Bei der INVITE GmbH handelt es sich um ein Private-Public-Partnership zwischen der Bayer AG, der Technischen Universität Dortmund und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Als Bindeglied zwischen Life-Science-Industrie und Forschung bietet INVITE eine Plattform für innovative Projekte im Bereich digitale Prozess- und Laborautomatisierung sowie Formulierungsentwicklung. Das Digital Showcase Center stellt dabei als Teil von INVITE neue technologische Ansätze vor. Unter anderem finden sich dort Demonstrationsanlagen zu den NAMUR-Themen MTP (Modular Type Package) und NOA (NAMUR Open Architecture). Im Demonstrator, der für die Erprobung der NAMUR Open Architecture gebaut wurde, können die verschiedenen Anwendungsfälle und Umgebungen von NOA nachgestellt werden. Gemeinsam mit der Bayer AG und der Lanxess AG ist insbesondere das Online Condition Monitoring für PAT-Messgeräte als Anwendungsfall identifiziert worden, der besonderen Nutzen aus dem NOA-Konzept ziehen kann (Bild 1).
Sichere Entnahme von Anlagendaten
Bei der NAMUR Open Architecture geht es im Kern darum, mehr Vorteile aus vorhandenen Anlagendaten zu generieren. Leider stellt sich die Situation bei älteren Bestandsanlagen oft so dar, dass entsprechende Daten nur schwer zugänglich sind. Es fehlt eine sichere Schnittstelle in die Anlage, um deren Daten nutzbar zu machen. Das NOA-Konzept erlaubt es nun, diese Daten auf einem standardisierten und sicheren Weg aus der Bestandsanlage zu führen, die in der Regel nicht über moderne Schnittstellen verfügt. Zu diesem Zweck wird die klassische Automatisierungspyramide um einen Seitenkanal erweitert, über den eine zugriffssichere Kommunikation erfolgt (Bild 2).
In diesem Zusammenhang wurde auch der Begriff der Datendiode geprägt. Sie soll verdeutlichen, dass sich Informationen entnehmen lassen, ohne dass jemand in die Anlage eindringen kann. Sämtliche Details zur NAMUR Open Architecture sind in der NAMUR-Empfehlung (NE) 175 aufgeführt.
Bessere Orientierung durch ein Informationsmodell
Als ein wichtiger Baustein zur Umsetzung des NOA-Konzepts zeigt sich eine flexible und sichere Datenschnittstelle. Der Datenaustausch-Standard OPC UA umfasst alle Eigenschaften, die hierfür benötigt werden. Die Abkürzung OPC UA steht für Open Platform Communications Unified Architecture und weist schon im Namen darauf hin, wofür der Standard geschaffen wurde: Plattformen über eine vereinheitlichte Architektur zu verbinden. Diese Art der Verbindung wird häufig ebenfalls als IT-/OT-Integration bezeichnet. Feldebene (Operational Technology, OT) und Office-Bereich (Informational Technology, IT) werden also miteinander gekoppelt. Die OPC UA-Schnittstelle lässt sich ebenso in einen kleinen Feld-Controller implementieren wie in ein komplexes Enterprise Tool. Da auch OPC UA zahlreiche moderne Sicherheits-Features aufweisen kann, bietet sich der Standard besonders für das NOA-Konzept an.
Eine weitere Eigenschaft von OPC UA kommt der Anwendung ebenfalls entgegen: das sogenannte Informationsmodell. Mit einem solchen Modell lässt sich die Schnittstelle hinsichtlich der Struktur und des Namensraums der Daten anpassen. Nutznießer ist der Anwender, im Fall des oben genannten Demonstrators folglich die Person, die Daten der Anlage analysieren möchte, um die Applikation optimieren oder gezielt warten zu können. Diese Person kann sich mithilfe des Informationsmodells besser in den Daten orientieren, weil deren Struktur und Namen vereinheitlicht sind. Das stellt eine erhebliche Verbesserung dar, denn die Namen der Informationen waren zuvor nicht durchgängig, da sie zum Beispiel vom Sensorhersteller individuell vergeben wurden. Das Informationsmodell für NOA wird NOA IM abgekürzt und geht aus dem Vorläufer PA DIM (Process Automation Device Information Model) hervor, der von der OPC Foundation in Zusammenarbeit mit der Field Comm Group herausgegeben worden ist. In PA DIM wird die Basisinformation für jeden Standard-Prozesssensor – etwa Temperatur-, Druck- oder Durchflusssensor - in Form von Namen und Struktur definiert. Die Namur fügt jetzt zusätzliche Informationen hinzu und erweitert das Modell damit zu NOA IM.
Intelligente Software für die Datensammlung
Die NAMUR Open Architecture beinhaltet den NOA IIoT Server als weiteren Baustein. Der Server sammelt die Informationen der im Feld installierten HART-Sensoren, die meist eine Vielzahl informativer, aber ungenutzter Daten umfassen. Dabei handelt es sich um eine intelligente Software für die kompakten Feldsteuerungen PLCnext Control von Phoenix Contact. Der NOA IIoT Server verbindet sich über ein HART-Gateway per Stichleitung mit HART-fähigen Sensoren, identifiziert die einzelnen Geräte und verwendet die spezifische Beschreibungsdatei, die in einem großen Pool bereitgehalten wird. Nun lassen sich sämtliche Informationen des jeweiligen Sensors abrufen und auf dem OPC UA-Server im einheitlichen Format zur Verfügung stellen. Demnächst wird eine Remote-I/O-Station der Produktfamilie Axioline P für prozesstechnische Anlagen in die Lösung integriert, sodass der NOA IIoT Server direkt über den Buskoppler kommunizieren kann (Bild 3).
Ergänzende Definition von Vitalitätsdaten
Die im NOA IM beschriebenen Daten hängen erheblich vom Anwendungsfall ab. Das Informationsmodell PA DIM strebt vor allem eine Identifizierung der Messgeräte an. Es beinhaltet Informationen wie die Modellbezeichnung, Seriennummer oder die Software-Revision. Diese Werte sind unabhängig von der Messaufgabe. Für den Anwendungsfall des Online Condition Monitoring werden allerdings spezifische Werte benötigt, die auf der jeweiligen Messaufgabe beruhen. Aus diesem Grund hat der NAMUR-Arbeitskreis Prozessanalysetechnik sogenannte Vitalitätsdaten für verschiedene PAT-Messaufgaben festgelegt. Die Vitalitätsdaten sollen PA DIM erweitern und es dem Anwender ermöglichen, anhand der übertragenen Informationen eine Inspektion von Prozessanalysegeräten per Fernzugriff durchzuführen. Für eine pH-Messung sind beispielsweise die Glasimpedanz, die Impedanz der Referenzelektrode oder das Datum der letzten Kalibrierung erforderlich.
Um die technische Umsetzung des Anwendungsfalls Online Condition Monitoring mit der NOA-Architektur zu testen, wurde im Technikum von INVITE ein Demonstrator aufgebaut. Dieser bildet mehrere pH-Messungen ab, wobei Geräte unterschiedlicher Hersteller eingesetzt worden sind. Zusätzlich wurde der Demonstrator mit dem NOA IIoT Server von Phoenix Contact ausgestattet (Bild 4).
Zeitgerechtes Vorliegen einer gerätespezifischen Beschreibungsdatei
Die Realisierung des Online Condition Monitoring am Demonstrator hat zwei Herausforderungen aufgedeckt: Zum einen handelt es sich um die Abzweigung des HART-Signals zum NOA IIoT Server. Die Lösung hängt hier stark von der entsprechenden Situation im Brownfield ab. Für viele Anwendungen eignet sich jedoch die Nutzung von HART-transparenten Speisetrennern, die das HART-Eingangssignal transparent auf zwei Ausgangssignale weitergeben.
Die zweite Herausforderung ergibt sich aus der gerätespezifischen Beschreibungsdatei. Zur Erstellung der Beschreibungsdatei sind tiefgehende Kenntnisse hinsichtlich der HART-Kommunikation des jeweiligen Geräts notwendig. Zu diesem Zweck muss der Hersteller des Messgeräts unterstützen. Für den Anwender des NOA IIoT Servers ist es also wichtig, dass die Beschreibungsdatei des verbauten Geräts bereits vorliegt oder vorher erstellt wird.
Automatisierter Export der Datenstruktur
Nach der Installation des NOA IIoT Servers sowie der Generierung der Beschreibungsdateien für den INVITE-Demonstrator hat sich der wesentliche Vorteil eines einheitlichen Informationsmodells bestätigt. Trotz unterschiedlicher Gerätehersteller erweist sich die Datenstruktur an der OPC UA-Schnittstelle des NOA IIoT Servers für alle Geräte als identisch. Diese Struktur lässt sich anschließend automatisiert in Data Historiens oder Cloud Applications exportieren. Der PAT-Experte ist nun in der Lage, sämtliche Vitalitätsdaten der Messgeräte per Fernzugriff abzurufen. Die Werte sind gemäß des NAMUR-Arbeitskreises Prozessanalysetechnik sortiert, priorisiert und liegen mit einheitlicher Syntax und Semantik für alle Geräte vor. Sie können dann durch eine Trendanalyse oder eine andere Instandhaltungs-Software verwendet werden. Darüber hinaus reduzieren sich die Instandhaltungskosten, weil Inspektionen per Fernzugriff anstatt lokal durchgeführt werden können und Wartungspläne ereignisbasiert anstatt zeitbasiert erstellt werden (Bild 5).
„Im nächsten Schritt werden Vitalitätsdaten im Produktionsbetrieb gesammelt. Anhand dieses Pilotprojekts findet damit die Überprüfung statt, ob sich die ausgewählten Vitalitätsdaten im Tagesgeschäft bewähren. Ziel ist die exakte Anpassung des NOA-Informationsmodells auf den jeweiligen Anwendungsfall“, stellt Automation Engineer Alexander Wittenbrink abschließend fest (Bild 6).
Autoren:
Dipl.-Ing. (FH) Thilo Glas, Senior Specialist Engineering, Industry Management Process, Phoenix Contact Electronics GmbH, Bad Pyrmont
Alexander Wittenbrink, M.Sc., Automation Engineer, INVITE GmbH, Köln