Februar 2010

Mit dem Jahrtausendwechsel stieg der Blutdruck der Automatisierer: Auf breiter Front wurden um die Milleniumswende ehemals proprietäre Hard- und Software in der Prozessleittechnik durch Windows-basierte Systeme ersetzt. Und nach und nach mussten Betreiber und Fachabteilungen in Chemie-, Pharmaindustrie und anderen Branchen der Prozesstechnik feststellen, dass ca. alle fünf Jahre neue Rechnerhardware beschafft werden muss. Das wäre nicht tragisch, würde an dieser Stelle nicht die Versionspolitik des Softwaregiganten aus dem amerikanischen Redmont voll zum tragen kommen: Neue Hardware ist für eine neue Betriebssystemversion optimiert. Der Ausweg: die Migration des beispielsweise unter Windows 2000 laufenden Leitsystems auf Windows XP, fünf Jahre später auf Vista und wieder fünf Jahre später auf Windows 7. Der Nutzen? Die eigentlich problemlos laufende Anlage kann weiterlaufen. Ein Job, dessen Kosten nicht nur dem Management von Chemieanlagen nur schwer zu vermitteln sind.

Grund genug für die im Arbeitskreis 2.1 „SPS und PLS“ organisierten Anwender der Namur, einmal genauer hinzuschauen und die „Total Cost of Ownership“ von Prozessleitsystemen unter die Lupe zu nehmen. Um Vergleichbarkeit zu schaffen, definierte der Arbeitskreis als Randbedingungen, dass für den Vergleich der Kostenentwicklung ähnliche Architekturen betrachtet und sowohl Verbesserungen beim Erstellen der Applikationssoftware als auch Leistungsfähigere PNKs berücksichtigt werden sollen. Dagegen blieben bei der Betrachtung neuere Technologien wie Advanced Process Control, Plant Asset Management, Feldbus- und Remote-I/O-Technik außen vor. Als Vergleichsanlage diente ein Konti-Prozess im nichtregulierten Umfeld mit 2250 I/Os, 2 bis n PNKs, vier Bedienplätzen und einer Engineeringsta?tion.

Auf der Hauptsitzung der Anwendervereinigung im vergangenen November hat Wolfgang Albert, Leiter Automation und Prozessmanagement bei Evonik Degussa, die Ergebnisse für den Arbeitskreis vorgestellt. Dabei war den Beteiligten von Anfang an klar: Die PLS-Technologie und auch die Anschaffungskosten haben sich in den vergangenen 15 bis 20 Jahren gravierend geändert.


Investitionskosten sind
um 45 bis 60 % gesunken

In Gesprächen mit verschiedenen PLS-Lieferanten und durch eigene Abschätzungen und unter Berücksichtigung einer jährlichen Inflationsrate von zwei Prozent und einem fiktiven Standard-Rabatt von 20 % kamen die Anwender zu folgenden Ergebnissen:

  • Die Hard- und Softwarekosten sind stark zurückgegangen;
  • Die Kosten für Zukaufteile und Engineering gingen ebenfalls zurück.
  • Die Gesamtkosten sind in den vergangenen 15 bis 20 Jahren um 45 bis 60 % gefallen.

„Diese Schätzung ist bei allen Unsicherheitsfaktoren, die darin enthalten sind, noch eher konservativ, da die von den Lieferanten gewährten Nachlässe im Laufe der Zeit gestiegen sind“, unterstreicht Wolfgang Albert das Ergebnis. Den größten Anteil hat dabei der Technologiesprung beim Übergang zur PC-Technik, aufgrund dessen die Preise insbesondere in den Jahren 1995 bis 2000 stark gesunken waren.

Die Mitglieder des AK 2.1 schätzen, dass ca. alle drei Jahre kleinere Software-Aktualisierungen notwendig sind, größere Software- und Hardware-Upgrades fallen alle sechs Jahre an. Für entsprechende Wartungsverträge mit PLS-Lieferanten müssen nach den Schätzungen der Anwender ca. 2 bis 4 % der Investitionskosten kalkuliert werden, dazu kommen jährlich umgerechnet 2 % für die turnusmäßigen Soft- und Hardware-Upgrades. „Über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren müssen die Investitionskosten also noch einmal für Instandhaltungsaufwendungen ausgegeben werden“, resümiert Albert. Diese Lebenszykluskosten, d.h. die Betreuungsaufwendungen, sind aber in den vergangenen zwei Jahrzehnten in ähnlichem Maße gesunken wie die Investitionskosten.

Weshalb klagen die Prozessautomatisierer dennoch häufig über die aktuelle Systemlandschaft? Die Antwort liegt nach Ansicht der Namur-Experten in einem psychologischen Problem: „Früher wurden defekte Komponenten ausgetauscht, heute werden funktionierende Systeme prophylaktisch ersetzt“, deutet Wolfgang Albert das Phänomen. Um diese Hürde zu nehmen, empfiehlt der Arbeitskreis, Migrationsprojekte mit Projekten zur Produktionsoptimierung, d.h. Prozessführung, zu verbinden. So ließe sich mit einem relativ geringen Mehraufwand Nutzen im klassischen Sinne erzeugen.

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