Die Möglichkeiten des Einsatzes drahtloser Kommunikation sollten erkannt und genutzt werden.“ Dieses verblüffende Fazit zog Dr. Franz-Josef Kersting, BASF, in seinem Vortrag zur Namur-Hauptsitzung im November 2006 und sprach damit für die Mitglieder des noch jungen Namur-Arbeitskreises 4.15 „Wireless Automation“. Überraschend war diese Aussage deshalb, weil die Anwendervereinigung in der Vergangenheit bei der Einführung neuer (Kommunikations-)Technologien oft erst einmal die Entwicklung eines allgemeinen Standards forderte und abwartete. Und diesen gibt es, zumindest für die kabellose Kommunikation mit Feldgeräten, bislang weder als industriellen Standard noch als Norm. Branchenkenner gehen davon aus, dass ein solcher Standard noch mindestens anderthalb bis zwei Jahre auf sich warten lassen wird.

Die Folge: Lösungen zur drahtlosen Kommunikation in Anlagen der Prozessindustrie sind zunächst einmal proprietär. Geräte des Herstellers A arbeiten in der Regel nicht mit den Geräten des Anbieters B zusammen (fehlende Interoperabilität). Das mag für in sich geschlossene Anwendungen, beispielsweise der mobilen Erfassung von Lagerdaten via RFID und Barcode-Scanner, kein Problem sein, für komplexe Feldgeräteinstallationen wollen sich die Anwender in der Regel nicht auf das Portfolio eines einzelnen Anbieters festlegen lassen.
Aber der Reihe nach: Was macht eigentlich den Reiz aus, bei der Kommunikation mit Geräten der Automatisierungstechnik auf Kabel zu verzichten? Einerseits sind es zunächst einmal die Verdrahtungskosten, die besonders in weitläufigen Anlagen einen erheblichen Kostenblock darstellen können. Dazu kommen der Aufwand für die Montage, Installation und Inbetriebnahme, insbesondere in Anlagen, die häufig umgebaut werden. Wer schon einmal eine Anlage mit mehreren Dutzend oder Hundert IOs in Betrieb genommen hat, weiß, wie viel Zeit für die Suche nach falsch rangierten Sensorkabeln vergehen kann. Auch der Anschluss bewegter Automatisierungskomponenten, wie sie an Transportbehältern oder fahrbaren Skids und Package Units zum Einsatz kommen, lässt sich per Funk viel eleganter realisieren als leitungsgebunden. Und nicht zuletzt versprechen sich die Automatisierer mehr Informationen (Diagnose) von den Feldgeräten, als sie bislang bei konventioneller Verdrahtung oft möglich sind.
Die Experten des Namur-AK 4.15 sehen die Schwerpunkte für den Einsatz von Wireless-Technologien

  • in der Logistik und Produktion – zum Beispiel für Barcode- und RFID-Systeme sowie zur mobilen Prozessvisualisierung,
  • als Alternative zum Kabel – beispielsweise bei mobilen oder drehenden Systemen, für Schleifringe, Schleppkabel etc. und zur Überwindung von großen Strecken, bei denen eine Kabelverlegung unwirtschaftlich wäre,
  • für mobile Anwendungen in der Instandhaltung sowie
  • für den temporären Einsatz bei Inbetriebnahmen oder der Datenerfassung für Optimierungen und Untersuchungen.

CT-Umfrage: Hoher Nutzen bei großen Strecken

Und auch eine aktuelle Umfrage der CHEMIE TECHNIK (Stand Mai 2007) unter Betreibern von Chemieanlagen kommt zum Ergebnis, dass der Nutzen bei großen Distanzen, aber auch in Instandhaltungsanwendungen und für den temporären Einsatz als besonders hoch eingeschätzt wird (siehe Grafik). Allerdings lassen sich die Anforderungen und Bedürfnisse der Betreiber nach Funktionssicherheit und Verfügbarkeit – diese Aspekte wurden in unserer Umfrage als besonders wichtig genannt – nicht ohne weiteres durch den Einsatz der in der Bürokommunikation verbreiteten Wlan- oder Bluetooth-Komponenten erfüllen. Um die drahtlose Kommunikation auch in der Feldebene einsetzen zu können, haben verschiedene Hersteller in jüngster Zeit eigene Lösungen vorgestellt (siehe auch Beitrag „Wireless erreicht die Feldebene“ in dieser Ausgabe). Ein viel versprechender Ansatz ist der Aufbau von vermaschten, selbstorganisierenden Sensor-Netzwerken, bei denen sich die drahtlosen Feldgeräte selbstständig die optimale Funk-Route suchen, um ihre Informationen zum Prozessleitsystem zu bringen. Eine unterbrochene Funkstrecke baut sich dann selbstständig neu auf.

Über den Ansatz des Anbieters Emerson hatten wir in CT 1-2/07 berichtet (siehe Artikelende). Auch die Hart-Communication Foundation HCF setzt mit ihrem jüngst vorgestellten WirelessHart-Konzept auf selbstorganisierende Netze. Durch WirelessHart soll der weit verbreitete Hart-Standard erweitert werden, um drahtlos mit der bestehenden Hart-Infrastruktur kommunizieren zu können. Die Spezifikation dazu soll im Sommer 2007 freigegeben werden. Ein anderes wichtiges Gremium ist das Komitee SP 100 der ISA, in dem Anwender und Hersteller an einem Standard für die drahtlose Kommunikation für Automatisierungslösungen im Feld arbeiten.
Die HCF geht dabei von zwei potenziellen Anwendungsszenarien aus: der Aufrüstung bestehender Hart-Geräte mit drahtloser Technik sowie vollständig drahtlose Installationen. Beim ersten Szenario sollen die in den Geräten bereits heute häufig vorhandenen Diagnosefunktionen zugänglich gemacht werden, die bislang auf Grund von Installationen, die nicht Hart-transparent sind, ungenutzt bleiben.

Wireless Hart am Start

Für den Aufbau vollständig drahtloser Installationen sind die Hürden allerdings wesentlich höher. Knackpunkt ist hier die Energieversorgung der Feldgeräte, denn in einer vollkommen drahtlosen Installation entfällt auch die klassische 2- oder 4-Leiter Gerätespeisung. Zukünftige Low-Power-Feldgeräte müssen ihre Energie deshalb entweder aus langlebigen Batterien ziehen und sich zwischen einzelnen Messvorgängen „schlafen“ legen, oder aber Energiequellen aus der Anlagenumgebung (Solarenergie, Vibrationen, Wärme etc.) nutzen. Dies erfordert vollkommen neue Gerätekonzepte.

Ob der Druck für die Anwender in Richtung Asset Management allerdings groß genug ist, um das im ersten Anwendungsszenario skizzierte „Wireless-Diagnosenetz“ parallel zu einer existierenden Feldgeräteverkabelung zu realisieren, ist noch unklar. „Wahrscheinlich würde man eher auf das nächste Leitsystem-Update warten, um dann Hart-transparente Controller und Multiplexer in die Kabelinstallation einzubringen“, meint ein Automatisierer eines großen Chemieunternehmens. Allerdings stehen die Anwender der Chemie der Drahtlos-Technik grundsätzlich positiv gegenüber, was die zahlreichen Projekte belegen, die vom Namur-AK untersucht wurden.

Fazit: Drahtlose Kommunikation hat in einigen Bereichen der Prozessautomatisierung bereits Einzug gehalten. Der Einsatz in Feldgeräten steht bislang noch am Anfang, doch am Markt sind bereits interessante Lösungsansätze für eine unter Prozessbedingungen sichere Funkkommunikation vorhanden. Der Schwerpunkt wird zunächst bei mobilen Lösungen und der Punkt-zu-Punkt-Übertragung bei größeren Strecken liegen. An einem einheitlichen Standard, der Voraussetzung für interoperable Geräte ist, wird derzeit gearbeitet.

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