digitalisiertes Ölfeld

(Bild: Kokhanchikov@shutterstock.com)

Wohl in keiner Industrie klafft die Qualität der automatisierungstechnischen Ausstattung so weit auseinander wie in der Öl- und Gasbranche. Selbst in hochentwickelten Ländern gibt es Ölfelder, in denen „digital“ ein Fremdwort zu sein scheint. An vielen Förderstätten arbeitet man weiterhin nach guter alter Erdöl-Cowboy-Manier. Die weit verstreuten Förderstellen werden immerhin „schon“ per Pickup regelmäßig angesteuert, um Daten wie Temperatur und Druck abzulesen, auf dem Klemmbrett zu notieren und später in Excellisten einzutragen. In den Ölsammelstationen (Gathering Center) laufen die Rohrleitungen von verschiedenen Bohrlöchern zusammen. Die Chance, durch automatisiertes Blending den wirtschaftlich besten API-Grad (American-Petroleum-Institute-Grad) zu erzielen, wird dabei vielfach vertan. Auch professionelle Leckageüberwachung der Pipelines und automatisierte Überfüllsicherungen an den Terminals sucht man häufig vergebens (Bild 1).  

Ingenieur vor Ölfeld
Bild 1: Steigerung der Wirtschaftlichkeit, Maximierung der Betriebsleistung und Erhöhung der Sicherheit – mit den Möglichkeiten des digitalen Ölfelds lässt sich der Produktionsbetrieb entsprechend optimieren (Bild: alexjey@shutterstock.com)

Völlig konträr sieht es in Ölfeldern aus, wo gut ausgebildete Fachleute die vergangenen Jahre zur Automatisierung und teils bereits Digitalisierung genutzt haben. Gerade die Weltfinanzkrise ab 2009, die den Ölpreis ebenfalls einbrechen ließ, bewirkte Einiges. Nicht nur, weil der wirtschaftliche Druck stieg, sich über effizientere Förderung und Aufbereitung Gedanken zu machen. Eine Kündigungs- beziehungsweise Frühverrentungswelle führte in den Jahren nach der Krise zu einer Verjüngung des Personals. Ingenieure, frisch von der Universität und mit dem nötigen Wissen über die Potenziale einer Automatisierung und Digitalisierung nach dem neusten Stand der Technik ausgestattet, bringen ein anderes Mindset ein – besonders in lange bestehende Anlagen mit erheblichem Modernisierungsbedarf.

 

Schritt 1: Drahtlose Messdatenübertragung

Wo aber beginnen? Der erste Schritt wird in der Regel sein, die vorhandenen Feldgeräte so auszurüsten, dass Daten künftig kontinuierlich erfasst und in übergeordneten Systemen gespeichert werden können. Aufgrund drahtloser robuster Übertragungstechnik, mit der existierende Druck-, Durchfluss-, Füllstand- und Temperaturmessstellen auch in Ex-Bereichen nachgerüstet werden können, ist dies problemlos möglich. Ob dazu bestehende robuste Systeme wie Radioline mit der Trusted Wireless 2.0-Funktechnologie (Übertragung über bis zu acht Kilometer ohne Repeater) oder in Zukunft 5G-Campus-Netze verwendet werden, hängt von den Anforderungen und vorhandenen Voraussetzungen ab. Umfassende Lösungen zur Förderstättenüberwachung entstehen durch den Einsatz von Modulen für den Ex- und Nicht-Ex-Bereich, die mittels digitaler Signale selbst das Monitoring von Ventilstellungen und Pumpenzustand erlauben (Bild 2).

Schema: An der Ölpumpe werden Signale aus der Zone 1 und 2 gesammelt und über das Trusted Wireless-Funksystem zyklisch verschickt
Bild 2: An der Ölpumpe werden Signale aus der Zone 1 und 2 gesammelt und über das Trusted Wireless-Funksystem zyklisch verschickt (Bild: Phoenix Contact)

Pluspunkte für Sicherheit und Umwelt

Über viele Kilometer hinweg können die Daten an einen Kontrollraum im Feld oder eine zentrale Leitwarte gesendet werden. Dort lassen sie sich direkt oder mit Hilfe eines SCADA- oder Prozessleitsystems darstellen. Die Grundlage für die komfortable Überwachung, ohne beispielsweise in Wüstengebieten, in Alaska oder Sibirien den angenehm temperierten Kontroll-Container zu verlassen, sind damit gelegt. Davon profitieren Sicherheit und Umwelt ebenfalls. Allzu oft blieben bislang Lecks in Rohrleitungen für längere Zeit unentdeckt, was eine großflächige Verseuchung von Erdreich nach sich zog. Auch die Funktion von Notduschen und Augenwascheinrichtungen sowie deren Aktivierung lässt sich mit Hilfe der Wireless-Technik kontrollieren. Der nächste Mitarbeiter, der sie benutzen muss, wird es danken, wenn diese zum einen funktionieren und zum anderen ein Sanitätstrupp über deren Gebrauch informiert wird (Bild 3).

Zwei Männer im Kontrollraum vor Bildschirmen
Bild 3: Im Kontrollraum werden die erfassten Daten direkt angezeigt und durch ein überlagertes Leitsystem weiterverarbeitet (Bild: Phoenix Contact)

Schritt 2: Automatisierung steigert Qualität und Effizienz

Der Schritt von der effizienten kontinuierlichen Datenerfassung zu einer höheren Automatisierung ist nicht weit. In den Gathering-Centern kann zum Beispiel der vertraglich vereinbarte API-Grad durch Ansteuerung der Pumpen und Regelventile in den zuführenden Pipelines gezielt eingestellt werden. Separatoren zur Abtrennung von Wasser lassen sich ebenfalls automatisiert betreiben und überwachen. Eine besondere Bedeutung hat die Steuerung von Wasser- oder Gasinjektionsanlagen, die im Rahmen der Ölgewinnung ein Abnehmen des Ölförderdrucks verhindern.

 

Schritt 3: Von der Zustandsdiagnose zu gesteigerter Gesamtanlageneffektivität

Einen großen Schritt weiter in Richtung Digital Oilfield geht, wer nicht nur die Prozessdaten, sondern darüber hinaus auch Zustandsinformationen, die digitale Feldgeräte und intelligente Pumpen und Kompressoren zur Verfügung stellen, aufnimmt und auswertet. Darauf aufbauend lassen sich verschiedene Industrie-4.0-Use-Cases verwirklichen. Der Übergang von reaktiver oder vorbeugender zur vorausschauenden Instandhaltung und folglich die Einsparung von Manpower und Ersatzteilen ist einer davon. Damit verbunden sind eine Erhöhung der Verfügbarkeit des Equipments und geringere Stillstandzeiten. Dies alles kann mit relativ geringen Investitionen erreicht werden, die sich schnell amortisieren, schon allein durch die längeren Betriebszeiten der hochpreisigen API-Pumpen.

Schritt für Schritt wird das digitale Ölfeld immer effizienter. Echtzeitdiagnose und darauf aufbauende Industrie-4.0-Applikationen, die auf der Integration der unterschiedlichen Datensilos basieren, erlauben es zudem, die Prozesse im Sinne von Operational Excellence stetig zu verbessern. Ölfeldbetreiber können dabei von den Erfahrungen profitieren, die beispielsweise die chemische Großindustrie in den vergangenen Jahren mit den Möglichkeiten der Digitalisierung gemacht hat. Durch die Visualisierung und Kontextualisierung der Daten lassen sich Trends ableiten und betriebswirtschaftliche Leistungskennzahlen (Key-Performance-Indicators, KPI) wie die Gesamtanlageneffektivität sukzessive optimieren.

 

Projektbeispiele

 

Offenheit erleichtert die digitale Transformation

Beim Umbau lange bestehender Förderstätten zum digitalen Ölfeld spielen zukunftssichere Technologien eine zentrale Rolle. Insbesondere offene Ecosysteme wie PLCnext Technology von Phoenix Contact ermöglichen eine moderne Automatisierung, die auf die Anforderungen und Potenziale der Industrie 4.0 zugeschnitten ist. Weltweit tätige Betreiber von Ölfeldern ziehen bereits einen Nutzen aus den Optionen der Open Process Automation (OPA). Vorhandene Systeme können über einen sogenannten Distributed Control Node (DCN) erweitert werden, was die Umsetzung von OT-Services, etwa Advanced Control oder Prozessoptimierung, erlaubt. Die von Vertretern der chemischen Industrie entwickelte Namur Open Architecture (NOA), bei der für Monitoring und Optimierung ein Seitenkanal neben der Kern-Prozessautomation verwendet wird, gewinnt zunehmend ebenso in der Öl- und Gasindustrie an Akzeptanz. Für einen wirtschaftlichen Aufbau sorgen robuste I/O-Systeme wie Axioline F und Axioline P, die unter anderem durch Redundanzkonzepte, Hot-Swap-Fähigkeit und eigensichere Module für Prozessanwendungen prädestiniert sind (Bild 4).

Schema PLCnext Technology
Bild 4: PLCnext Technology ermöglicht eine moderne Automatisierung, um Zukunftstechnologien zu integrieren (Bild: Phoenix Contact)

Produktionsraten stabilisiert

Zahlreiche von Phoenix Contact und seinen Systempartnern realisierte Projekte in der Öl- und Gasindustrie illustrieren die Kompetenz für verschiedene Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen. Bei der Ausrüstung eines Wasserinjektionssystems gelang es zum Beispiel, durch Erfassung und Steuerung von Durchfluss- und Druckmesswerten sowie die Einbindung in ein SCADA-System über Modbus TCP, die Produktionsrate einer Lagerstätte über lange Zeit stabil zu halten. Dabei wurden außerdem die HART-Signale des Durchflussmessgeräts aufgenommen und eine Zustandsüberwachung durchgeführt.


Präzise API-Dichte angesteuert

Ein weiteres Projekt betrifft die automatisierungstechnische Ausrüstung eines Gathering Centers. Eingesetzt wurden Kompaktsteuerungen in Verbindung mit einer unterbrechungsfreien Stromversorgung, die die maximale Anlagenverfügbarkeit sichert. Auf Basis von Druck sowie Füllstand- und Temperaturmessdaten werden Pumpen und Ventile gesteuert, um die Rohölströme von sämtlichen Bohrlöchern geregelt zuzuführen. Die Steuerung unterstützt ferner das Asset Monitoring durch Nutzung von HART-Signalen. Die so entstandene Automatisierungslösung ermöglicht die zielgerechte Produktion von Rohöl-Mischungen mit dem vertraglich vereinbarten API-Grad.


Steuerung für die Molchanlage

Eine andere interessante Referenz ist die Ausrüstung der Schaltschränke für Molch-Sendeschleusen. Dazu werden das I/O-System Inline mit Ex-i-Modulen sowie Inline-Controller vom Typ ILC 131 ETH verwendet. Über ein Radioline-Funksystem lassen sich die Stationen drahtlos überwachen und in das übergeordnete Automatisierungssystem integrieren. Im selben Ölfeld in Kasachstan wurden auch die Schaltschränke an den Bohrplätzen mit Radioline-I/O-Erweiterungsmodulen ausgestattet. Diese sind für den Einsatz in Zone 2 zugelassen und verfügen über eine galvanische Kanal-zu-Kanal-Trennung.


Cyber-Sicherheit bei der Leckageüberwachung

Ein hohes Optimierungspotenzial bergen zudem Lösungen zur automatischen Leckdetektion an Pipelines, wie sie einige Messtechnik-Hersteller anbieten. Sie stellen geeignete Software-Tools sowie die nötige Instrumentierung zur Verfügung. Phoenix Contact steuert die Technik zur Datenerfassung in den Schaltschränken im Feld bei und sorgt für Cyber-Sicherheit bei der Übertragung in die zentrale Leitwarte, etwa durch die Nutzung von Security-Routern der Baureihe FL mGuard (Bild 5).

Verschlüsselungstechnik
Bild 5: Sichere Kommunikation mit Verschlüsselungstechnik für viele Übertragungswege (Bild: Phoenix Contact)

Alle Lösungen lassen sich ebenfalls von Systemintegratoren erstellen. Diese werden von Phoenix Contact sorgfältig geschult und bei der Auswahl der Komponenten und der Konzipierung von Schaltschränken unterstützt.

 

Mit offenen, digitalen Lösungen die Wettbewerbsfähigkeit sichern

Beim Übergang zum digitalen Ölfeld kann Phoenix Contact aufgrund seiner langjährigen Erfahrung in der Prozessindustrie, verbunden mit der Kompetenz für die Ausrüstung von Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen, nachhaltig zur Seite stehen. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit Trends zu offenen, flexiblen Lösungen wie NOA und OPA mitgestaltet. Nicht zuletzt durch das Konzept der „Enhanced Connectivity“, das deutlich über den physikalischen Anschluss hinausgeht, werden diese Realität. Künftig wird die offene, Linux-basierte Steuerungsplattform PLCnext Technology eine große Rolle beim Umsetzen derartiger Konzepte und damit bei der Digitalisierung von Ölfeldern spielen. Die Plattform wird Leitsystemmigrationen vereinfachen, indem sie die Rolle des DCN (Distributed Control Node) einnimmt und so die sichere, redundante Verbindung zu neuen Echtzeit-Servicebussen sowie zu bestehenden und neuen Feldgeräten ermöglicht. Darüber hinaus hostet die Plattform externe Software und Runtimes, was das Prinzip von Open Process Automation Realität werden lässt. Auf diese Weise werden Robustheit, Sicherheit und Zuverlässigkeit der Automatisierungstechnik mit dem Anspruch nach Offenheit, Flexibilität und Zukunftssicherheit im digitalen Ölfeld vereint (Bild 6).

Überwachung sowie Diagnose von Förderstätten
Bild 6: Zuverlässige und kosteneffiziente Überwachung sowie Diagnose von Förderstätten für Öl und Gas über große Entfernungen hinweg (Bild: Ronnie Chua@shutterstock.com)

Es lohnt sich für jeden Betreiber, die ersten Schritte aus der Automatisierungswüste zu wagen. Schon die automatische Messdatenerfassung per Fernübertragung eröffnet große Potenziale. Bis zum rundum optimierten Betrieb, unterstützt durch Industrie-4.0-Applikationen, ist dann der Weg weniger beschwerlich und vor allem weniger kostenintensiv als man vermutet.

Autor:

Dipl.-Wirt.-Ing. Thomas Perschke, Director Industry Management Oil and Gas, Phoenix Contact Electronics GmbH, Bad Pyrmont

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Phoenix Contact Electronics GmbH

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