Dezember 2012
  • Die Zunahme von Schwingungsproblemen an Rohrleitungen im Anlagenbau tragen dazu bei, dass an bestehenden Rohrleitungssystemen häufig Maßnahmen zur Schwingungsminderung ergriffen werden müssen. Die Verwendung aktiver Tilger ist hierbei ein vielversprechender Ansatz.
  • Die Inbetriebnahme des aktiven Tilgers in der Industrieanlage wird durch eine vielkanalige Betriebsschwingungsmessung der Rohrleitung begleitet. Die Versuchsergebnisse werden mit und ohne aktiven Tilger, unter realen Betriebsbedingungen und bei voller Auslastung der Rohrleitung betrachtet.
  • Eine breitbandige Schwingungsminderung ist zu beobachten, wobei spektrale Amplitudenreduktionen bis zu 60 % erreicht werden.

Schwingungsprobleme an Rohrleitungen im Anlagenbau haben in den vergangenen 30 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Ursächlich für diese Tendenz sind im Wesentlichen die gestiegenen Anforderungen an Ausnutzung der Werkstoffe und Gesamtlebensdauer der Anlagen. Diese Umstände tragen dazu bei, dass an bestehenden Rohrleitungssystemen oftmals nachträglich Maßnahmen zur Schwingungsminderung ergriffen werden müssen. Konventionelle Ansätze zur Schwingungsminderung erzielen häufig nicht den gewünschten Erfolg oder erfordern einen starken Eingriff in das Rohrleitungssystem und sind mit einem hohen baulichen und finanziellen Aufwand verbunden. Als wirksame Alternative zu konventionellen Maßnahmen der Schwingungsminderung bietet sich die Anwendung aktiver Tilger an.
Ein aktiver Tilger besteht aus einer Reaktionsmasse, die über einen Aktor an die Struktur gekoppelt ist. Parallel zur Reaktionsmasse ist eine Feder angeordnet. Es ist mindestens ein Sensor vorhanden, der die Strukturschwingungen bzw. deren Wirkung erfasst. Das Sensorsignal wird in einem Regler verarbeitet, der daraus ein Stellsignal generiert und dem Aktor zuführt. Der Aktor bewegt die Reaktionsmasse, und es wird eine Kraft, proportional zur Beschleunigung der Reaktionsmasse, auf die Struktur ausgeübt, welche die vorhandenen Schwingungen reduziert. Aktive Tilger sind in der Lage, Schwingungen breitbandig zu reduzieren. Die Wirksamkeit eines aktiven Tilgers ist unabhängig vom gewählten Massenverhältnis zwischen Tilgermasse und mitschwingender Masse der Struktur; maßgeblich ist hier die darstellbare Aktorkraft.

Entwicklung und Inbetriebnahme anhand realer Daten
Die laufende Strömung in einer Rohrleitung auf dem Gelände eines Betreibers einer Industrieanlage verursachte starke Schwingungsanregungen. Seitens des Anlagenbetreibers bestand großes Interesse, das Schwingungsniveau der Rohrleitung zu reduzieren, um das Schadensrisiko zu mindern und um eine Durchsatzsteigerung zu ermöglichen. Infolgedessen wurden in der Vergangenheit verschiedene Maßnahmen zur Schwingungsminderung ergriffen, z. B. die Installation von Viskodämpfern und das Verstimmen der Rohrleitung durch Anbringen von Zusatzmassen am Rohr – jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Die Entwicklung eines aktiven Tilgers sollte nun dazu beitragen, das Schwingungsniveau signifikant zu reduzieren.
Die Höhe der gesamten Anlage beträgt mehrere Stockwerke. Die Anbindung der Rohrleitung an ein Gerüst erfolgt über Verbindungselemente, die teilweise wie eine starre Kopplung wirken, teilweise Feder- oder Dämpferwirkung ausüben. An dem begehbaren Gerüst sind zu dessen Versteifung mehrere Nachbesserungen vorgenommen worden.
Die Schwingungsanregung erfolgt prozessbedingt im Wesentlichen durch das im ersten Rohrabschnitt aufsteigende Medium, welches am oberen Ende auf eine zweifache 45°-Umlenkung trifft. An dieser Stelle nimmt das Schwingungsniveau seine größten Werte an. Messdaten einer Betriebsschwingungsmessung unter Volllast aus dem Jahre 2006 zeigen, dass die größten Schwingungsamplituden horizontal in Strömungsrichtung der Rohrleitung auftreten. Das Schwingungsniveau in vertikaler Richtung ist vergleichsweise gering. Zudem geht mit wachsendem Abstand zur Umlenkung eine deutliche Abnahme der Schwinggeschwindigkeiten einher. Das Niveau am Rohr ist durchgehend größer als am Gerüst.
Hohe Schwingungsamplituden des Gerüstes am Ort der Umlenkung ließen den Einsatz von Viskodämpfern an dieser Stelle als wenig erfolgversprechend erscheinen, da diese nur bei nennenswerten Relativverschiebungen zwischen Rohr und Gerüst wirksam sind, hier jedoch Rohr und Gerüst annähernd gleichförmig schwingen.

Simulation der Rohrleitung liefert wichtige Hinweise
Für die konstruktive Umsetzung des aktiven Tilgers ist zunächst die Kenntnis der erforderlichen Aktorkräfte und Aktorwege nötig. Hierzu wird ein Gesamtsimulationsmodell, bestehend aus Rohrleitung mit Gerüst, aktivem Tilger und Regelung, erstellt. Damit lassen  sich die Wirkung des aktiven Tilgers simulieren sowie Auslegungsdaten für die Aktorik ermitteln. Betrachtet werden die Amplitudenspektren der Schwinggeschwindigkeiten am Ort des aktiven Tilgers und am Punkt des größten Schwingungsniveaus. Der aktive Tilger hat eine breitbandige Wirkung, ohne das Erfordernis einer hohen Tilgermasse. Hierdurch bleibt die statische Zusatzlast, die durch die Schwingungsminderungsmaßnahme auf die Rohrleitung einwirkt, gering.
Die Inbetriebnahme des aktiven Tilgers in der Industrieanlage erfolgt bei voller Auslastung der Rohrleitung. Die Messung der Betriebsschwingungen erfolgt an insgesamt 25 Messpunkten mit jeweils triaxialer Beschleunigungsmessung. Zur Aufnahme des Ist-Zustandes werden zunächst Betriebsschwingungen ohne aktiven Tilger gemessen. Im Anschluss daran erfolgt die Montage des aktiven Tilgers an der Rohrleitung.
Bei der Auswertung der Messergebnisse im Frequenzbereich werden die Amplitudenspektren der Schwinggeschwindigkeiten in x- und y-Richtung in der Mitte der Umlenkung mit und ohne aktiven Tilger betrachtet. Die Amplitudenreduktion im Bereich der Resonanzüberhöhungen ist deutlich erkennbar. Die stärkste Reduktion stellt sich dabei in x-Richtung im Bereich um 9,2 Hz ein. Hier ist eine Amplitudenreduktion von ca. 60 % zu beobachten. Die Schwingungsminderung erfolgt im gesamten betrachteten Frequenzbereich. Weitere Bereiche ausgeprägter Amplitudenreduktionen sind bei 19,4 Hz und 26,0 Hz auszumachen. Gleichwohl werden die deutliche Überhöhung der Auslenkungen im oberen Bereich der Rohrleitung wie auch die Wirksamkeit des aktiven Tilgers erkennbar. Die Wirksamkeit des aktiven Tilgers konnte unter realen Betriebsbedingungen an der Rohrleitung einer Industrieanlage nachgewiesen werden. Seit Ende 2009 ist der aktive Tilger erfolgreich zur permanenten Schwingungsminderung installiert. Die numerischen Untersuchungen zeigen, dass eine vergleichbare Schwingungsminderung mit passiven Tilgern nur bei deutlich größeren Reaktionsmassen erzielt werden kann, zudem ist die Wirkung im Wesentlichen auf den Bereich der Abstimmungsfrequenz beschränkt. Die Montage erfolgte im Bereich des größten Schwingungsniveaus. Hier zeigte sich der Vorteil des aktiven Tilgers gegenüber Viskodämpfern, da kein festes Widerlager erforderlich ist.
Aus den gesammelten Erfahrungen im industriellen Einsatz wurde der aktive Tilger zum Produkt ADD.Pipe weiterentwickelt,  ADD steht für Active Damping Device. Das Gerät ist modular aufgebaut und bietet dadurch ein hohes Maß an Flexibilität. Ein einzelnes Modul besteht aus Sensor, Aktor, Reaktionsmasse sowie einer Linearführung der Reaktionsmasse. Durch ein individuelles mechanisches Interface lässt es sich an nahezu jeder beliebigen Rohrleitung applizieren.

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