Juni 2012
„Das Verhältnis zwischen mittelgroßen und Großprojekten hat sich gedreht. Das führt dazu, dass wir heute einem wilden Wettbewerb ausgesetzt sind“, Dr. Michael Thiemann ist Vorsitzender der Geschäftsführung  des Chemieanlagenbauers ThyssenKrupp Uhde

„Das Verhältnis zwischen mittelgroßen und Großprojekten hat sich gedreht. Das führt dazu, dass wir heute einem wilden Wettbewerb ausgesetzt sind“, Dr. Michael Thiemann ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Chemieanlagenbauers ThyssenKrupp Uhde

CT: Das globale Projektgeschäft brummt, der Chemieanlagenbau hat die Wirtschaftskrise mit Macht hinter sich gelassen. Wie stellt sich die Situation im globalen Chemieanlagenbau für Sie derzeit dar?

Thiemann: Ich bin mit dieser Aussage in Bezug auf den Großanlagenbau nicht ganz einverstanden. Denn eines ist heute anders als vor drei Jahren: Die Anzahl der Projekte ist deutlich geringer als vor der Wirtschaftskrise. Und sie steigt nur langsam an. Dagegen hat sich die Größenordnung der Projekte geändert. Wir sprechen mehr von Megaprojekten, die aus Megapaketen zusammengesetzt sind. Das Verhältnis zwischen mittelgroßen und Großprojekten hat sich gedreht. Das führt dazu, dass wir heute einem sehr harten Wettbewerb ausgesetzt sind. Alle Anlagenbauer streiten sich heute um eine geringere Anzahl von Projekten. Von einem Verkäufermarkt in den Boom-Jahren 2006-2007 hat sich die Situation heute in einen Käufermarkt geändert.

CT: Wie kommt es, dass es weniger Projekte mittlerer Größe gibt?

Thiemann: Wir haben heute bei Projekten mittlerer Größe, das heißt zwischen 125 Mio. € und 500 Mio. €, eine Unsicherheit auf Seiten der Investoren. Die Anzahl der Projekte hat sich halbiert. Dazu haben wir ein Währungsproblem in der Eurozone. Der Euro-Kurs schwankt sehr stark. Banken und Staaten versuchen die Löcher in ihren Kassen zu stopfen. Dadurch fehlt den privaten Unternehmen Kreditkapital für neue Investitionen. Großprojekte mit einem Volumen von mehr als 500 Mio. € werden dagegen meist von langfristig orientierten institutionellen Anlegern realisiert.

CT: Wo sehen Sie weitere Wachstumsmärkte?

Thiemann: ThyssenKrupp Uhde ist mit seinem Portfolio traditionell im Mittleren Osten stark. Tatsache ist leider auch, dass heute die Auftragssituation in der MENA Region stagniert. Sobald aber wieder genug Vertrauen in die Region zurückgekehrt ist, werden auch die Investoren die bisherigen Anlagenprojekte weiterverfolgen und neue Projekte beauftragen. In der Zwischenzeit profitieren andere Regionen von der Situation. Wir wollen zwar unser Niveau im Mittleren Osten halten, aber für mich sind Asien und Südostasien die Regionen, um die wir uns verstärkt kümmern müssen. Die dortigen Märkte werden vom eigenen Bedarf des Binnenmarktes getrieben. An diesem Wachstum wollen wir partizipieren. Außerdem arbeiten wir an einem Sub-Sahara-Konzept. Afrika wird der nächste Zukunftsmarkt sein. Ein anderer Bereich in dem wir aktiv sind, ist Osteuropa: Markt und Bedarf sind dort riesig. Die ehemaligen GUS-Staaten wie Aserbaidschan beginnen damit, ihre Rohstoffquellen nachhaltig und an der Wertschöpfungskette ausgerichtet einzusetzen. Diese Länder steigen neben der Gasexploration jetzt auch in die Weiterverarbeitung ein – beispielsweise in die Düngemittelproduktion. Man kann es so sagen: Die Märkte unterliegen einem ständigen Wandel und haben sich verschoben. Die Krise des einen ist die Chance des anderen.

CT: Durch LNG und Schiefergas wird Erdgas als Rohstoff immer bedeutender. Welchen Einfluss hat dies auf Ihre Geschäftsfelder?

Thiemann: In Nordamerika hat sich die Welt ebenfalls gedreht. Vor vier, fünf Jahren hatte kaum jemand registriert, dass in den USA die Schiefergas-Vorkommen durch Fracking erschlossen werden. Aber inzwischen ist der Erdgas-Preis auf drei Dollar per Mio. BTU oder sogar darunter gesunken, so dass in den USA wieder Chemieinvestitionen realisiert werden. Shell baut beispielsweise in der Nähe von Pittsburgh einen Gascracker. Derzeit stehen bis zu fünf neue Düngemittelkomplexe in Amerika zur Diskussion. Bisher wurde der Dünger für das Agrarland USA zunehmend aus dem Mittleren Osten eingeführt. Dieser Trend verlagert sich wieder.

Wir sehen für uns Möglichkeiten für einen Markteintritt mit unseren Technologien in Nordamerika. Die dortigen großen Anlagenbauunternehmen legen ihren Fokus auf das Gewerk „Construction“. Wir haben dagegen hochwertige Technologien für die Düngemittelherstellung, für Polymere und speziell für Biopolymere. Auf dieser Schiene wollen wir auf dem nordamerikanischen Markt mit dabei sein.

CT: Mit einem Umsatzanteil von 36 Prozent dominiert das Ammoniak- und Harnstoff-Geschäft die ThyssenKrupp Uhde-Bilanz. Wie entwickelt sich dieser Markt und die Wettbewerbssituation, insbesondere mit koreanischen und chinesischen Anbietern?

Thiemann: Im Geschäftsjahr 2010/11 verteilt sich der Umsatzanteil bereits zunehmend gleichmäßiger auf unsere anderen Technologiebereiche und unseren Bereich Contracting einschließlich unseres Servicegeschäfts. Gleichwohl hat die Wettbewerbssituation mit asiatischen Anbietern weiter zugenommen und wird auch nicht nachlassen. Die Asiaten und insbesondere Koreaner sind in die Lücke gestoßen, die sich im Bau- und Montagebereich vor über zehn Jahren geöffnet hatte. Sie haben dann ihre EPC-Wertschöpfungskette systematisch erweitert und bieten inzwischen auch das Detail Engineering an. Das bedeutet, dass wir Gefahr laufen, in Kooperation nur noch als Technologielieferanten angesehen zu werden. Das wollen wir nicht. Wir wollen die Wertschöpfungskette mit unseren eigenen Technologien so weit wie möglich ausschöpfen. Wir wollen Contracting-Leistungen, das heißt Project Delivery bzw. die Realisierung, so professionell anbieten, dass wir auch gegen die Konkurrenz aus Asien bestehen können. Das ist ein Teil unserer Strategie, mit der wir uns neu aufgestellt haben.
 
CT: Wie wollen Sie das erreichen?

Thiemann: Unsere Strategie hat zwei Stoßrichtungen: den Aufbau der Präsenz vor Ort und den Ausbau unserer Technologieführerschaft. Wir brauchen Wachstum und mehr Präsenz vor Ort, damit haben wir zum Glück schon früh angefangen. Neben der eigenen Technologie, die aus dem Stammhaus heraus entwickelt wird, und auf die wir uns in Dortmund konzentrieren, haben wir inzwischen einen gutes lokales Netzwerk mit Ingenieurbüros, die über den ganzen Globus verteilt sind. Wir haben unsere Technologiebereiche den Anforderungen des Marktes gemäß zusammengefasst.Wir wollen nicht unbedingt die Größten beim Umsatz sein, aber wir wollen die besten Produkte anbieten. Und für die besten Produkte braucht man die besten Technologien. Hier haben wir gegenüber unseren asiatischen Wettbewerbern einen Vorsprung. Dieses Portfolio ergänzen wir systematisch.

CT: Dennoch: Wie können Sie die aggressiven Preise der chinesischen und koreanischen Anbieter schlagen?

Thiemann: Es ist nicht einfach, diese Wettbewerber auf der Construction-Seite alleine zu schlagen. Auf der anderen Seite werden ja immer Pakete und nicht Einzelleistungen verkauft. Und hier kommt der Ansatz „design to cost“ ins Spiel. Wir fragen uns: „Was darf eine Anlage heute kosten?“. Wir fragen auch: „Wann macht diese Anlage Sinn?“ und setzen uns damit bewusst auf den Stuhl unseres Kunden. Hier rechnen wir nicht einfach Bottom up, sondern wir haben einen Zielpreis, den wir erreichen wollen. Das ist die Bedeutung von „design to cost.“

Wir übernehmen nicht einfach von einem Lizenzgeber ein Lizenzpaket, sondern fragen uns: „Was kann man noch besser machen?“ Unsere technische Lösung führt dann zu einem qualitativ höherwertigen Angebot, was dann auch für den Kunden kommerziell Sinn macht. Und das ist aus meiner Sicht die Antwort eines deutschen Anlagenbauers auf die asiatische Herausforderung.

CT: ThyssenKrupp Uhde ist im vergangenen Geschäftsjahr besonders stark im Bereich Contracting & Services gewachsen. Ist das bereits Ergebnis der neuen Ausrichtung, oder sind das noch Effekte aus dem Konjunkturzyklus?

Thiemann: Beides trifft zu. Aber auf jeden Fall ist das auch Ergebnis der neuen Ausrichtung. Denn wenn man stärker lokal aufgestellt ist, dann kann man mehr Contracting- und Servicegeschäft entwickeln. Natürlich verkaufen unsere lokalen Gesellschaften bevorzugt eigene Technologien. Aber wenn man in einem Markt wie Indien als Engineering-Kontraktor tätig ist, dann werden auch andere Technologien verwendet, die wir gar nicht im Portfolio haben.

Die Kollegen in den lokalen Gesellschaften stehen täglich vor Ort im harten Wettbewerb. So sind zum Beispiel in Indien alle namhaften Wettbewerber vertreten. Dazu kommen lokale indische Gesellschaften – zum Teil sogar staatliche. Letztere muss man nicht nur im Preis schlagen, sondern man muss auch noch mindestens zehn Prozent besser sein. Sonst hat die staatliche Gesellschaft die Möglichkeit des Nachschlags. Das heißt, in den Märkten vor Ort unterliegen unsere Mitarbeiter einem harten täglichen Training. Wenn die so gewonnene Marktkompetenz mit eigenen hervorragenden Technologien kombiniert, dann ist man richtig aufgestellt.

CT: Wie setzen Sie den Aspekt „Best Cost Country Sourcing“ um und welches sind die wichtigsten Erfahrungen mit der neuen Einkaufsplattform „Uhde Engineering Consulting Shanghai“?

Thiemann: Wir nutzen die lokalen ThyssenKrupp Uhde-Gesellschaften in den Regionen, um unser Sourcing in Best Cost Countries zu optimieren. Dies immer in Hinblick auf die anfallenden Gesamtkosten – also unter Berücksichtigung von Transport- und Qualitätssicherungskosten, Zöllen und Steuern. Denn Einkaufen in Best Cost Countries heißt fast immer ein erhöhter Aufwand für Qualitätssicherung.

ThyssenKrupp Uhde hat sich ein Netzwerk von Partnern in Best Cost Countries aufgebaut, deren Ausführung der Arbeiten unseren Qualitätsansprüchen entsprechen und ein hohes Vertrauensverhältnis entwickelt. Unsere lokalen Gesellschaften beschäftigen sich dabei nicht nur mit Engineering Services, sondern kaufen auch lokal ein. Und die lokale Gesellschaft kennt sich auf ihrem Markt besser aus und bekommt natürlich auch bessere Preise. Die lokalen Einheiten haben auch Inspection- und Expediting-Abteilungen, die sich darum kümmern, dass die eingekauften Teile auch unseren Qualitätsstandards entsprechen. In Shanghai werden Aufträge aus der gesamten Uhde-Welt bearbeitet und auf Möglichkeiten zur kostengünstigen Beschaffung in China hin geprüft. Der gesamte strategische Einkaufsprozess wird dabei von Deutschland aus gesteuert.

In den ersten drei Teilen der Interview-Reihe mit den Executives des Chemieanlagenbaus berichteten Peter Gress, BASFDr. Jürgen Hinderer, Bayer Technology Services, und Dr. Claas-Jürgen Klasen, Evonik, über Trends im Anlagenbau.

Zur Person:
Dr. Michael Thiemann

Dr. Michael Thiemann ist seit 2009 Vorsitzender der Geschäftsführung der Uhde GmbH. Er studierte an der RWTH Aachen Verfahrenstechnik und promovierte in der Chemietechnik an der Universität Dortmund auf dem Gebiet der Polymerdispersion. 1978 trat er bei Uhde ein. Dr. Thiemann war zuständig für die Inbetriebnahmen der weltweit tätigen Uhde-Gruppe in Kanada, Griechenland, Pakistan, Indien sowie Deutschland. Er übernahm von 1983 bis 1986 die Leitung der Uhde-Verfahrenstechnik und war ab 1987 als Leitender Direktor für den Technischen Bereich II (Düngemittel) verantwortlich. 1994 wechselte er zur Uhde-Tochtergesellschaft nach Indien und baute Uhde India zu einem der heute führenden indischen Ingenieurunternehmen aus.

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