Der Big Bang von Texas City war zwar nicht der Urknall, aber er zählte mit zu den Ursachen der Anlagenbau-Ralley der vergangenen Jahre: Am 23. März 2005 kam es in der größten und profitabelsten US-Raffinerie des Ölkonzerns BP zur Katastrophe. Durch eine Serie von Explosionen starben 15 Menschen, 170 wurden verletzt. Für den leitenden Ermittlungsbeamten der zuständigen US-Behörde lag der Fall klar: Das Unglück war die direkte Folge der Sparmaßnahmen des britischen Ölkonzerns. Die amerikanische Bundesbehörde für Arbeitssicherheit, OSHA, verdonnerte BP noch im selben Jahr wegen der rund 300 Vergehen, die im Kontext mit der Explosion stehen, zu einer Strafe von 21 Mio. US-Dollar.
Peanuts, im Vergleich zum BP-Jahresgewinn von 22 Mrd. USD in 2005. Doch mit der Konsequenz, dass der Konzern ein milliardenschweres Programm zur Modernisierung seiner Raffinerien auflegte. Und auch andere Raffineriebetreiber zogen nach, flankiert von weiteren Investitionen der Petrochemie.
Die Folge: Engineering, Anlagenkomponenten und Montageleistungen wurden knapp und teuer. Der weltweite Wirtschaftsaufschwung in den Jahren bis 2008 schaffte zusätzliche Nachfrage nach Rohstoffen und Energie. Und mit steigenden Preisen für Öl und Gas wurde es für Förderregionen immer lukrativer, selbst in die Verarbeitung der Rohstoffe zu investieren und die Wertschöpfung „Downstream“ zu erhöhen. Im Nahen und Mittleren Osten entstanden und entstehen derzeit riesige Petrochemie- und Düngemittelkomplexe. Parallel dazu bauten und bauen die Industrienationen ihre Kraftwerksparks aus und modernisieren diese. Und so legten in den vergangenen Jahren die Preise für Chemieanlagen, Maschinen und Apparate deutlich zu, wie der Baupreisindex der CHEMIE TECHNIK vierteljährlich dokumentiert.
Längst sind es die Projekte der Öl-, Gas- und Rohstoff-Fördernationen sowie der aufstrebenden Volkswirtschaften wie Indien und China, die den Takt zur Konjunktur im verfahrenstechnischen Anlagenbau angeben. Und der Rohstoffpreis wie der des Öls ist in Sachen Rentabilität das auslösende Moment für die Projekte – und damit für Anbieter von Engineeringleistungen oder Anlagenausrüstung ein gewichtiger Faktor.
Doch so kontinuierlich der Ölpreis bis Mitte 2008 auch gestiegen ist – er lag im Juli bei 145?USD je Barrel der Sorte WTI – so plötzlich und rapide war der Verfall in den vergangenen Monaten. Das Fass „West Texas Intermediate“ – eine Ölsorte, die gemeinsam mit dem Nordseetyp „Brent“ die Referenzsorte für den weltweiten Ölmarkt ist – kostete im Februar gerade noch 35?USD – so viel wie im Frühjahr 2004. Ist die Party im Anlagenbau damit vorüber? Um dies zu beantworten, ist einerseits zu klären, mit welchem Ölpreisniveau langfristig gerechnet werden muss, andererseits stellt sich die Frage, wovon der Ölpreis überhaupt abhängt.
An einfachen Erklärungsversuchen fehlt es nicht: Nachfrage, Förderquote, Spekulationen, politische Risiken etc. werden genannt – und je nach aktuellem Ereignis meist eindimensional. Allen Deutungen ist gemeinsam, dass sie gleichzeitig wahr und falsch sind. So sank die Nachfrage im dritten Quartal 2008 um eine halbe Million Fässer pro Tag – der Ölpreis gab im selben Zeitraum um
40?% nach. Doch mit der Nachfrage allein lässt sich der Preisverfall nicht erklären. 500?000 Fässer sind zwar eine beeindruckende Menge, gemessen am weltweiten Ölverbrauch macht der Rückgang allerdings gerade einmal 0,6?% aus. Für 2009 rechnet die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrer jüngsten Prognose ebenfalls mit einem Rückgang des Verbrauchs um 0,6 % gegenüber dem Vorjahr.
Volatilität bestimmt den Preis
Auch die Förderquote taugt kaum zur Erklärung – die jüngsten Beschlüsse der Opec konnten den Preisverfall nicht aufhalten. Und so gerne die Öffentlichkeit auch Spekulanten als Sündenböcke für das Auf und Ab der Ölkosten abstempeln will – die Ursache sind sie nicht, so eine aktuelle Untersuchung des Internationalen Währungsfonds. Viel stichhaltiger ist dagegen das Argument „Volatilität“. „Das letzte Fass macht den Preis“, brachte dies Fritz Vorholz unlängst im Wochenblatt „Die Zeit“ auf den Punkt. Zu den Merkwürdigkeiten gehört dabei zum Beispiel der Einfluss der Lagersituation im amerikanischen Kleinstädtchen Cushing, Oklahoma: In dem Raffineriestandort im mittleren Westen enden die vom Golf von Mexiko ausgehenden Pipelines. „Läuft ein Terminkontrakt für WTI aus und sind die Lager in Cushing voll, bleibt dem Käufer vor Ort nur der Verkauf um jeden Preis“, zitierte die Financial Times Deutschland im Januar einen Rohstoffexperten. Für einen Weitertransport per Tankwagen liegt der Ort zu abgelegen und die Pipelines verlaufen nur in einer Richtung.
Das potenzielle Angebot ist dabei genauso entscheidend wie die tatsächliche Nachfrage: Die Tatsache, dass der Kassapreis für Rohöl derzeit deutlich niedriger als der Terminpreis ist, macht die Lagerhaltung interessant. Sogar Tankschiffe werden dafür zur Zeit eingesetzt – schätzungsweise 80?Mio. Barrel liegen aktuell in den Häfen der Welt.
Als positives Signal für die Rohstoffpreise wird die Ankündigung des US-Energieministeriums von Anfang Januar gesehen, die strategischen Ölreserven bis zur Kapazitätsgrenze von 727?Millionen Fass füllen zu wollen. Derzeit lagert die amerikanische Regierung etwa 702?Mio. Barrel in Kavernen.
Doch die genauen Zahlen der weltweiten Reserven sind ein weiterer Unsicherheitsfaktor für den Preis. Was den Preis entscheidend beeinflusst, ist weniger die tatsächliche Situation als die Erwartungen des Marktes.
Drückt der Ölpreis die Anlagenbau-Konjunktur?
Müssen Kontraktoren, Planer und nicht zuletzt Lieferanten von Anlagenequipment also mit Auftragseinbrüchen rechnen, weil sich Anlagenprojekte bei dem derzeit niedrigen Ölpreis nicht mehr rechnen? Glaubt man den jüngsten Verlautbarungen der Ölmultis wie Shell, BP oder Exxon, könnte man zu diesem Eindruck gelangen. Conoco Phillips hat im Januar 2009 als Folge von milliardenschweren Abschreibungen im vierten Quartal 2008 Kosteneinsparungen und Stellenabbau angekündigt. Doch die fünf größten Ölkonzerne hatten sich auch in den Boomjahren mit Investitionen in Exploration und Verarbeitungskapazitäten zurückgehalten. Während die Konzerne den Anteil an Aktienrückkäufen auf 34?% der Gesamtkosten in 2007 steigerten, sanken die Aufwendungen für das Erforschen neuer Ölquellen auf 6?%. Aus Sicht von Experten ist darin bereits die Saat für eine neue Preisralley angelegt: Sobald die Konjunktur wieder anzieht, wird der Mangel an neuen Ölquellen und Raffineriekapazitäten den Ölpreis wieder nach oben katapultieren – so die Erwartung.
Doch die „Big Five“ im Ölgeschäft sind alles andere als repräsentativ. Mit Blick auf die Langfrist-Strategien der Investoren in den Förderländern geben sich Anlagenbau-Experten in Deutschland optimistisch. „Insgesamt ist die Finanzkraft im Nahen Osten so groß, dass sich die Vorhaben selbst bei einem Ölpreis von 45 Dollar pro Barrel noch rentieren“, erklärt Werner Schwarzmeier, Sprecher der Geschäftsführung der Linde AG, Geschäftsbereich Engineering, im CT-Interview in dieser Ausgabe. Eine Einschätzung, die von Zahlen des US-Energieministeriums bestätigt wird: Demnach ist ein Ölpreis von 50 USD pro Fass immer noch doppelt so hoch wie die durchschnittlichen weltweiten Förderkosten. Doch die regionalen Unterschiede sind enorm. „Bei 40?Dollar pro Barrel wird es für einige Länder schwierig, in den anstehenden Projekten eine ausgeglichene Zahlungsbilanz zu erreichen“, schätzt Werner Schwarzmeier. Venezuela und Iran – so Expertenschätzungen – benötigen einen Ölpreis von 100?USD je Barrel um ihre Staatsausgaben zu finanzieren.
Auch Thorsten Herdan, energiepolitischer Sprecher des VDMA, schätzt in der Wochenzeitung Produktion den Break Even Point für die klassische Erdöl-Exploration bei derzeit 55 bis 60?Dollar pro Barrel. Herdan: „Wir sehen bei unseren Mitgliedsunternehmen eine große Gelassenheit aufgrund der Tatsache, dass der Preis von 150?Dollar im vergangenen Sommer ebenso übertrieben war wie die derzeitigen 50?Dollar untertrieben sind.“ Langfristig orientierte Investoren und die davon abhängigen Unternehmen des Großanlagenbaus geben sich derzeit gelassen: „Die Kunden in Nahost stehen nach wie vor zu ihren geplanten Projekten. Denn sie rechnen langfristig mit einer steigenden Nachfrage aus den Schwellenländern“, gibt sich Werner Schwarzmeier zuversichtlich.
Zahlen der IEA bestätigen diese Einschätzung – so wird der weltweite Verbrauch bis 2030 von derzeit 85 auf 106?Mio. Barrel pro Tag steigen und dabei auf 200?Dollar pro Fass klettern. Dies wird mittelfristig wieder eine Vielzahl von Investitionsprojekten anschieben. Und auch die bereits angekündigten Kraftwerksprogramme werden bis 2030 für eine hohe Projektlast im Anlagenbau sorgen.
Fazit: Der Ölpreis hat einen großen Einfluss auf die Projekttätigkeit und damit auf Markt und Preise im globalen Anlagenbau. Wie viel ein Barrel Öl wert ist, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, von denen in jüngster Zeit die Volatilität, d.h. die verfügbare Menge, ein entscheidendes Element ist. Der derzeitige Verfall des Ölpreises wird von Experten als Übertreibung nach unten gesehen. Mittel- bis langfristig werden Preise erwartet, welche die Projekttätigkeit weiter stimulieren werden.