Ein Teamleiter soll erstmals mit Mitarbeitern Zielvereinbarungsgespräche führen, ein Gruppenleiter erstmals Angestellte entlassen, ein Bereichsleiter erstmals zwei Abteilungen fusionieren. Immer wieder stehen Führungskräfte vor Aufgaben, die sie noch nie gelöst haben. Entsprechend groß muss ihre Bereitschaft sein zu lernen – des Weiteren Neuland zu betreten, selbst wenn auf dem Weg dorthin Fallstricke liegen.

Deshalb fordern viele Top-Manager von Unternehmen: Wir brauchen Führungskräfte, die bereit sind, Risiken zu tragen. Führungskräfte, die sich und ihren Mitarbeitern offen eingestehen: Auch ich bin fehlbar und muss noch manches lernen. Denn nur wenn unsere Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen, packen auch ihre Mitarbeiter heikle Aufgaben an.

Führungskräfte entwickeln sich

Solche Führungskräfte fallen nicht vom Himmel. Sie entwickeln sich. Aus diesem grund gibt es heute in fast allen Großunternehmen Förderkreise für den Führungsnachwuchs. Doch diese Förderkreise haben ihre Grenzen – unter anderem, weil in ihnen die Teilnehmer zumeist für künftige Aufgaben qualifiziert werden. Deshalb sind viele Übungen, die dort durchgeführt werden, Trockenübungen.

Vor diesem Hintergrund gelangten zahlreiche Unternehmen zur Erkenntnis: Förderkreise erleichtern unseren Mitarbeitern zwar den Start als Führungskraft. Zu „echten“ Führungskräften reifen sie aber erst, wenn sie sich mit „echten“ Führungsaufgaben herumschlagen. Dann treten auch ihre Stärken und Schwächen deutlich zutage.
Deshalb integrieren die Unternehmen in ihre Förderprogramme für die Führungsnachwuchskräfte zunehmend Maßnahmen, die diese beim Lernen im Arbeitsalltag unterstützen – zum Beispiel Führungskonferenzen. Bei diesen Führungskonferenzen treffen sich mehrere Führungskräfte regelmäßig, um Lösungen für aktuelle Führungsprobleme zu entwerfen. Der Vorteil solcher Konferenzen: Da die Teilnehmer in der Regel auf derselben Hierarchiestufe angesiedelt sind, kämpfen sie zumeist mit ähnlichen Problemen. Außerdem reden sie, wenn kein Vorgesetzter anwesend ist, offener miteinander.

Liegt es an mir oder an der Aufgabe oder an der Struktur?

Doch diese Offenheit hat Grenzen – speziell dann, wenn die Probleme (auch) in der Persönlichkeit der jeweiligen Führungskraft ihre Wurzeln haben. Zum Beispiel darin, dass sie sich vor jeder Entscheidung mehrfach absichert, bevor sie sich zu einem Ja oder Nein durchringt. Oder darin, dass sich eine Führungskraft davor scheut, einem Mitarbeiter auch mal klipp und klar sagen: Sie bringen die geforderte Leistung nicht.

Solche Verhaltensmuster werden in Führungskonferenzen selten thematisiert. Schließlich gilt in den meisten Unternehmen das ungeschriebene Gesetz: Über technische oder organisatorische Probleme darf man im Kollegenkreis sprechen, über Probleme, die in der eigenen Person begründet sind, nicht.
Deshalb bieten inzwischen viele Unternehmen ihren Führungskräften die Chance, sich mit (externen) Coachs zu treffen, um mit ihnen ihr Führungsverhalten zu analysieren. Solche Coachinggespräche sind sinnvoll. Doch leider wird in ihnen der Fokus oft einseitig auf die Person der Führungskraft gelegt. Eine Führungskraft ist im System Unternehmen aber stets auch in ein enges Geflecht von gewachsenen Strukturen und Beziehungen eingebunden, die ihre Handlungsmöglichkeiten und -optionen mitbestimmen. Sie hat darüber hinaus neben einer bestimmten Funktion auch konkrete Aufgaben in der Organisation. Losgelöst von diesen Faktoren kann das Verhalten einer Führungskraft nicht adäquat beurteilt werden.

Coachs neigen zum Psychologisieren

Das übersehen manche Coachs. Sie psychologisieren häufig Fragen, deren Wurzeln eher fachlicher Natur sind. Zum Beispiel Fragen wie

  • Kann ich meinem Bereich noch mehr Veränderungen zumuten oder würden diese ihn überfordern? Oder:
  • Soll ich in der aktuellen Marktsituation eher auf Expansion setzen oder das Erreichte sichern?

Einer Führungskraft, die vor einer solchen Entscheidung steht, hilft es wenig, wenn ein Coach mit ihr ermittelt: Sind Sie eher ein entscheidungsfreudiger oder ein zögerlicher Typ? Dies zu wissen, nützt der jungen Führungskraft wenig. Zumindest dann nicht, wenn ihre „Entscheidungsschwäche“ vor allem in ihrer geringen Führungserfahrung begründet ist.

Erfahrene Führungskräfte alsMentoren einsetzen

Also sollte der Unterstützer in einer solchen Entscheidungssituation ein anderes Profil als der klassische Coach haben. Er sollte ähnliche Situationen durchlebt haben. Er sollte die Zwänge, denen eine Führungskraft unterliegt, einschätzen können. Und er muss zudem wissen, dass eine Führungskraft stets mit unterschiedlichen Interessen und Zielvorstellungen, die sich häufig widersprechen, konfrontiert ist. Kurz: Der Unterstützer sollte selbst Führungskraft gewesen sein. Denn nur dann wird er in der Regel als Rat- und Impulsgeber, sprich als Mentor, akzeptiert.

Ein Mentor sollte noch weitere Bedingungen erfüllen. Er sollte zum Beispiel nicht der disziplinarische Vorgesetzte seines „Zöglings“ sein. Denn aufgrund ihrer geringen Erfahrung können junge Führungskräfte oft nicht einschätzen, ob ihre Entscheidungs- und Verhaltensunsicherheiten in ihrer Person oder in der Situation begründet sind. Häufig haben sie das Gefühl „Ich habe Defizite“, obwohl ihr Verhalten in der Situation begründet ist. Deshalb schrecken sie davor zurück, sich ihren Vorgesetzten zu offenbaren. Schließlich entscheiden diese auch über ihr Ein- und Fortkommen.

Nicht jede Führungskraft ist ein guter Mentor

Aus diesem Grund arbeiten die Führungskräfte, die Nachwuchskräfte als Mentoren betreuen, in der Regel auch in anderen Unternehmensbereichen als ihre „Zöglinge“. Zuweilen übertragen Unternehmen die Mentorenfunktion aber auch externen Beratern, die selbst einmal Führungskraft waren. Diese bearbeiten dann, sei es im Gespräch unter vier Augen oder in so genannten Führungsreflexionsrunden, an denen Führungsnachwuchskräfte aus mehreren Unternehmen teilnehmen, mit diesen Fragestellungen aus deren Alltagsarbeit.

Der Rückgriff auf Externe ist zuweilen sinnvoll, denn nicht jede erfahrene Führungskraft ist ein guter Mentor. Warum? Ein guter Mentor muss noch wissen, dass auch er mal ein blutiger Anfänger war, der in viele Fettnäpfchen tappte. Er sollte sich auch noch daran erinnern, dass auch er als junge Führungskraft wegen mancher Entscheidung, die er heute ruckzuck trifft, nächtelang schlaflos im Bett lag. Sonst fehlt ihm das Verständnis für sein Gegenüber.
Zudem muss ein guter Mentor sich zurücknehmen können. So sollte er zum Beispiel keine Entscheidungen stellvertretend für seinen Zögling treffen. Dies ist nicht seine Aufgabe. Er soll vielmehr bei der jungen Führungskraft Lernprozesse initiieren, steuern und begleiten, damit aus ihr – mit der Zeit – eine Führungspersönlichkeit wird.

Dieses Sich-Zurücknehmen fällt manchen erfahrenen Führungskräften schwer. Die Praxis zeigt: Gerade sehr erfolgreiche Manager sind oft schlechte Mentoren. Denn sie nehmen meist schnell die Zügel in die Hand und ihre Zöglinge stehen staunend daneben und lauschen bewundernd ihren Worten. Das Resultat: Die jungen Führungskräfte werden eher entmutigt als ermutigt.

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