Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries AG, ist seit dem 27. März 2020 Präsident des VCI.

Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries AG, ist seit dem 27. März 2020 Präsident des VCI. (Bild: Evonik)

Mangels Nachfrage im In- und Ausland musste die Branche nach einem guten Jahresbeginn die Produktion im zweiten Quartal drosseln.

Mangels Nachfrage im In- und Ausland musste die Branche nach einem guten Jahresbeginn die Produktion im zweiten Quartal drosseln.

Nach positivem Jahresbeginn ging die Produktion im zweiten Quartal um 5,8 % im Vergleich zum Vorjahr zurück. Die Kapazitätsauslastung der Anlagen fiel im Schnitt auf 77,5 %. „Unsere Unternehmen kamen trotz dieses Einbruchs deutlich besser durch die weltweite Krise als andere Branchen“, ordnet VCI-Präsident Christian Kullmann die Lage ein. Die Produktion in der chemisch-pharmazeutischen Industrie war im ersten Halbjahr 2,5 % geringer als ein Jahr zuvor. Für Chemie ohne Pharma liegt sie 3,6 % unter dem Vorjahresniveau. Der Umsatz von Deutschlands drittgrößtem Industriezweig ging um 6,1 % auf 96 Mrd. Euro zurück.

Erste Anzeichen einer Erholung

Bei jedem vierten Unternehmen beeinträchtigt der Auftragsmangel weiterhin stark die Geschäftstätigkeit. Die Erwartungen hellen sich aber langsam wieder auf. Der VCI geht davon aus, dass die Branche im zweiten Quartal die Talsohle der Rezession durchschritten hat. Eine Mitgliederumfrage zeigt, dass Störungen des Betriebsablaufs zurückgehen, nur noch einzelne Unternehmen mit Liquiditätsengpässen kämpfen und sich die Nachfrage im In- und Ausland leicht belebt. Allerdings wird die Überwindung der Corona-Krise noch einige Zeit brauchen: Nur jedes zweite Unternehmen (49 %) rechnet damit, das Vorkrisenniveau bis Ende 2021 wieder zu erreichen. Rund 20 % gehen davon aus, dass sie ein weiteres Jahr dafür benötigen. 13 % erwarten, dass sie den Rückgang noch später oder überhaupt nicht werden kompensieren können.

Prognose 2020: Vor diesem Hintergrund rechnet der VCI für das Gesamtjahr mit einem Produktionsminus von 3 % und einem Umsatzrückgang um 6 %. „Wir sehen erste Anzeichen einer Erholung“, sagte Kullmann. „Wenn ein erneuter Shutdown verhindert werden kann, dürfte sich die Nachfrage nach Chemikalien und Pharmazeutika im zweiten Halbjahr stabilisieren.“

Alle Produktbereiche im Minus

Von der schwächeren Nachfrage waren im ersten Halbjahr 2020 alle Sparten betroffen. (Bilder: VCI)

Von der schwächeren Nachfrage waren im ersten Halbjahr 2020 alle Sparten betroffen. (Bilder: VCI)

Wie der VCI in seiner Bilanz zum ersten Halbjahr 2020 berichtet, waren alle Produktbereiche der Branche von der Nachfrageschwäche im In- und Ausland betroffen: Die Produktion von Spezialchemikalien verringerte sich um 3,9 % gegenüber dem Vorjahr. Die Herstellung von Polymeren sank durch die Nachfrageflaute der Automobilindustrie und der Kunststoffverarbeiter um 8 %. Die Produktion von Pharmazeutika verzeichnete nur ein leichtes Minus von 0,3 %. Auch bei Seifen, Wasch- und Reinigungsmitteln hielt sich der Rückgang mit 0,7 % in Grenzen.

Trotz der schwierigen Geschäftslage gelingt es den Chemie- und Pharmaunternehmen bislang, das hohe Beschäftigungsniveau zu halten. Derzeit arbeiten unverändert rund 464.000 Frauen und Männer in der Chemie- und Pharmaindustrie. Frei werdende Stellen werden derzeit allerdings häufig nicht neu besetzt. Infolge der Corona-Krise sind seit Frühjahr rund 15 % der Beschäftigten – etwa 70.000 – in Kurzarbeit. Schwerpunkt der Überbrückungsmaßnahme sind bisher vor allem die Zulieferbetriebe der Automobilindustrie.

„Deutschland braucht einen neuen Aufbruch“

Ausdrücklich würdigt der VCI-Präsident das schnelle und konsequente Handeln der Bundesregierung in der Corona-Krise, das für Unternehmen und Beschäftigte bei den wirtschaftlichen Auswirkungen das Schlimmste verhindert habe. Nun gelte es, den Blick nach vorn zu richten: „Die Nothilfen waren richtig und unverzichtbar, sie werden aber nicht die Zukunft Deutschlands sichern“, sagt Kullmann. Nach einer Dekade ohne echte industriepolitische Impulse brauche das Industrieland Deutschland jetzt einen neuen Aufbruch. Auf dem beschwerlichen Weg der Unternehmen zurück zum Vorkrisenniveau träten die Standortdefizite noch deutlicher zutage.

Auf das Konjunkturpaket der Bundesregierung müsse deshalb ein politisches Zukunftsprogramm folgen, das Rückenwind für nachhaltiges Wachstum am Standort schaffe. „Unser Land muss wieder attraktiv werden für industrielle Großprojekte: steuerpolitisch, innovationspolitisch und regulatorisch. Daher gilt es, Wachstumsbremsen lösen, damit sich Investitionen und Innovationen mobilisieren lassen.“ Fünf Maßnahmen müssten dringend zum Kern eines Reformpakets im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung zählen: Unternehmensbesteuerung auf 25 % verringern, Energiekosten speziell für Grünstrom substanziell senken, Moratorium für bürokratische und finanzielle Lasten festlegen, um das Potenzial des Mittelstandes zu entfesseln, Planungs- und Genehmigungsverfahren straffen sowie ein Investitionsprogramm für Klimaschutz und zirkuläre Wirtschaft auflegen.

Um Deutschland wirtschaftlich aus der Krise zu ziehen, braucht es eine starke Industrie. Sie ist der Motor für einen erfolgreichen Wandel der Gesellschaft durch nachhaltige Produkte, innovative Problemlösungen und sichere Arbeitsplätze. „Durch Konsumverzicht allein wird die Welt nicht nachhaltiger“, stellt Kullmann klar. „Wir brauchen vielmehr eine Wirtschaft, die ihre Innovationskraft zum Wohl des Menschen und der Umwelt einsetzt. Wachstum ist eine Voraussetzung dafür. Denn ohne nachhaltiges Wachstum fehlen die Mittel für Forschung, Technologieentwicklung und Investitionen in Lösungen, die weniger natürliche Ressourcen benötigen.“ (jg)

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