August 2013
  • Bei gravierenden Chemieunfällen und insbesondere dann, wenn Personen Schaden nehmen, werden Ermittlungsbeamte der Polizei und Staatsanwaltschaft tätig.
  • Wird dann ein „Organisationsverschulden" festgestellt, ist das (persönliche) Haftungspotenzial für Führungskräfte groß.
  • Eine gerichtsfeste Organisation kann helfen, betriebliche und organisatorische Risiken zu minimieren und beherrschbar zu machen.
Bei Chemieunfällen kommt erst die Feuerwehr und später der Staatsanwalt. Wird dann ein „Organisationsverschulden“ festgestellt, ist das (persönliche) Haftungspotenzial für Führungskräfte groß. Bild: ©benjaminnolte - Fotolia.com

Bei Chemieunfällen kommt erst die Feuerwehr und später der Staatsanwalt. Wird dann ein „Organisationsverschulden“ festgestellt, ist das (persönliche) Haftungspotenzial für Führungskräfte groß. Bild: ©benjaminnolte - Fotolia.com

Zwei Szenarien für Chemieunfälle sollen dies verdeutlichen:
Szenario 1: Aus einer Produktionsanlage im Chemiepark entweicht eine Gaswolke. Sie enthält in hoher Konzentration eine giftige, als krebserzeugend eingestufte Substanz. Die Gaswolke geht in einem benachbarten Wohngebiet nieder. Zahlreiche Anwohner werden mit akuten gesundheitlichen Beschwerden in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert. Szenario 2: Beim Abfüllen von Flusssäure in einen Kesselwagen tritt das Produkt aus. Ein Mitarbeiter erleidet lebensbedrohliche Verätzungen der Haut und Atemwege.
In beiden Fällen werden Ermittlungsbeamte der Polizei und Staatsanwaltschaft tätig. Wer ist haftungsrechtlich, insbesondere strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen? Die betriebliche Organisation kommt auf den Prüfstand. In den meisten Unternehmen finden sich Organisationsansätze, die oft aufgrund des angebotenen Produkts oder der zu verkaufenden Dienstleistung vom Kunden gefordert werden und deshalb installiert worden sind. Sie werden zumeist aus Normen wie denen des Qualitätsmanagements heraus aufgebaut und dienen in erster Linie zum Erlangen eines für den Vertrieb wichtigen Zertifikates.
Häufig unbeachtet bleiben dagegen die umfassenden Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unternehmensorganisation nach der Rechtsprechung zum sogenannten Organisationsverschulden. Sie scheinen für den Verkauf und das unternehmerische Tagesgeschäft zunächst unwichtig zu sein. Zum Tragen kommen sie schließlich nur dann, wenn ein Schadensfall eintritt. Dieser aber ist in vielfältiger Form möglich, wie die zwei Beispiele bereits zeigen.
Denkbar sind Arbeitsunfälle und Umweltschäden, aber auch Produkthaftungsfälle und Auflagenverstöße, um nur einen kleinen Ausschnitt zu nennen. Risiko und Haftungspotenzial sind hier also groß – für das Unternehmen und persönlich für die Führungskräfte. Insbesondere angesichts der drohenden persönlichen strafrechtlichen Haftung sollte sich niemand hier allzu lässig zurücklehnen. Vorsorge tut Not! Es gilt, Rechts- und Handlungssicherheit zu schaffen. Eine „gerichtsfeste“ Organisation kann helfen: Betriebliche wie organisatorische Risiken werden minimiert und beherrschbar.

„Gerichtsfeste“ Organisation schafft
Transparenz

Unter einer „gerichtsfesten“ Organisation ist die Beachtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Organisationsverschulden, abgeleitet aus den §§ 823, 831, 31 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), zu verstehen. Zusammenfassend fordert diese Rechtsprechung eine transparente und dokumentierte, anweisende und nachweisende Betriebsorganisation. Hierzu notwendig sind eindeutige Festlegungen zur Aufbauorganisation mit der Delegation von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung auf Linie, Beauftragte und Sonderfunktionen sowie die daraus schlüssig nachfolgenden Anweisungen zur Prozess- bzw. Ablauforganisation mit den festgelegten Auswahl-, Anweisungs- und Überwachungspflichten.
Die Organisationsregelungen sind als Anweisungssystem aufzubauen. Die anweisenden Festlegungen zur Nachweiserstellung entspringen dabei dem Anweisungssystem selbst. Es entsteht Rechtssicherheit im Sinne einer „gerichtsfesten“ Organisation.

Haftung für Organisationsverschulden
Diese vom Reichsgericht entwickelte Rechtsprechung zum Organisationsverschulden setzt der Bundesgerichtshof im Wesentlichen bis heute fort. Sie wird zivilrechtlich ebenso angewandt wie in der strafrechtlichen Rechtsprechung. Dabei sind die Haftungsfolgen unterschiedlich: Im Zivilrecht geht es in der Regel um die Bewertung von Haftungstatbeständen in Schadensersatzfragen. Hier haftet das Unternehmen als juristische Person.
Strafrechtlich haften dagegen die „Menschen“ – Führungskräfte als natürliche Personen – selbst. Es drohen Bußgelder, Strafgelder und Freiheitsstrafe. Eine Versicherung ist mit Ausnahme der Strafrechtsschutzversicherung, die im Wesentlichen Verteidigerkosten decken soll, hier nicht möglich.

Beweislastumkehr: Führungskraft in der Pflicht
Bei einem Schadensereignis, beispielsweise einem Arbeitsunfall oder einer betrieblichen Störung mit Außenwirkung, muss die betroffene verantwortliche Führungskraft die Einhaltung dieser Organisationsgrundsätze für sich und für das Unternehmen im Rahmen der betrieblichen Leitungsspanne nachweisen: Beispielsweise können dann Beweise zu den Fragen der ordnungsgemäßen Qualifikation der ausführenden Mitarbeiter, der Ein- und Unterweisung etc. sowie der Regel- und Stichprobenüberwachung durch die verantwortlichen Führungskräfte wichtig werden. Derartige Parameter fragen dann ermittelnde Staatsanwaltschaft und später das Gericht ab – gut, wenn man dann etwas in der Hand hat.
Denn hier ist die Beweislast umgekehrt: Die Führungskräfte im Unternehmen müssen nachweisen, alles Mögliche und Zumutbare zur Verhinderung des Schadenseintritts getan zu haben. Gelingt dieser Beweis nicht, wird ein haftungsrelevantes Verschulden unterstellt.
Im Rahmen der Beweiserbringung gelten die prozessualen Beweismittel: Sachverständige, Augenscheinnahme, Parteivernehmung, Urkunden und Zeugen können als Beweismittel dienen. Nach wie vor als äußerst problematisch müssen EDV-Dokumente oder datenbankorientierte Organisationsansätze angesehen werden. Sie unterliegen vollumfänglich der freien richterlichen Beweiswürdigung und können allenfalls Indiz-Charakter haben. Trotz großer technischer Fortschritte, die in Sachen elektronischer Dokumente zu den Fragen der Authentizität gemacht worden sind, erreicht dieser Fortschritt die Gerichte nur langsam. Vollbeweis im Sinne der prozessualen Beweismittel ist nach wie vor die Originalurkunde, nicht der Ausdruck.

Rechtssicherheit durch
„gerichtsfeste“ Organisation

Zu bedenken ist, dass die oben beschriebenen zivilrechtlichen Schäden durch Haftpflichtversicherungen abgedeckt werden können und dies regelmäßig auch sind. Bei strafrechtlicher, stets persönlicher Betroffenheit der verantwortlichen Führungskräfte ist das nicht möglich. Ziel muss es also sein, einen persönlichen Schuldvorwurf zu entkräften. Nur so kann Schutz vor persönlicher strafrechtlicher Haftung mit Geld- und Freiheitsstrafen erzielt werden. Es gilt, Rechtssicherheit durch die „gerichtsfeste“ Organisation zu erzeugen. Erst wenn die verantwortliche Führungskraft den Nachweis erbringen kann, dass sie in ihrem betrieblichen Verantwortungsbereich alles Mögliche und Zumutbare zur Verhinderung oder Erschwerung des Eintrittes eines Schadensereignisses getan hat, ist eine Befreiung vom insbesondere strafrechtlich relevanten Schuldvorwurf möglich.
Ein Ziel der Einführung einer „gerichtsfesten“ Organisation ist damit stets Schutz der Führungskräfte – vom Organ des Unternehmens bis zum Vorarbeiter. Diese Vereinbarung fester Regeln und die Sicherstellung deren Einhaltung im Betriebsgeschehen erhöht gleichzeitig die Betriebssicherheit (safety). Damit entfaltet das Hauptziel dieses höchsten in Deutschland anwendbaren Organisationsmaßstabes seine Wirkung: Rechtssichere, rechtskonforme oder „gerichtsfeste“ Organisation ist Schutz für das Unternehmen und für alle Mitarbeiter.
Rechtssicherheit entsteht durch die Einführung eines dokumentierten Systems der „gerichtsfesten“ Organisation. Dokumentation meint dabei nicht den Rückgriff auf Datenbanken, sondern die individuelle Gestaltung und Einführung eines anwender- und prozessorientierten Managementsystems. Der Mitarbeiter hat zum einen den Anspruch, die ihm übertragenen Aufgaben sicher abarbeiten zu können. Dazu sind ihm empfängergerecht, also sozusagen in seiner Mundart, die wesentlichen Anweisungen zu machen.
Zum anderen interessieren ihn Managementsystem-Aspekte wie Qualität, Umweltschutz etc. nur am Rande. Sein Hauptziel ist und bleibt die „gute Arbeit“, also schlicht und einfach seinen Job zu machen. Die für ihn bestimmten Anweisungen haben also – orientiert an seiner Arbeitswelt – seinen Ablaufprozessen zu erfolgen: anwender- und prozessorientiertes Management nach den Anforderungen der Rechtsprechung zum Organisationsverschulden. Der Mitarbeiter arbeitet seinen Prozess ab und erfüllt praktisch „nebenbei“ bedarfsgerecht auch Managementaspekte zu Qualität, Umwelt etc. So ist auch die Einbindung der „gerichtsfesten“ Organisation in ein Integriertes Managementsystem gut möglich.
Fazit: Es gilt also, eine transparente Management-Landschaft beispielsweise als Integriertes Managementsystem nach den Anforderungen der sogenannten „gerichtsfesten“ Organisation aufzubauen: Transparente Delegation von Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung an die sorgfältig ausgewählten, angewiesen und in Ausführung ihrer Tätigkeit regelmäßig und unauffällig stichprobenartig überwachten Mitarbeiter.
In keinem Fall kann aber die „gerichtsfeste“ Organisation gänzlich davor schützen, dass es zu keinem Schadensereignis kommt. Das ist nur durch den sichersten Betrieb überhaupt möglich: Der Betriebseinstellung! Ein „Restrisiko“ oder auch allgemeines Lebens- und Betriebsrisiko bleibt stets bestehen. Hier bewegen wir uns aber im gesellschaftlich tolerierten Bereich, dem erlaubten Risiko. Dieses gilt es zu beherrschen.
Die „gerichtsfeste“ Organisation kann Eintrittsrisiken minimieren und Haftungsrisiken bei konsequenter Umsetzung ausschließen. Es entstehen Rechtssicherheit und dadurch Handlungssicherheit bei Erhöhung der Betriebssicherheit. Das ist das Ziel. Nicht weniger!

Ermittlungsbeamte an der Tür – was tun?
Grundsätzlich (immer):

  • Ruhe bewahren!
  • Nach dem Grund des Besuches fragen
  • Ausweise verlangen und kopieren, hilfsweise Identitäten und Dienstbezeichnung notieren
  • Rechtsbeistand informieren und Ermittlungsbeamte bitten, dessen Eintreffen abzuwarten; ggf. in einen Warteraum führen
  • Protokoll erbitten, sonst selbst Vermerk über das Geschehen anfertigen und Unterschrift der Beamten erbitten
  • Ermittlungsbeamte stets begleiten, nicht alleine lassen
  • Weiteres Vorgehen erfragen

Bei Durchsuchungen und Sicherstellung von Unterlagen/
Dingen:

  • Beschluss verlangen und kopieren
  • Bei Sicherstellung von Unterlagen/Dingen: Aushändigung eines Beschlusses zur Beschlagnahme verlangen; soweit kein formeller Beschluss (Papier) ausgehändigt wird, der Beschlagnahme widersprechen
  • Verlangte Unterlagen/Dinge herausgeben, um „Arbeitskopien“ bitten, hilfsweise Notizen machen
  • Auflistung aller beschlagnahmten Gegenstände fordern
  • Protokoll aushändigen lassen

Bei Personenvernehmungen:

  • Angaben zur Person machen – es sind Pflichtangaben
  • Rechtsbeistand verlangen
  • Keine Angaben zur Sache machen: „Ich bin aufgrund der Situation durcheinander. Ich möchte zur Sache jetzt nicht aussagen. Ich kann nicht ausschließen, mich selbst zu belasten.“ Auf Vorgesetzten und/oder Rechtsbeistand verweisen

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