Mitarbeiter im Büro

Nach der Pandemie sollte das Beste aus beiden Arbeitswelten – der mobilen und der im Büro – übernommen werden, findet Victoria Tauscher. (Bild: Nuthawut - stock.adobe.com)

  • Aufgrund eines IT-Test-Tags konnte die Infrastruktur für mobiles Arbeiten bei Air Liquide schon vor dem Lockdown getestet werden.
  • Führungskräfte standen während der Pandemie vor der Herausforderung, die Kommunikation zwischen verstreuten Mitarbeitenden aufrechtzuerhalten.
  • Abläufe wie On- und Off-Boarding, aber auch ein Zugehörigkeitsgefühl zum Team und Unternehmen lassen sich nicht vollständig digital ersetzen.

Wenn der Pandemiezeit etwas Positives abgewonnen werden soll, so sieht Victoria Tauscher dies in der beschleunigten Digitalisierung und einer gewachsenen Akzeptanz für flexible Arbeitszeitmodelle. Aber es ist wichtig, dabei nicht die Diversität der zu erledigenden Arbeit aus den Augen zu verlieren. Denn je größer das Unternehmen, desto verschiedener ist die Arbeit und desto weniger kann ein One-size-fits-all-Modell angewandt werden.

„Womit haben wir nicht gerechnet?“ Stellt Tauscher die provokative Frage auf dem Engineering Summit in Darmstadt in den Raum. „Damit, dass für alle Mitarbeitenden das mobile Arbeiten möglich ist und gemessen an den Ergebnissen keine Störungen im Ablauf oder Qualitätsverluste entstehen – das kam bei der Analyse der Arbeitsergebnisse sowie Umfragen bei Mitarbeitenden als auch Führungskräften heraus.“

Victoria Tauscher
Auf dem 8. Engineering Summit berichtete Tauscher von ihren Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Pandemie bezüglich der Zusammenarbeit in Unternehmen. (Bild: Redaktion / Bettina Theisinger Fotodesign)

Wie ist Air Liquide Engineering & Construction mit der Pandemie umgegangen?

Es könnte von seherisch veranlagten Zeitgenossen als Schicksal bezeichnet werden, dass Air Liquide Engineering & Construction kurz vor dem ersten Lockdown am Standort Frankfurt mit kurzfristiger Ankündigung einen IT-Test-Tag von zu Hause durchführte. Ziel der Aktion war, berichtet Tauscher, herauszufinden, ob die IT-Infrastruktur inklusive der Unternehmensserver standhalten, wenn alle Mitarbeitenden zum gleichen Zeitpunkt von zu Hause arbeiten. Der Tag verlief erfolgreich, sodass die Mitarbeitenden des Unternehmens wenig später im Lockdown problemlos mobil von zu Hause arbeiten konnten. Als 2021 ausreichend Impfstoff verfügbar war, gab es eine Impfkampagne für die Mitarbeitenden. Zudem wurde und wird den Mitarbeitenden sowie ihren Familienangehörigen von Air Liquide Engineering & Construction psychologische Unterstützung durch eine Drittfirma sowie in Form von geschultem Personal angeboten.

Was wird von einer Führungskraft beim mobilen Arbeiten erwartet?

Allen Menschen hat die Pandemie und die damit einhergehenden Beschränkungen zugesetzt. Von Führungskräften wird jedoch noch mehr erwartet, da sie nicht nur für ihr eigenes Wohlergehen und ihre Leistung, sondern auch für ihre Mitarbeitenden verantwortlich sind.

Für Tauscher sind zwei der Kernkompetenzen einer Führungskraft, die Kommunikation sowie Interaktion im Team aufrechtzuerhalten und die Mitarbeitenden zu motivieren. Das kann herausfordernd sein, wenn das Team über mehrere Standorte und Länder verstreut arbeitet und direkte soziale Interaktionen nicht möglich sind. Besonders schwierig wird es bei neuen Mitarbeitenden, die während des mobilen Arbeitens in das Unternehmen gekommen sind. Je seltener eine Person eine andere physisch getroffen hat, desto schwieriger wird die Kommunikation, da das Lesen zwischen den Zeilen aufgrund fehlender Kenntnisse über den Charakter fast unmöglich wird. Das kann zu Missverständnissen führen.

Damit das gemeinsame Arbeiten gelingt, helfen laut Tauscher nur durch die Führungskraft vorgegebene Strukturen und klar definierte Verantwortlichkeiten. „Inklusion geht dann, wenn alle den gleichen Informationsstand und Zugang zu Daten haben.“ Sie ergänzt außerdem „Flurfunk gibt’s im Homeoffice nicht.“ Ebenfalls etwas auf der Strecke bleiben im Digitalen der kreative Austausch, das soziale Miteinander und die Unternehmenskultur.

Das zeigt: Nicht alles lässt sich digital übertragen. Limitierungen von mobiler Arbeit sieht Tauscher gerade bei On- und Off-Boarding-Prozessen. Das schließt auch ein, dass Mitarbeitende in Rente gehen und ein Wissens­transfer stattfinden muss, bevor die betreffende Person das Unternehmen endgültig verlässt.

Wie hat sich der Bewerbungsprozess durch die Pandemie verändert?

Aber auch schon vor dem On-Boarding gibt es Prozesse, die die Pandemie verändert hat. Dazu zählt die Suche nach geeigneten neuen Mitarbeitenden für das eigene Unternehmen. Tauscher berichtet aus ihrer eigenen Erfahrung, dass sich die Forderungen der Kandidatinnen und Kandidaten verändert haben und die Möglichkeit zum mobilen Arbeiten erwartet wird. „Allerdings ist kein Standard erkennbar – von einem bis fünf Tage mobiler Arbeit ist alles dabei.“ Die Ansprüche an eine ausgewogene Work-Life-Balance sind insbesondere bei jüngeren Mitarbeitenden deutlich gestiegen.

Ihr Tipp ist, Bewerberinnen und Bewerbern frühzeitig offen und transparent zu kommunizieren, wie das Unternehmen arbeitet und welche Anforderungen der Arbeitgeber stellt. So wird im besten Fall auf beiden Seiten Zeit gespart und spätere Enttäuschung vermieden, sollten schon die Rahmenbedingungen nicht passen.

Durch flexibleres Arbeiten kann das Unternehmen auch für Kandidaten attraktiv werden, die pendeln wollen. Wenn sie nur zwei bis drei anstelle von fünf Tagen in der Woche von A nach B fahren müssen, entscheiden sich Kandidaten vermutlich eher für das Unternehmen, welches mobiles Arbeiten anbietet, anstatt für jenes bei dem 100 % Arbeit vor Ort gefordert sind oder sie umziehen müssten. Dadurch, dass verschiedene Unternehmen ihren Mitarbeitenden unterschiedlich viel oder wenig flexibles Arbeiten ermöglichen, findet nach der Meinung Tauschers ein „ Ringen um Talente“ statt.

Tauscher betont allerdings, dass die flexiblen Arbeitszeiten und das mobile Arbeiten ein Entgegenkommen des Unternehmens sind und Mitarbeitende im Umkehrschluss auch einsichtig sein sollten, wenn die mobile Arbeit mal nicht möglich sei. Beispielsweise ist Arbeiten aus dem Ausland aufgrund des Steuerrechts und der Sozialversicherung schwierig, wenn im Arbeitsvertrag Deutschland als Arbeitsort angegeben ist. In der Diskussionsrunde im Anschluss an ihren Vortrag sagt Tauscher klar: „Sollte es Gründe gegen mobiles Arbeiten bei bestimmten Mitarbeitenden und deren Tätigkeiten geben, ist eine Umsetzung nicht möglich.“

Wie sieht die Zusammenarbeit direkt nach der Pandemie und zukünftig aus?

Doch was genau heißen all diese Erkenntnisse für das sogenannte New Normal oder auch Next Normal, wie es bei Air Liquide genannt wird? Dies bedeutet, den Mitarbeitenden zwei bis drei Tage in der Woche mobile Arbeit zu ermöglichen, sofern es die Tätigkeitsbeschreibung erlaubt. Innerhalb dieses Rahmens gibt es zwei Team-Tage pro Woche, an denen der Vorteil des gemeinsamen Arbeitens vor Ort genutzt werden soll. Auf diese Weise, erläutert Tauscher, läuft das Unternehmen nicht Gefahr, dass Mitarbeitende die Zugehörigkeit zu ihrem Team oder dem Konzern verlieren. Außerdem seien im Büro die Entscheidungswege kürzer, da ein schneller Informationsaustausch auf dem Flur stattfinden könne.

Als Abschluss gibt Tauscher noch einen Ausblick, wie der Arbeitsplatz im Büro zukünftig aussehen könnte: Corpoworking, Coworking, Virtual Office oder Desk Sharing sind die Stichworte. Ein Zurück in alte Muster und Arbeitsweisen hält Tauscher für ausgeschlossen. Vielmehr sollte das Beste aus beiden Arbeitswelten gezogen werden – dem mobilen Arbeiten auf der einen Seite und dem miteinander vor Ort Arbeiten auf der anderen Seite.

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