
Die Studie untersucht drei Ansätze für eine klimaneutrale Chemieindustrie. (Bild: Gina Sanders – Fotolia)
Für die chemische Industrie ist die Umstellung auf eine CO2-neutrale Produktion noch schwieriger als für viele andere Industriezweige. Während diese sich „nur“ mit der Frage der Energieeffizienz auseinandersetzen müssen, kommt für die Chemie zusätzlich auch das Thema Rohstoffe dazu. «Polymere, Kunststoffe, synthetische Textilfasern und Medikamente enthalten Kohlenstoff. Irgendwoher muss dieser kommen», erklärt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich. Und dieses „irgendwoher“ bedeutet im Moment vor allem Erdöl und Erdgas.
CO2-neutrale Produktion braucht mehr Strom
Forscher der ETH Zürich und der niederländischen Universität Utrecht haben daher nun verschiedene Ansätze für CO2-Neutralität der Chemieindustrie miteinander verglichen. Als beispielhaften Fall nahmen sie die Herstellung von Methanol. Ihre Schlüsse vorweg: Das Ziel einer Netto-Null-Emission ist auch in der chemischen Industrie grundsätzlich zu erreichen. Jeder Weg dorthin hat jedoch verschiedene Vor- und Nachteile, die sich geographisch unterschiedlich stark auswirken. Und: Alle CO2-neutralen Ansätze brauchen insgesamt mehr Energie als derzeitige Produktionsweisen, das heißt vor allem mehr „grünen“ Strom.
Ansatz 1: Emissionen speichern
Der erste untersuchte Ansatz sieht vor, weiterhin fossile Rohstoffe zu nutzen, die dabei entstehenden CO2-Emissionen jedoch abzuscheiden und etwa im Boden zu speichern (Carbon Capture and Storage, CCS). Die aktuellen Herstellungsprozesse müssten sich auf diese Weise am wenigsten verändern. Die dazu benötigen Speicherstätten sind jedoch nicht überall auf der Welt verfügbar.
Ansatz 2: Viel Strom für grünen Kohlenstoff
In einer zweiten möglichen Variante käme künftig Kohlenstoff aus CO2 zum Einsatz, das direkt aus der Luft oder aus Industrieabgasen gewonnen wurde (Carbon Capture and Utilisation, CCU). Der Rohstoff ließe sich per Wasserelektrolyse herstellen. Dies hätte starke Auswirkungen auf die Produktionsprozesse, viele Anlagen müssten neu oder stark umgebaut werden. Außerdem braucht es dazu nach Einschätzung der Forscher sechs- bis zehnmal mehr Strom als in der ersten Variante. «Der Ansatz ist nur in Ländern mit einem CO2-neutralen Strommix zu empfehlen», meint daher ETH-Professor Mazzotti. Kommt der Strom dagegen noch aus Kohle- oder Gaskraftwerken, sei dieser Ansatz „für das Klima sogar deutlich schlechter“ als die heutige Produktionsweise.
Ansatz 3: Biomasse mit hohem Flächenbedarf
Der dritte Ansatz der Forscher sieht vor, Biomasse – in Form von Öl-, Zuckerpflanzen oder Holz – als Rohstoff für die Chemieindustrie einzusetzen. In dieser Varianten würde zwar laut der Studie weniger Strom als in den anderen CO2-neutralen Ansätzen benötigt. Allerdings bräuchte es hier sehr viel Ackerfläche, um die Pflanzen anzubauen: Die Forscher setzen den Mehrbedarf auf 40- bis 240-mal mehr Land ein. Auch dies dürfte in vielen Weltregionen schwer umzusetzen sein. (jg)
Originalmeldung mit Literaturhinweis.
CT-Artikel zum Thema klimaneutrale Chemie:

Den Anfang macht eine Studie, die im Juli 2017 gemeinsam vom europäischen Chemieverband Cefic und der Dechema vorgestellt wurde. Diese untersuchte die Voraussetzungen dafür, damit die chemische Industrie bis 2050 klimaneutral werden kann.
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Ein halbes Jahr später erschienen die Prognosen der Welt-Energieexperten, denenzufolge das hehre Ziel der Dekarbonisierung des Planeten ins Reich der Utopie gehört.
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Dem zur Seite sprang 2018 eine Studie der Energieforscher der IEA, die ein Schlaglicht auf einen bislang blinden Fleck der Energiewirtschaft warf. Demnach wird die Petrochemie schon bald den Mobilitätssektor als größter Nachfragetreiber für Erdöl ablösen.
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Einen weiteren blinden Fleck beleuchteten wir in einem viel beachteten Artikel zur Bedeutung von Beton als Ursache für Treibhausgasemissionen und attestiert dem Baustoff eine verheerende Klimabilanz.
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Wie sehen Europa und die Welt im Jahr 2050 aus? Welche Herausforderungen kommen auf uns zu? Und wie kann die europäische Chemieindustrie bei den Lösungen helfen? Spekulative, aber plausible Antworten auf diese Fragen gab der europäische Chemieindustrieverband Cefic im vergangenen Jahr in einer weiteren Studie.
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Genuss ohne Verzicht - auf diesen plakativen Nenner lässt sich die Treibhausgas-Vermeidung per Effizienzmaßnahmen bringen. Dass hier noch großes Potenzial besteht, konstatiert unser Trendbericht. Bild: maho – AdobeStock

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Anfang Mai 2019 wurde die Meldung publik, dass ein Konsortium in Stade an der Elbe eine industrielle Power-to-Liquid-Anlage (PtL) plant. Mit dieser soll die Produktion von Kerosin auf Basis von Windstrom geprüft werden.
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