Wer vor zwei Jahrzehnten das Werksgelände eines Chemieunternehmens betrat, erlebte Chemie mit allen Sinnen: sehen, riechen, fühlen, schmecken. Tropfleckagen an Armaturen, Dampfemissionen an Schlauchkupplungen und Produktpfützen an Verladestellen gehörten zum Alltag. Allesamt Zustände, die längst nicht mehr toleriert werden. Im Gegensatz dazu ist eine moderne Chemieanlage zwar auch heute noch kein Luftkurort, doch ein offensichtlicher Produktaustritt ist inzwischen die seltene Ausnahme im Schadensfall, Beeinträchtigungen für Personal und Umwelt sind weitgehend ausgeschlossen.

Zu verdanken ist diese Situation vor allem modernen Armaturen und Kupplungen. In den vergangenen Jahren hat die CHEMIETECHNIK das Thema in zahlreichen Fachbeiträgen und Specials begleitet. So standen bei unserer letzten groß angelegten Recherche im Jahr 2004 (Trendbericht „Jedem das Seine“, abrufbar unter www.chemietechnik.de) vor allem die Aspekte Sicherheit, Bedienbarkeit und anwendungsspezifische Lösungen im Vordergrund. Häufig fehlte es in der Vergangenheit am Bewusstsein der Prozessbetreiber und Anlagenplaner für die eingesetzten – und im Hinblick auf Emissionen besonders kritischen – Verbindungssysteme zwischen Behältern, Anlagenmodulen und Verladeeinheiten. Die Bemühungen der Sicherheitsverantwortlichen in Industrie und Behörden, der Armaturenhersteller aber auch der Fachpresse haben dazu geführt, dass Fittings und Kupplungen heute einen anderen Stellenwert genießen. „Das Bewusstsein für die Verbindungssysteme ist inzwischen auf breiter Front da“, stellt Frank Engleder, Produktmanager beim Schnellkupplungshersteller Rectus, fest.
Ob eine Verbindung zwischen Anlagenteilen mit einem starren Fitting oder über eine flexible Kupplung realisiert wird, hängt in erster Linie davon ab, wie häufig die Leitung verbunden bzw. getrennt werden muss (siehe Beitrag „Kupplung oder Fitting?“ in dieser Ausgabe). Beiden Verbindungsarten gemeinsam sind die Problemstellungen Sicherheit und Bedienbarkeit. Und hier hat sich auch in jüngster Zeit einiges getan.
Die Bemühungen der Anbieter von Fittings konzentrieren sich insbesondere darauf, die Sicherheit der Montage zu steigern. Aktuelle Entwicklungen sind zum Beispiel prüflehrenfähige Rohrverschraubungen, wie sie im vergangenen Jahr von Swagelok vorgestellt wurden oder die Klemmring-Konstruktion für Hochdruck-Rohrverschraubungen von Serto (siehe Kasten „Download“).
Bei Fittings für die Chemieindustrie stellen Klemm- oder Schneidringverbindungen in Edelstahl den Standard dar. Da diese Systeme metallisch abdichten, müssen für eine sichere Verbindung bei der Montage vergleichsweise hohe Anzugskräfte /-momente aufgebracht werden. Und immer wieder kommt es dabei zu Montagefehlern, insbesondere deshalb, weil die Verschraubungen auch häufig von ungelernten Arbeitskräften montiert werden. Neben ungenügenden Anzugskräften führen auch nicht fluchtend eingesetzte Konus-Elemente zu undichten Verbindungen, die unter Druck- und Vibrationsbeanspruchung versagen. Jüngste Entwicklungen gehen dahin, die Anzugskräfte zu verringern. Schwer Fittings hat dazu vor kurzem eine per O-Ring dichtende Dichtkegel-Verschraubung vorgestellt, Parker Hannifin bietet mit dem O-Lok ebenfalls eine weichdichtende Lösung an.

Schnellverschlusskupplungen: Anforderungen steigen

Auch der Trend zu Mehrproduktanlagen in der Chemie hat Auswirkungen auf die eingesetzten Fittings: „Die Temperaturschwankungen, denen Fittings in solchen Anlagen ausgesetzt sind, werden immer größer“, berichtet John Cox, Business Development Manager Chemie bei Swagelok. Cox: „Das Risiko für Verwechslungen und Leckagen steigt, je mehr verschiedene Fittings von unterschiedlichen Lieferanten eingesetzt werden. Deshalb sollen die Verbindungen heute einen viel breiteren Anwendungsbereich abdecken.“ Mit dem Bewusstsein um die Möglichkeiten und Grenzen der Verbindungstechnik wachsen die Wünsche der Betreiber. „Die Anforderungen an Schnellverschlusskupplungen sind auch in den vergangenen Jahren weiter gestiegen“, beschreibt Jörg Kortmann, Verkaufsleiter beim Hersteller Carl Kurt Walther, die Situation im CT-Interview in dieser Ausgabe. Insbesondere die Pharma- und Lebensmittelindustrie, aber auch die Chemie-Anwender wünschen sich Kupplungen, die einfach zu reinigen sind und sterilisiert werden können (CIP/SIP). Keine einfach zu lösende Aufgabe für die aufwändig konstruierten Kupplungen, die ja außerdem auch noch selbstdichtend, einhändig und mit geringem Kraftaufwand zu betätigen sein sollen. „Wir arbeiten an CIP/SIP-fähigen Kupplungen zu einem vertretbaren Preis“, erklärt Kortmann und auch Dr. Jens Reppenhagen, Geschäftsführer bei RS Roman Seliger, verweist auf eine erste EHEDG-zertifizierte Entwicklung.

Trend zu Multi Purpose Anlagen

Auch der bereits in unserem Beitrag vor drei Jahren beschriebene Trend zu maßgeschneiderten Lösungen hält an. Dieser wird unter anderem getrieben von dem Wunsch, ein und dieselbe Leitung für verschiedene Medien einsetzen zu können, sowie der Notwendigkeit, Verwechslungen zu vermeiden. „Die Arbeitsteilung bei der Planung und Ausführung von Anlagen nimmt weiter zu – und damit die Zahl der Verbindungspunkte“, erklärt Michael Bomsdorf, Key Accounter Chemie bei Stäubli.

Für Kupplungshersteller wie RSRoman Seliger, die ihre Produkte über den technischen Handel absetzen, besteht die Herausforderung deshalb darin, Feedback vom Endanwender zu erhalten. Dr.Jens Reppenhagen erklärt im CT-Interview in dieser Ausgabe: „Wir wünschen uns ausdrücklich, dass die Anwender mit ihren Problemstellungen zu uns kommen.“
Der Anbieter Stäubli setzt aus diesen Gründen grundsätzlich auf den Direktvertrieb. „Für einen Betriebsingenieur sind die eingesetzten Kupplungen doch oft nur ein wenig beachteter Nebenschauplatz“, verdeutlicht Michael Bomsdorf. „Deshalb müssen wir vor Ort sein, um die richtige Lösung für den jeweiligen Anwendungsfall zu finden.“
„Je komplizierter die Medien, desto spezieller die von den Anwendern geforderten Kupplungen“, präzisiert Frank Engleder und verweist beispielsweise auf einen Trend hin zu Hochtemperaturanwendungen, der wiederum angepasste Speziallösungen erfordert. Kein Wunder, dass sich die Kupplungshersteller heute nicht mehr als Komponentenlieferanten, sondern vielmehr als Lösungsanbieter verstanden wissen wollen. Und selbst die Hersteller von Massenprodukten wie Fittings definieren ihr Aufgabengebiet heute viel weiter.
Und obwohl das Preisbewußtsein gerade bei Fittings nach wie vor sehr groß ist, gewinnen weiche Faktoren insbesondere vor dem Hintergrund einer Gesamtkostenbetrachtung an Bedeutung: „Zum Mehrwert gehören auch Aspekte wie Training und Sonderlieferungen in Notfällen. Viele Anwender halten das für selbstverständlich, aber hier gibt es große Unterschiede“, weiß John Cox.

Fittings aus dem Automaten

Doch nicht allein technische Aspekte und der Preis sind bei der Auswahlentscheidung wichtig. Besonders in der derzeit starken Konjunkturphase gibt häufig die Lieferzeit den Ausschlag. Gerade im Geschäft mit Großabnehmern der Chemie kommen Aspekte der Beschaffungslogistik hinzu. Der Fitting-Hersteller Swagelok geht dabei bis hin zur Aufstellung von Verkaufsautomaten, an denen sich Techniker nach Eingabe einer Kennkarte und PIN- bzw. Auftragsnummer selbst bedienen können.

Da bei Fittings die Transaktionskosten für einen Beschaffungsvorgang ein Vielfaches des Warenwertes betragen können, sind kreative Logistikkonzepte gefragt. In einem Projekt bei einem Petrochemiebetrieb im schottischen Grangemouth hat Swagelok gemeinsam mit einem Händler einen E-Shop eingerichtet, bei dem die Mitarbeiter des Betreibers via Firmenkreditkarte einkaufen können. Die vom Prozessbetreiber vorgeschalteten Einkaufskontrollen und geforderten Daten werden dabei genauso berücksichtigt wie Konten und Einkaufslimit sowie der Datenaustausch mit den SAP-Finanzsystemen des Ölkonzerns. „Neben den großen Unternehmen aus der Chemie- und Petroindustrie interessieren sich auch immer mehr mittelständische Unternehmen für das Thema Vendor Managed Inventory“, berichtet John Cox.

Fazit: Die Anforderungen an Verbindungssysteme wie Schnellkupplungen oder Fittings sind in den vergangenen Jahren gestiegen und werden weiter steigen. Längst spielt nicht mehr nur die Technik eine Rolle, sondern kommen Aspekte wie Lösungskompetenz des Anbieters, Montage- und Bedienfreundlichkeit sowie Beschaffungslogistik hinzu.

„Die Arbeitsteilung bei der Planung und Ausführung von Anlagen nimmt weiter zu – und damit die Zahl der Verbindungspunkte“
Michael Bomsdorf ist Key Accounter Chemie bei Stäubli
„Je komplizierter die Medien, desto spezieller die von den Anwendern geforderten Kupplungen“
Frank Engleder ist Produktmanager beim Schnellkupplungshersteller Rectus
„Das Risiko für Verwechslungen steigt, je mehr verschiedene Fittings von unterschiedlichen Lieferanten eingesetzt werden“
John Cox ist Business Development Manager Chemie bei Swagelok

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