Mit WLAN 6, das gemäß IEEE 802.11ax standardisiert ist, kommt aktuell ebenfalls eine neue WLAN-Generation auf den Markt, die für die industrielle Automatisierung zahlreiche interessante Funktionen bietet. Erweist sich WLAN damit als Alternative zu privaten 5G-Netzwerken? Fakt ist, dass 5G das Potenzial hat, um als unternehmensweite drahtlose Kommunikations-Infrastruktur die Fabrik- und Prozessautomatisierung nachhaltig zu prägen. Es gibt bereits erste Testinstallationen und etliche Anlagenbetreiber wollen ihre Fabriken schon 2021 mit 5G ausstatten. Dafür hat Phoenix Contact gemeinsam mit Quectel und Ericsson den ersten industriellen 5G-Router für lokale 5G-Industrienetzwerke entwickelt. Echtzeitfähige industrielle 5G-Netzwerke auf Basis von Release 16 und 17 werden voraussichtlich ab 2022 verfügbar sein, wenn alles wie geplant läuft.
Mit den industriellen Wireless-LAN-Technologien steht eine Funktechnologie zur Verfügung, die bereits seit mehr als 15 Jahren erfolgreich zur drahtlosen Datenübertragung in unterschiedlichen industriellen Branchen und Applikationen eingesetzt wird. WLAN-Netzwerke sind also in vielen Fabriken vorhanden und können einfach aktualisiert und erweitert werden.
WLAN 6 mit neuen Technologien
Für WLAN steht mit der Version 6 seit diesem Jahr ein neuer Standard bereit, der zahlreiche Technologien enthält, die Anwender aus den aktuellen Mobilfunkstandards kennen. Wie bei 5G liegen die Vorteile von WLAN 6 gegenüber den Vorgängerversionen in einem größeren Datendurchsatz, einer niedrigeren Latenzzeit sowie einer höheren Netzkapazität mit der Fähigkeit, deutlich mehr Clients gleichzeitig zu bedienen. Aus industrieller Sicht zeichnet sich WLAN 6 im Wesentlichen durch folgende neue Merkmale aus:
- Parallele Datenübertragung auf Basis von OFDMA
Die bei WLAN derzeit übliche Datenübertragung OFDM (Orthogonal Frequency Division Multiplexing) gestattet die parallele Kommunikation mit lediglich einem Teilnehmer. Durch Verwendung des aus dem Mobilfunkbereich stammenden OFDMA-Verfahrens (Orthogonal Frequency Division Multiple Access) lässt sich der Übertragungskanal nun in Unterkanäle – sogenannte Resource Units (RU) - aufteilen (Bild 2). Ein 20 MHz breiter WLAN-Kanal umfasst bis zu neun Resource Units (RU), die auf verschiedene WLAN-Teilnehmer verteilt werden können. Auf diese Weise ist die gleichzeitige Kommunikation mit bis zu neun WLAN-Teilnehmern umsetzbar. Dies funktioniert sowohl im Up- als auch im Downlink. Bei breiteren WLAN-Kanälen stehen entsprechend mehr Resource Units zur Verfügung, zum Beispiel 37 RU bei 80 MHz. Insbesondere in der industriellen Übertragung, wo vor allem kleine Datenpakete weitergeleitet werden, ermöglicht OFDMA eine erheblich höhere Teilnehmerzahl, kürzere Latenzzeiten sowie eine bessere Effizienz und dadurch ebenfalls eine höhere Netzkapazität (Bild 3).
- Höhere Datenraten und Netzkapazität
Aufgrund unterschiedlicher Optimierungen sollen mit WLAN 6 Bruttodatenraten von bis zu 10 GBit/s erreicht werden können – zumindest theoretisch. Gegenüber WLAN 4 mit einer maximalen Übertragungsrate von 600 MBit/s stellt dies eine deutliche Steigerung dar. Im Vergleich mit 5G liegt WLAN 6 auf einer identischen Höhe. Inwieweit solche Datenraten in der industriellen Praxis relevant sind, sei dahingestellt. Es zeigt sich jedoch, dass der Funkstandard noch erhebliche Reserven für zukünftige Anforderungen aufweist.
- Lange Batterielebensdauer von IoT-Geräten
Speziell mit TWT (Target Wake Time) soll in Zukunft über WLAN energieschonend auch mit Low-Power-IoT-Geräten kommuniziert werden können. Dabei erfolgt der Datenaustausch nur zu geplanten Zeitpunkten. Dazwischen kann der Teilnehmer „schlafen“, um Energie zu sparen. Die Ruheperiode zwischen zwei Datenübertragungen darf viele Stunden betragen. Das senkt den Energiebedarf und reduziert die Auslastung des Kommunikationskanals.
- Störungsfreie Koexistenz bei hoher Client-Dichte
Als eine Herausforderung der WLAN-Übertragung erweist sich, dass lediglich eine begrenzte Anzahl an Kanälen zur Verfügung steht. Bei einer ständig steigenden Systemdichte müssen somit mehrere benachbarte Access Points denselben Kanal verwenden und beeinflussen sich so zwangsläufig gegenseitig. Bisher hatte dies zur Folge, dass ein Teilnehmer senden konnte und alle übrigen WLAN-Geräte auf dem Kanal warten mussten. Mit BSS (Base Service Station)-Coloring und Spatial Re-Use unterstützt WLAN 6 jetzt einen Mechanismus zur störungsfreien Koexistenz von WLAN-Modulen bei hoher Gerätedichte. Aufgrund einer besseren Nutzung des Funkspektrums sollen größere Datenraten, kürzere Latenzzeiten und eine höhere Netzkapazität erzielt werden.
Die „Farbgebung“ von Datenframes durch BSS-Coloring erlaubt es den Geräten, Übertragungen im eigenen Netz von denen in benachbarten Netzen zu unterscheiden. Mit Spatial Re-Use wird hingegen die Verwendung adaptiver Leistungs- und Empfindlichkeitsschwellen für die Kanal-Frei-Erkennung eingeführt. Auf diese Weise lässt sich ein Funkkanal schon dann wieder nutzen, wenn das Signal einer benachbarten Funkzelle zwar auf dem Kanal noch wahrgenommen wird, die Verbindung zur eigenen Zelle aber trotzdem sehr gut ist (Bild 4).
- Volle Erschließung der Vorteile des 6-GHz-Bands
Die neuen WLAN-Funktionen verringern das Problem der gegenseitigen WLAN-Interferenzen. Gegenüber 5G, das über einen geschützten Frequenzbereich für private Campusnetzwerke verfügt, gibt es bei WLAN diese exklusiven Frequenzbänder nicht. Daher kann QoS (Quality of Service) nicht garantiert werden. Um diesen Sachverhalt zu lösen, wurde Anfang 2020 WLAN 6E vorgestellt. Der neue Standard gemäß IEEE 802.11ax erschließt die Vorteile des 6-GHz-Spektrums in vollem Umfang. Dazu verwendet WLAN 6E den Frequenzbereich zwischen 5,925 GHz und 7,125 GHz. Die USA haben bereits die kompletten 1,2 GHz freigegeben. Das Vereinigte Königreich (UK) hat ebenfalls angekündigt, 500 MHz bereitzustellen. In der Europäischen Union/Deutschland wird damit gerechnet, dass 2021 rund 500 MHz Bandbreite überlassen werden. Da ältere WLAN-Standards das 6-GHz-Band nicht nutzen können und deshalb nicht auf ältere Geräte Rücksicht zu nehmen ist, kann WLAN 6E seine volle Leistungsfähigkeit erreichen. Wegen des großen Spektrums lassen sich dann viele WLAN-Systeme parallel ohne gegenseitige Beeinflussung betreiben.
Grundlage für die All Electric Society
Der Klimawandel erfordert eine globale Energiewende, die nur durch die Digitalisierung und Vernetzung aller Lebensbereiche möglich ist. In der All Electric Society wird der Energiebedarf daher lediglich aus erneuerbaren Energien gedeckt und elektrischer Strom zum zentralen Energieträger. Dazu bedarf es unter anderem einer umfassenden Kopplung der Sektoren Energie, Mobilität, Infrastruktur, Gebäude und Industrie. Die bestehende weltweite Infrastruktur muss also physikalisch und datentechnisch vernetzt werden.
Bislang sind die einzelnen Sektoren durch unterschiedliche technische Standards gekennzeichnet, was ihre Kopplung erschwert. Allerdings stehen bereits Basistechnologien wie 5G, TSN oder Single-Pair Ethernet zur Verfügung, um eine nahtlose Kommunikations-Infrastruktur zwischen den unzähligen installierten Geräten aufzubauen. Phoenix Contact engagiert sich aktiv in vielen Nutzerorganisationen, Gremien und Verbänden, damit die (Weiter-)Entwicklung dieser Standards anforderungsgerecht vorangetrieben und die All Electric Society Wirklichkeit wird.
Netzwerkinfrastruktur als ausschlaggebender Faktor
Die technische Leistungsfähigkeit von 5G und WLAN 6(E) ist für industrielle Automatisierungsanwendungen im Kern vergleichbar. Typische Applikationen wie fahrerlose Transportsysteme (FTS) oder mobile Roboter werden sich zukünftig sowohl mit 5G als auch WLAN 6(E) technisch umsetzen lassen. Letztlich entscheidet der Anwender, welche Funktechnologie er einsetzt. Für die Wahl des Wireless-Standards dürfte hier nicht die Funktechnologie selbst, sondern die gesamte Netzwerkinfrastruktur ausschlaggebend sein. Neben zahlreichen interessanten technischen Eigenschaften erweist sich die Verwendung privater Frequenzbereiche als größte Stärke von 5G. Diese stehen allerdings nicht überall weltweit zur Verfügung. Weil WLAN 6(E) auf dem 6-GHz-Band funken kann, hat WLAN ebenfalls einen für WLAN 6E-Anwendungen exklusiven Frequenzbereich. Durch die große Bandbreite von WLAN 6(E) mit 500 MHz bis 1,2 GHz ist Platz für mehr WLAN-Systeme je Fläche und gegenseitige Störungen durch Frequenzüberlappung sind so deutlich geringer.
Der Aufbau privater 5G-Netzwerke bedingt aktuell in der Startphase einen noch etwas höheren technischen Aufwand und Komplexität. Daher werden die notwendigen Investitionen für ein industrielles 5G-Netzwerk anfangs über den Kosten einer WLAN 6-Lösung liegen. Vor diesem Hintergrund wird sich 5G zunächst vor allem in großen Fabriken und Anlagen als unternehmensweites Wireless-Backbone-Netzwerk zur Realisierung unterschiedlicher Kommunikationsaufgaben wirtschaftlich rechnen. Für die weitere, auch parallele Nutzung von WLAN sprechen die breite installierte Basis, weltweit gut harmonisierte Frequenzbereiche, die Abwärtskompatibilität zu älteren WLAN-Standards und damit die umfassende Verfügbarkeit kostengünstiger Endgeräte sowie das bei Dienstleistern und Betreibern vorhandene Anwendungswissen. Zudem sind international noch nicht überall private Industriefrequenzen für 5G vorhanden.
Fazit
Sowohl 5G ebenso wie WLAN 6(E) werden in Zukunft eine große Bedeutung für die industrielle Datenübertragung haben. Deshalb investiert Phoenix Contact in beide Wireless-Standards, bei WLAN insbesondere in die Version 6(E). Als einer der Pioniere der globalen Initiative 5G-ACIA (5G Alliance for Connected Industries and Automation) gestaltet Phoenix Contact die Standardisierung von 5G in der Industrie aktiv mit. Seit 2020 wird der erste industrielle 5G-Router für lokale industrielle Anwendungen in einem privaten 5G-Netzwerk angeboten, der in Zusammenarbeit mit Quectel und Ericsson entwickelt worden ist (Bild 5).
Mehr Informationen: www.phoenixcontact.de/wireless
Digital-Events rund um die Prozesstechnik
Corona-bedingt findet auch die internationale Leitmesse der Prozessindustrie am 15. und 16. Juni 2021 digital als Achema Pulse statt. Phoenix Contact beteiligt sich mit einer virtuellen Ausstellung an diesem Format. Interessenten können sich im Rahmen der Modularen Automation darüber informieren, wie sich verfahrenstechnische Anlagen schnell entwickeln und in Betrieb nehmen lassen. Ferner wird gezeigt, wie der Digitale Zwilling durch eine bessere Datenqualität zur Optimierung der Instandhaltung beiträgt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der Zustandsüberwachung von rotierenden Betriebsmitteln.
Das erfolgreiche eigene Format Dialog Days widmet sich der Prozesstechnik ebenfalls mit einer digitalen Live-Konferenz. Die Teilnehmer erwarten spannende Podiumsdiskussionen mit anschließendem Live-Chat. Inhouse- und externe Experten berichten unter anderem über Digitalisierungslösungen für eine energie- und ressourceneffiziente Produktion, Cyber Security, den Nutzen neuer Kommunikationstechnologien wie 5G und APL sowie den aktuellen Status und einen Ausblick auf die NOA-Technologie am Beispiel der IDEA-Anlage in Frankfurt-Höchst. Abgerundet wird die Veranstaltung durch geführte Touren durch eine virtuelle Prozessanlage, die verdeutlicht, wie sich die digitale Transformation beschleunigen lässt. Die kostenlose Anmeldung zum digitalen Event ist unter https://phoe.co/Process-DialogDays einfach möglich.