Führungskräfte in der Corona-Klemme

(Bild: Jürgen Fälchle – Stock.adobe.com)

Spricht man aktuell mit Führungskräften auf der operativen Ebene, dann genügt oft ein kleiner Anstoß und schon bricht sich ihr über Monate angestauter Frust ungefiltert seine Bahn. Seine Ursache hat dieser Frust meist primär in der „Sandwichposition“, in der sich besagte Führungskräfte befinden. Sie müssen als nachgeordnete Führungskräfte auf der Shopfloor-Ebene alle Beschlüsse der Unternehmensleitung und ihrer unmittelbaren Vorgesetzten nicht nur an ihre Mitarbeiter weitergeben, sondern auch aktiv vertreten. Das gebietet ihnen ihre Loyalitätspflicht. Zugleich wissen sie aber oft selbst nicht, warum diese getroffen wurden und bezweifeln nicht selten selbst deren Richtigkeit.

„Sandwich-Manager“ stehen an der emotionalen Front

Entsprechend hilflos sind sie, wenn ihre Mitarbeiter sie mit ihren Warum-weshalb-wieso-Fragen bestürmen. Dann können sie oft nur antworten „Wir müssen zurzeit corona-bedingt sparen“ oder „… andere Prioritäten setzen“. Mit einer solchen Antwort sind die Mitarbeiter meist unzufrieden – speziell dann, wenn ihre Fragen mit existenziellen Sorgen verknüpft sind: Wie lange muss ich noch kurzarbeiten und beziehe deshalb ein geringeres Gehalt? Wird mittelfristig unser Bereich dichtgemacht und muss ich mit einer Kündigung rechnen?

Wenn solche Fragen aufkommen, müssen die „Sandwich-Manager“ oft Zuversicht ausstrahlen und von der Krise als Chance schwadronieren, obwohl sie selbst dieselben oder ähnliche Fragen plagen. Nicht wenige fühlen sich dann als Heuchler oder gar Verräter an ihren Mitarbeiter-Kollegen, speziell wenn sie ahnen: Auf unserer Vorstands- oder Geschäftsführerebene werden schon viel weitreichendere Kursänderungen diskutiert als bisher verkündet wie der Rückzug aus Geschäftsfeldern, die Schließung von Niederlassungen oder die Fusion mit einem Mitbewerber.
Und wenn die weitreichenden Entscheidungen stehen, sagen die Top-Entscheider in den Unternehmen nicht selten zu den ihnen nachgeordneten Führungskräften: „Kümmert ihr euch darum, dass….“ Und diese beauftragen hiermit wiederum die ihnen nachgeordneten Führungskräfte. Und so weiter. Und die Führungskräfte am unteren Ende der Hierarchieleiter? Die beißen sprichwörtlich die Hunde.

Ein Bröckeln der Identifikation vermeiden

Viele Unternehmen kämpfen so zurzeit auch damit, dass die Identifikation der Mitarbeiter mit ihnen umso mehr bröckelt, je länger die Corona-Pandemie andauert. Das gilt in erster Linie für die Kurzarbeiter, die zum Teil seit Monaten zuhause sitzen und von ihrem Arbeitgeber nichts mehr gehört haben. Das betrifft zudem in verstärktem Maße die Mitarbeiter im Homeoffice. Denn sie geraten im Führungsalltag schnell in Vergessenheit, weil sie nicht präsent sind. Und weil zudem das sonst übliche „Gespräch en passant“, sei es im Flur oder in der Kantine, entfällt, findet bei ihnen zwar oft noch eine regelmäßige allgemeine Information, doch letztlich keine Führung mehr statt. Auch dies lässt mit der Zeit die Identifikation mit der Arbeit und dem Arbeitgeber sinken.

Solche schleichenden Prozesse haben oft fatale Folgen, denn: Wenn Unternehmen kurz-, mittel- oder langfristig einen Kurswechsel vollziehen oder gar Sanierungsprozesse durchlaufen müssen, sind sie auf die aktive Unterstützung zumindest durch ihre Kernmannschaft angewiesen, denn: Alleine schafft das Management den Turnaround nicht.

Zeit und Energie in Mitarbeiterführung investieren

Generell gilt: Führungskräfte sind nur solange Führungs-Kräfte, wie ihnen Mitarbeiter folgen. Folgen ihnen keine Mitarbeiter mehr, sind sie schlicht wirkungslos und somit verzichtbar. Deshalb sollten alle Führungskräfte top-down in Krisen- und Marktumbruchzeiten wie den aktuellen mehr Zeit in das Führen ihrer Mitarbeiter investieren, selbst wenn sie das Gefühl haben: Ich habe Wichtigeres und Dringlicheres zu tun. Dann sollten sie eventuell ihre Prioritätensetzung überdenken.

Führung bedeutet dabei nicht nur, den Mitarbeitern eine Perspektive zu vermitteln. Wichtig ist es auch, ihnen darzulegen, warum man in der aktuellen Situation als Führungskraft zum Teil selbst nervöser, gereizter, scheinbar aktionistischer usw. als gewohnt reagiert, denn: Aus dem Verstehen erwächst Verständnis und hieraus wiederum Vertrauen. Ebenso gilt es nicht nur sich selbst, sondern auch den Mitarbeitern immer wieder bewusst zu machen, in welchen Dilemmata die Unternehmensführung steckt – und so ihren Horizont zu weiten.

Vertrauen schaffen durch symbolische Handlungen

Dieser Versuch, Verständnis zu bewirken, gelingt aber nur, wenn das Top-Management zumindest durch symbolische Handlungen den Mitarbeitern signalisiert „Ihr seid uns wichtig“. Solche Handlungen – das kann zum Beispiel ein wöchentlicher Video-Call mit allen Mitarbeitern sein – sind wichtig, weil sich im Zuge der Corona-Pandemie viele Konfliktlinien ergeben: Warum dürfen manche Mitarbeitergruppen schon wieder normal arbeiten, während andere noch mit den entsprechenden Gehaltseinbußen in Kurzarbeit sind? Oder: Warum müssen zum Beispiel die Produktionsmitarbeiter täglich zur Schicht erscheinen, während ihre Vorgesetzten aus Infektionsschutzgründen im Homeoffice arbeiten? Solche Dinge gilt es, den Mitarbeitern zu erklären.

Eine weitere Konfliktlinie wird in naher Zukunft noch entstehen, wenn sich ein Unternehmen, in dem viele Büromitarbeiter dauerhaft weitgehend im Homeoffice arbeiten, fragt: Braucht jeder Mitarbeiter noch einen eigenen Arbeitsplatz im Betrieb? Rational betrachtet gewiss nicht! Doch spätestens wenn der eventuelle Verzicht auf solche „Besitztümer“ in den Unternehmen zur Debatte steht, gewinnt das Thema „New Work“ eine ganz neue Dynamik. Dann tun sich neue Konflikte und solche Fragen auf: Wie wirkt es sich auf die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen aus, wenn sie dort keinen persönlichen Platz mehr haben? Und: Schwächt es das Wir-Gefühl in der Organisation, wenn das Führen auf Distanz vom Ausnahme- zum Regelzustand wird?

Mit solchen Fragen und den hieraus entstehenden Konflikten müssen sich die Führungskräfte top-down künftig vermehrt herumschlagen, weil Corona die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Deshalb sollten die Unternehmen erwägen, ihnen bei Bedarf einen Coach zur Seite zu stellen, der mit ihnen Strategien für ihr Reagieren auf neue Herausforderungen im Bereich Mitarbeiterführung und -kommunikation entwirft und ihr Verhalten reflektiert. Zudem sollten sie mehr Foren schaffen, auf denen sich ihre Führungskräfte über die Ist-Situation im Führungsbereich austauschen können. Dies ist auch nötig, um dafür zu sorgen, dass die Führungskräfte sich bei der Mitarbeiterführung von weitgehend denselben Zielsetzungen und (Verhaltens-)Maximen leiten lassen. Denn sonst praktiziert in dem Unternehmen irgendwann jede Führungskraft ihren eigenen Führungsstil und eine gemeinsame Führungskultur ist nicht mehr erkennbar.

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