Dame im weißen Arbeitskittel beim Test der Elektrodialyse-Kreisläufe im Pilotwerk Hanau

Ein Test der Elektrodialyse-Kreisläufe im Pilotwerk Hanau. (Bild: Evonik)

  • Mittels Elektrodialyse lassen sich viele in der Industrie anfallende Salze in Rohstoffe umwandeln.
  • Technikumsversuche für einige Verfahren sind vielversprechend.
  • Der großtechnische Einsatz könnte den Weg zu neuen Stoffkreisläufen ebnen.

Wissenschaftler bei Evonik versprechen sich einen besseren Zugang zu wichtigen Rohstoffen auf Kreislaufbasis sowie einfachere und effizientere Prozesse, die weniger Ressourcen benötigen. Der Konzern baut seine Elektrochemie-Aktivitäten derzeit weiter aus und will in den kommenden fünf Jahren einen niedrigen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag für seine Plattform Elektrochemische Prozesse & Produkte aufwenden. Rund 20 Mitarbeiter forschen in Hanau und Shanghai, China, auf diesem Arbeitsgebiet. Patrik Stenner, Evonik-Experte für elektrochemische Prozesse und Produkte, sieht großes Potenzial: „Schätzungsweise rund 20 Prozent unserer Verfahren könnten wir allein mithilfe der Elektrodialyse effizienter und umweltfreundlicher machen.“ Damit verbunden sind weniger Energieverbrauch, geringerer Rohstoffeinsatz, weniger CO2- Emissionen sowie geringere Umweltbelastung, etwa durch Salzfrachten. Zugleich sieht Stenner den wirtschaftlichen Nutzen: „Abhängig vom Rohstoff- und Strompreis rechnet sich die Rückgewinnung der Rohstoffe aus den Salzfrachten.“

Salze entstehen beispielsweise durch die Zugabe von Laugen oder Säuren zur pH-Wert-Einstellung, einem wichtigen Prozessschritt in vielen chemischen Verfahren. Aus den entstehenden Salzen wie Natriumsulfat lassen sich nun mithilfe der Elektrodialyse die Rohstoffe wie Natronlauge und Schwefelsäure zurückgewinnen, auch aus stark verdünnten Lösungen. Erste Abschätzungen mithilfe von Life-Cycle-Analysen zeigen, dass der CO2-Fußabdruck der so zurückgewonnenen Natronlauge etwa zwei Drittel niedriger ist als der von konventionell hergestellter Natronlauge. Dieser Wert verbessert sich nochmals deutlich beim Einsatz von Grünstrom in der Elektrodialyse.


pH einstellen ohne Säure und Lauge

Doch die Ingenieure gehen noch einen Schritt weiter: Um den pH-Wert einzustellen, wollen sie künftig gar keine Laugen oder Säuren mehr verwenden, sondern ihn allein mittels Elektrodialyse direkt einstellen. Die Elektrodialyse wird bereits seit etwa 20 Jahren in der Lebensmittelindustrie genutzt, um den Säuregehalt von Saft oder Wein einzustellen. Ihr Prinzip ist seit langem bekannt. In einer Elektrolysezelle bringt ein elektrisches Feld die in Wasser gelösten Salzionen zum Wandern. Bei Natriumsulfat wandert zum Beispiel das positiv geladene Natrium-Kation zur negativ geladenen Kathode. Das negativ geladene Sulfat-Anion zieht es zur positiv geladenen Anode. Dank hintereinander geschalteter, sogenannter bipolarer Ionentaustauscher-Membranen gelingt es, Kationen und Anionen zu trennen und aufzukonzentrieren. Zugleich spaltet sich das Wasser mithilfe des elektrischen Feldes in Protonen (H+) und Hydroxid-Ionen (OH-), die sich mit der bipolaren Ionenaustauscher-Membran trennen lassen. So entstehen aus Natriumsulfat und Wasser Natronlauge und Schwefelsäure.

Evonik testet die Möglichkeiten der Elektrodialyse im Pilotwerk Hanau und arbeitet an der Skalierung zum großtechnischen Prozess.
Evonik testet die Möglichkeiten der Elektrodialyse im Pilotwerk Hanau und arbeitet an der Skalierung zum großtechnischen Prozess. (Bild: Evonik)

Standardprozess noch weit entfernt

„Die Herausforderung für uns ist die großtechnische Realisierung der Elektrodialyse“, erläutert Stenner, der als Gruppenleiter in der Verfahrenstechnik fungiert. Stenner sagt: „Von einem Standardprozess sind wir in der Chemieindustrie noch weit entfernt. Noch gibt es keine Anlagen von der Stange.“ Die Technologie müsse an die jeweilige Anwendung und den zu trennenden Stoff angepasst werden. Als weitere Herausforderung bezeichnet der Verfahrensingenieur die Membran selbst und deren Lebensdauer. In der Verfahrenstechnik entwickeln die Experten des Chemiekonzerns großtechnische Realisierungen und treiben Lösungen für konkrete Produktionen voran. Ein Beispiel: Bei der Herstellung von Isophorondiamin, das in Windrädern verwendet wird, fällt in einem Prozessschritt Ammoniumsulfat an. Mittels Elektrodialyse könnten daraus Ammoniak und Schwefelsäure künftig zurückgewonnen werden. Die ersten Versuche im Technikum sind vielversprechend. Ein weiteres Beispiel ist die Herstellung gefällter Kieselsäuren, wie sie etwa in energiesparenden Reifen verwendet werden. Ein Teil der Säuren sowie natriumhaltigen Laugen und Salze, die im Prozess eine Rolle spielen, können mithilfe der Elektrodialyse im Kreis geführt werden.

Die Entwickler prüfen, ob die Technologie bereits im nächsten Jahr in einer Demonstrationsanlage zum Einsatz kommen kann. So ließen sich die nötigen Daten generieren, um den Prozess in den Produktionsmaßstab zu skalieren. Ziel ist, Rohstoffe mit großem CO2-Fußabdruck mehrfach zu nutzen. Dies würde Kunden der Reifenindustrie bei der Verwirklichung ihrer Nachhaltigkeitsziele unterstützen.

Seine Expertise für elektrochemische Prozesse hat Evonik konzernweit gebündelt und forscht neben der Elektrodialyse zum Beispiel daran, Carbonsäuren aus Biomaterialien herzustellen. Die Wissenschaftler entwickeln außerdem Materialien, um elektrochemische Methoden wie die Elektrolyse von Wasser zu grünem Wasserstoff effizienter zu machen. Stenner sagt: „Die Plattform für elektrochemische Prozesse & Produkte bündelt eine wesentliche Technologie, die die Transformation der chemischen Industrie zur Klimaneutralität und mehr Nachhaltigkeit treibt.“

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