier anfing, sagte mir mein Chef: „Deibel, Du musst eigentlich nur das Telefonbuch beherrschen. Du findest immer einen Spezialisten, der Dir weiterhilft.“ Hinzukommen die zunehmenden Anforderungen an die Mobilität und noch viel wichtiger: Die Ingenieure müssen bereit sein, sich mit anderen kulturellen Werten auseinanderzusetzen. Das heißt, sich auch für andere Lebensweisen zu öffnen.

CT: Haben sich die Hochschulen bereits auf diese Anforderungen eingestellt?

Deibel: Es wird eine Menge getan. Die Studenten machen Projekt- und Teamarbeiten und lernen Verhandlungsgeschick. Aber man darf sich nichts vormachen, wir suchen ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil – das muss vorhanden sein. Und diese Leute müssen wir im Selektionsprozess bei der Rekrutierung einfangen.

CT: In China wird ein Vielfaches an Ingenieuren ausgebildet – ist das der Typus von Ingenieuren, die Sie sich wünschen?

Deibel: Nein. Wir haben in Deutschland nach wie vor einen Ausbildungsstand, mit dem wir uns nicht verstecken müssen. Diesen Allrounder gibt es weder in den USA noch in China. Es gibt sicherlich hervorragende chinesische Ingenieure, aber die Zahl ist immer noch vergleichsweise niedrig.

Das Grundproblem liegt in Deutschland, aber auch in Europa und den USA in der mangelnden Technikakzeptanz. Dadurch sinkt die Bereitschaft, technische Berufe zu ergreifen. Auch wurden viele Studierende vor einigen Jahren noch abgeschreckt, als die Ingenieure Probleme hatten, einen Job zu finden.

CT: Die BASF hat in jüngster Zeit in Asien riesige Standorte aufgebaut. Wird analog zum Ludwigshafener Q 920 dort Engineering aufgebaut?

Deibel: Die BASF-Gruppe investiert in der ganzen Welt und in sich ändernden Märkten. Wir haben in China sehr viel gebaut, aber auch in den USA gibt es zurzeit große Projekte. Unsere Ingenieure sind immer auf Wanderschaft. Die Frage, wo der optimale Heimatort ist, lässt sich mit der Frage beantworten, wo die Technologiestellen und Forschungseinheiten sind. So lange diese in Ludwigshafen sind, wird hier auch ein sehr großer Anteil des Engineerings sein. Um regionale und lokale Möglichkeiten besser nutzen zu können, haben wir in Shanghai eine kleine Engineeringeinheit und sind in den USA präsent. Aber die Größe dieser Einheiten ist dynamisch und hängt von den Projekten vor Ort ab.

CT: Von welchen Fachdisziplinen erwarten Sie sich in den nächsten Jahren am meisten Impulse?

Deibel: Asset-Management ist bei uns ein ganz großes Thema. Hier sehe ich große Einsparpotenziale, weil sich damit Warenströme, Verfügbarkeit und Instandhaltung noch viel besser optimieren lassen. Und auch die Werkstofftechnik eröffnet große Potenziale: Nanotechnologie kann dabei helfen, Reibungsverluste in den Rohrleitungen zu minimieren. Mit hochentwickelten Kunststoffen stellt sich die Frage, ob eine Anlage immer in Stahl und Eisen gebaut sein muss. Warum nicht aus Kunststoff? Und zuletzt auch die Mikroverfahrenstechnik: Wie können wir die notwendigen Reaktionsräume verkleinern oder Wärmeübertragungsleistungen signifikant erhöhen?

CT: IT war in den letzten zehn, zwanzig Jahren einer der wichtigsten Produktivitätsfaktoren im Anlagenbau. Sind hier noch Steigerungen zu erwarten?

Deibel: Ich glaube, dass die IT-Werkzeuge auch in der Zukunft die wesentlichen Effizienzbringer sein werden. Mein Traum ist, dass in der Zukunft ein einzelner Ingenieur eine gesamte Anlage plant. Er sitzt an seinem PC, in dem alles hinterlegt ist, Simulationen und heuristische Regeln, und am Ende spuckt der Drucker die Bestellanforderungen, die Rohrleitungslisten und alles Weitere aus. Aber das wird sicherlich so schnell nicht erreicht werden.

CT: Das würde bedeuten, dass Sie für Ihre derzeit 78 Projekte nur noch 78 Ingenieure benötigen…

Deibel: Bei dem Wettbewerbsvorsprung, den wir dann hätten, würden wir die Projektzahl und das Volumen für den Anlagenbau enorm steigern können.[AS]

„So lange die Technologiestellen undForschungseinheitenin Ludwigshafen sind, wird hier auch ein sehr großer Anteil des Engineerings sein“
Dr. Stefan-Robert Deibel ist Leiter Corporate Engineering der BASF

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